»Sharyna, willst du Naomi den Rest vom Haus zeigen?«
»Ja«, lächelte Sharyna. »Zuerst zeige ich ihr mein Zimmer.«
Eine halbe Stunde später saß ich in meinem Zimmer und fuhr Sharyna mit den Fingern durch die Zöpfchen. Sie hatte nichts dagegen. Wir verstanden uns super.
Louise streckte den Kopf zur Tür rein. »Kann ich dich kurz sprechen?«, fragte sie.
»Sicher«, erwiderte Sharyna.
Louise wartete, bis Sharyna die Tür zugemacht hatte. »Wirst du hier klarkommen?«
»Solange der nicht an mir rumfummelt.«
»Ich denke, dass du allmählich ein bisschen paranoid wirst.«
»Die sind alle gleich«, widersprach ich. »Kim hat mich vor Männern gewarnt, die Pflegekinder aufnehmen. Bei ihr haben es ganz viele versucht. Sie hat mir gesagt, dass ich denen nicht über den Weg trauen soll. Sieht man doch auch andauernd in der Zeitung und in den Nachrichten.«
Louise bedachte mich mit einem einwandfreien echt-jetzt-Blick. »Nicht alle Männer sind so wie in den Nachrichten«, sagte sie. »Und Kim kennt auch nicht alle. Sie ist kein allwissendes Orakel.«
»Orakel? Hör auf, Ausländisch zu reden. Wenn der was bei mir versucht, schneid ich ihm den Schwanz ab. Das lass ich mir nicht gefallen!«
Louise tätschelte mir die Schulter. »Ich denke nicht, dass das nötig sein wird. Hör endlich auf, alles zu glauben, was Kim sagt. Manchmal … dehnt sie die Wahrheit.«
»Genau wie Sozialarbeiter.«
Louise schüttelte den Kopf.
»Gib bloß mir nicht die Schuld, wenn du später heute Nacht noch einen Notruf kriegst«, setzte ich hinzu.
»Keine Angst. Mr Golding ist einer von den Guten.«
»Es gibt keine guten Männer, die Kinder in Pflege nehmen. Die haben alle … wie sagt man? Die führen alle was im Schilde.«
Louise stemmte die Hände auf die Hüften. »Meinst du, ich würde dich bei jemandem unterbringen, der nicht in Ordnung ist?«
»Du hast mich ja auch zu den Holmans geschickt. Das war der absolute Oberfummler, und ihr hab ich schon am ersten Tag an der lila Leggings und den pinken Turnschuhen angesehen, dass was nicht stimmt.«
»Hmmm.«
»Komm mir nicht mit hmmm«, sagte ich. »Das heißt, du denkst, ich rede Scheiße.«
Louise konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Wann kommst du wieder?«, wollte ich wissen.
»Mal sehen. Heute ist Mittwoch. Wir sehen uns Freitagvormittag.«
»Kriege ich kein Taschengeld?«, fragte ich. »Kann doch sein, dass mir diese Goldings was husten. Denk dran, wie der sich ins Hemd gemacht hat, wegen dem Fernseher.«
»Ich bin sicher, sie geben dir was.«
Ich hielt die Hand auf. »Und wenn nicht? Ich hab keinen Bock, Opfer von Sparmaßnahmen zu werden.«
»Sie werden dir geben, was sie für angemessen halten.«
»Und wenn nicht?«, wiederholte ich. »Außerdem ist das, was du angemessen findest, nicht dasselbe wie das, was ich angemessen finde.«
Louise bedachte mich erneut mit einem echt-jetzt-Blick, schüttelte den Kopf und nahm ihr Portemonnaie aus der Tasche. Jede Menge Karten waren drin. Ich frage mich, was Sozialarbeiter bezahlt bekommen? Sie gab mir einen Zehn-Pfund-Schein.
»Gib’s nicht für Zigaretten aus«, ermahnte sie mich. »Kannst auch was davon zu den Schokokeksen beisteuern, die du haben willst.«
Ich steckte den Schein in das Reißverschlussfach meiner Reisetasche.
