Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton. Alex Wheatle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alex Wheatle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956142451
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sitzen gelassen hat und zu Shirley, Stefanies Mum, gezogen war. Mum und er waren schon lange befreundet gewesen und sogar zusammen zur Schule gegangen. Bis ich auf die weiterführende Schule kam, hatte ich Dad ganz lange nicht gesehen. Ich glaube, er hatte Schiss, uns zu besuchen, aber Elaine ist heimlich zu ihm hin und hat sich bei Shirley zu Hause mit ihm getroffen. Wenn Mum das mitbekommen hätte, hätte sie Elaine an einen Buggy und einen Hochstuhl gefesselt und über die Balkonbrüstung geworfen. Dad fing erst ungefähr vor einem Jahr an, uns wieder zu besuchen, ungefähr zu der Zeit, als Stefanie zum ersten Mal ins Krankenhaus musste. Erst hat Mum fürchterlich geschimpft, aber dann war sie damit einverstanden, dass Dad mich jeden zweiten Samstag abholte. Wenn er mich zu spät abgeliefert hatte, schimpfte Mum so lange mit ihm, bis er wieder in seinem Transporter saß. Mum gab mir zwei Anweisungen, an die ich mich zu halten hatte, wenn Dad was mit mir unternahm. Erstens durfte ich niemals »Mum« zu Shirley sagen und zweitens nach meiner Rückkehr auf keinen Fall Stefanie erwähnen. Dad und ich waren uns mit der Zeit wieder nähergekommen, aber jetzt hatte er schon seit Monaten nichts mehr mit mir gemacht. Nur das Bild zu meinem letzten Geburtstag geschickt. Meine Familie hatte einwandfrei alles, was man für einen Auftritt in der Sendung von Jeremy Kyle brauchte, ein bisschen wunderte es mich, dass uns die Produzenten noch nicht viel Geld geboten und eingeladen hatten.

      Als ich auf dem Bett lag, hörte ich die Wohnungstür knallen und danach Stimmen in der Küche. Ich ging ans Fenster und lehnte mich raus, schaute auf den Parkplatz unten. Ich sah Dad in seinen Transporter steigen und alleine wegfahren. Ich fragte mich, ob er sich in diesem Moment genauso schlecht fühlte wie ich.

      4

      EIN ECHTER GANGSTA FRAGT IMMER ZWEIMAL

      AM NÄCHSTEN SAMSTAG SPIELTEN JONAH UND ICH God of War bei McKay auf der Playstation 3. Wie immer verlor ich, aber ich war gut drauf, weil McKays Dad uns einen Eimer voll Chickenwings mit Pommes gekauft hatte. Wir spülten alles mit zwei Flaschen kalter Cola runter und hatten danach eine Wagenladung voll Energie, die wir irgendwie wieder loswerden mussten. Wir gingen in den Park zwischen North und South Crongton, um ein bisschen zu chillen und den Älteren beim Fußball zuzusehen. Manchmal hingen da auch ein paar Mädchen rum, also machte ich mich locker und ging, als würde mir halb New York gehören. McKay und Jonah lachten mich aus, war mir aber egal.

      Es war ein schöner Tag, warm genug, sodass man nur im T-Shirt rumlaufen konnte. Im Park trugen die meisten Brüder blaue Oberteile und Schweißbänder – das Standard-Outfit von South Crong. Die North Crongs auf der anderen Seite des Parks spielten auch Fußball, aber in Schwarz. Hinter ihnen ragten die Bäume von Gully Wood auf. Da unten hin würde sich nur ein besonders tapferer oder bescheuerter South Crong trauen. Zu gefährlich. Der Crongton teilte den Wald, schlängelte sich mal so und mal so rum, die letzte Leiche von einem aus dem Viertel wurde dort gefunden. Am liebsten hätte ich das Niemandsland gezeichnet, aber was hätten die North Crong Brüder von mir, meinen Bleistiften und dem Din-A3-Skizzenblock gehalten?

      Der, den sie umgebracht hatten, war ein North Crong gewesen. Die Bullen hatten ihn mit dem Gesicht nach unten im Wasser gefunden, die Hälfte von der Nase war ab. McKay behauptete, dass Manjaro ihm die verkorkste Schönheitsoperation verpasst hatte. Die ganze Sache war völlig bescheuert, wenn meine Gran auf einem ihrer Nachmittagsspaziergänge nach North Crong gewandert wäre, wäre sie da viel sicherer gewesen als ich. O Gott! Wenn Manjaro mich noch öfter um einen Gefallen bitten würde, dann hoffte ich wirklich, dass es bei Eis holen blieb.

      Um uns herum fuhren ein paar Typen Wheelies. Andere chillten, hörten Rap, Grime und R&B, der aus ihren Gettoblastern dröhnte. Alle anderen spielten mit ihren Handys. Ein paar zweitklassige Mädchen stellten ihre tätowierten Hälse und Waden aus, sie hatten billige Extensions oder Kiss Curls. Aus ihren falschen Wimpern hätte man gut Gartenrechen basteln können. Ich sah mich kurz um, konnte Venetia aber nirgendwo entdecken. Erstklassige Mädchen wie sie gingen nicht in den Park. Während wir uns nach einer Stelle umguckten, um unsere Ärsche zu parken, hörten wir ein paar Brüder erzählen, dass es kurz vorher Ärger zwischen ein paar South Crongs und einem North Crong gegeben hatte.

      Es hatte schon öfter Drohungen und wilde Beschimpfungen gehagelt, aber meistens ging’s nicht weiter, nicht im Park, wo jeder zuguckte und alle ihre Handys in den Fingern hatten, bereit, jederzeit mitzufilmen. Die Brüder und Schwestern hier waren also alle einigermaßen entspannt.

      Wir fanden eine Stelle direkt hinter einem der Tore.

      »Wir hätten eine Cola mitbringen sollen«, sagte McKay. »Jonah, Mann! Wieso hast du die letzte Flasche alle gemacht?«

      »Das war ich nicht«, protestierte Jonah. »Das war Bit.«

      »Den Vorwurf weise ich strikt von mir, Mann! Hör bloß auf!«

      »Da ihr beiden die letzte Flasche vernichtet habt, müsst ihr auch die Kröten für die nächste zusammenkratzen«, verlangte McKay. »Ich glaub’s nicht, Brüder! Jetzt sind wir hier, wollen das Spiel sehen und ich hab nichts für den Durst … außerdem ist mir nach Erdnüssen!«

      Genau in dem Augenblick schoss einer mit blauem T-Shirt ein Tor. Der Ball rollte zu McKay und er hob ihn auf. »Hey, du Milchmade, gib mir den Ball, Mann«, motzte der Torwart.

      »Wer ist hier eine Milchmade, du dürres Stück Scheiße!«, gab McKay es ihm zurück.

      Jonah und ich tauschten Blicke und schüttelten die Köpfe.

      »Bist du zum Sportmachen im Park, du kleiner Fettsack?«, ärgerte ihn der Torwart, drehte sich zu den anderen Spielern um, wollte sehen, ob sie lachten. »Du brauchst eine ganze Mannschaft von Personaltrainern, Bro. Pass auf, dass du keine Kuhle in den Rasen machst, wenn du dich setzt!«

      »Ich mach ‘ne Kuhle in den Rasen, wenn ich’s deiner Freundin besorge, du Lauch!«

      Jetzt konnte ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen und Jonah und die anderen Zuhörer ebenso wenig. Als ich die Wut in den Augen des Torwarts sah, verging mir das Lachen allerdings schnell.

      »Komm her, Fettsack, und sag das noch mal, dann sehen wir, wer den Park auf einer Trage verlässt!«

      McKay stand auf und kickte den Ball weg. Der Torwart ignorierte es und kam auf McKay zu. Alle waren nervös. Wir hörten eine andere Stimme. Ruhig, aber mit Autorität.

      »Lass den Jungen in Ruhe, Bruder.«

      Wir drehten uns alle um. Es war Manjaro. Immer wenn ich ihn sah, hatte ich so ein Gefühl im ganzen Körper, wie wenn ein Eiswürfel auf einem schmerzenden Wackelzahn liegt. Er trug ein blaues Muskelshirt mit einem kleinen weißen Handtuch über der linken Schulter. Seine Arme waren so dick wie die eines olympischen Gewichthebers, und er sah aus, als wäre er gerade beim Trainieren gewesen. Drei von seinen Jungs waren bei ihm. Einer war weiß, einer gemischt und der andere schwarz. Alle hatten sie blaue Caps auf.

      Der Torwart grinste betreten. »Respekt, Manjaro, ich mach bloß Spaß mit den Kleinen, kennst mich doch.«

      McKay setzte sich, und als ich mich zu Jonah umdrehte, merkte ich, dass er schon auf zehn Meter Abstand gegangen war.

      »Ich seh’s nicht gern, wenn ein großer Mann einem kleineren Kummer macht«, sagte Manjaro. »Auch der größte Mann war mal ein Baby, also lass die Kleinen da in Ruhe. Du weißt nie, wie groß die werden.«

      »Kein Problem, Manjaro.« Der Torwart machte einen Rückzieher. »Wie gesagt, war bloß Spaß. Sonst nichts.«

      »Dann ist ja gut«, sagte Manjaro. »Ich seh’s auch nicht gern, wenn ein South Crong einem anderen South Crong Kummer macht. Hast du kapiert?«

      »Hab ich kapiert, Manjaro.« Der Torwart versuchte, seine Nerven mit einem Lachen zu beruhigen. »Na klar, kapiert.«

      Dann sammelte er den Ball ein, trat ihn zurück aufs Feld und bezog erneut Stellung im Tor. Er schaute sich nicht noch mal um. Ich wollte mich gerade näher an Jonah heranschieben, als Manjaro sich umdrehte und sein Blick mich erfasste. Scheiße!

      »Kleiner!«, rief er. Die Schlange an seinem Hals vollführte ein Tänzchen. Er kam großspurig zu mir gelatscht und wischte sich mit der Hand über die Stirn.