»Die Goldings sind gute Leute«, setzte Louise noch mal an. »Sie nehmen seit Jahren Kinder in Pflege.«
Affe fährt Ski! Merkt die nicht, dass sie sich wiederholt? Die wird schon senil.
»Dasselbe hast du auch über die Holmans gesagt«, behauptete ich.
»Ein oder zwei Wochen lang wird das hier gehen, bis ich was Passenderes gefunden habe.«
»Hast du schon gesagt.«
»Benimm dich.« Louise lächelte.
Sie machte die Tür auf, zögerte aber beim Rausgehen, schenkte mir ein weiteres Lächeln. Ungelogen, ich sah sie nicht gerne gehen. Wieso kann sie mich nicht bei sich aufnehmen? Ich würde ihr schön viele Scheine aus den Rippen leiern. Ich nahm mein Erdmännchen und setzte es mir auf den Schoß.
3
DAS BAD-PROBLEM
Es war schon voll spät. Ich saß mit meinem pinken Handtuch über den Schultern auf dem Bett. Colleen stand im Eingang, sah mich an.
»Er ist unten«, beharrte sie. »Du kannst in meinem Zimmer nachsehen, wenn du willst.«
»Vielleicht ist er ja bei Pablo oder bei Sharyna«, sagte ich. »Habt ihr einen Dachboden? Er kann doch auch da oben sein.«
»Tone!«, rief Colleen. »Ruf mal was, damit Naomi glaubt, dass du unten bist.«
»ICH BIN UNTEN, Naomi!«
»Siehst du«, sagte Colleen. Ungeduld nagte an ihren Wangen. Kim hatte gesagt, ich soll unbedingt meinen Fummler-Radar einschalten.
»Sofern mein Ehemann nicht gelernt hat, wie man seine Stimme in unterschiedliche Teile des Hauses transportiert, ist er unten«, versicherte mir Colleen.
»Bleibt er die ganze Zeit unten, solange ich dusche?« Ich wollte das bestätigt haben.
»Natürlich.«
»Versprich es.«
»ICH VERSPRECHE ES, NAOMI!«, brüllte Tony. »Mit Glöckchen und rosa Einwickelpapier.«
So eine Frechheit! Jetzt benutzt er meinen eigenen Text gegen mich. Immerhin hat er Humor. Kim hätte gefallen, wie entschieden ich darauf bestand, dass Tony unten parkte, solange ich mir den Mief vom Körper spülte. Ich nahm mein Erdmännchen und stand auf. Wortlos flitzte ich an Colleen vorbei in den Flur. Eine kurze Sekunde lang blieb ich stehen, um die Treppe runterzuschauen, dann ging ich ins Bad. Meine Nerven zischten und knisterten, als ich die Tür aufzog. Ich schloss die Augen, trat einen Schritt vor. War okay. Ein ganz normales Bad. Die Wanne war sauber. Ich roch irgendein Putzmittel, stieß eine große Lunge voll Atem aus und schloss die Tür hinter mir.
Ich stand nicht auf Bäder, aber ich musste nachdenken. Traurigkeit nagte an meinem Herzen. Der Tag war irre lang gewesen. Ich setzte mein Erdmännchen hinter den Duschschlauch, damit ich nicht runterschauen musste. Ich wünschte, es könnte lächeln. Ich schloss die Augen und ließ mir Wasser über den Kopf laufen.
Zweimal Abschrubben später klopfte jemand an die Tür.
»Alles klar, Naomi?«, fragte Colleen.
»Ist er noch unten?«, fragte ich.
»Ist er. Keine Angst. Er kommt erst rauf, wenn du fertig bist.«
Kurz nach elf lag ich im Bett, mein Erdmännchen neben mir. Müdigkeit packte mich. Colleen stand wieder an der Tür und sah mich an. »Wenn du was möchtest, dann sei nicht schüchtern und bitte drum. Und wenn du nachts Hunger oder Durst bekommst, dann gehst du einfach runter in die Küche und nimmst dir was.«
Ich nickte. »Lass das Licht an«, beharrte ich. »Und die Tür offen … aber nicht zu weit.«
»Du hast eine Lampe neben dem Bett auf dem Nachttisch.«