Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton. Alex Wheatle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alex Wheatle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956142451
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von alleine waschen. Hast du die Leute wegen der Waschmaschine angerufen, Mum?«

      Gran starrte ihr Essen an, drehte ein paar Spaghetti auf die Gabel und schob sie sich in den Mund. Erst als sie den Mund voll hatte, antwortete sie. »Das hast du mir gestern Abend ganz spät gesagt, Yvonne«, erklärte Gran. »Ich hab schon halb geschlafen! Tut mir leid … ich hab’s vergessen.«

      »Mum! Ich brauche eine funktionierende Waschmaschine. Die Trommel ist verzogen. Ruf wenigstens jetzt da an. Ich muss in den Waschsalon.«

      »Soll ich helfen, Mum?«, bot ich an.

      »Hast du keine Hausaufgaben?«

      »Doch, aber …«

      »Mach deine Hausaufgaben, Lemar!«

      Anderthalb Stunden später zeichnete ich Gran im Wohnzimmer. Andauernd machte sie’s mir schwer, indem sie lächelte oder den Kopf drehte. Ich hatte gerade so den Umriss ihres Gesichts, dann fing ich mit den Augen an. Ihr Doppelkinn richtig hinzubekommen war schwer, auf ihrer Stirn fuhren zwei tiefe Falten Achterbahn. Ich vermutete, dass Gran Ende sechzig war, aber sie hat mir ihr Alter nie verraten. Einmal hatte Mum mich gebeten, sie lieber nicht danach zu fragen. Inzwischen hatte Elaine es endlich geschafft, Jerome zum Schlafen zu bringen, und jetzt sah sie irgendeinen Musiksender im Fernsehen.

      »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Gran. »Hast du mit dem Mädchen gesprochen, das es dir angetan hat?«

      Meine Festplatte suchte nach einer Entgegnung, während mein Gesicht aufheizte, als wär’s an den Wasserkocher angeschlossen. Meine Schwester antwortete für mich. »Venetia heißt die, die ihm gefällt«, verriet sie. »Lemar hat größere Chancen, X Factor zu gewinnen, als an sie ranzukommen. Alle aus dem Jahrgang und sogar die aus der Zehnten fahren auf sie ab. Ich kenne sogar ein paar Mädchen, die auf sie stehen.«

      »Venetia ist es nicht«, protestierte ich. »Was weißt du denn? Du gehst nicht mal mehr auf meine Schule.«

      »Ich hab immer noch Freundinnen da«, widersprach Elaine.

      »Das reicht«, sagte Gran.

      In dem Moment hörten wir die Wohnungstür. Mum kam mit zwei Riesenladungen Wäsche rein. Ich rannte los, um ihr zu helfen, hängte die Sachen auf den Ständer im Bad. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, war Gran aufgestanden, um sich einen Kaffee zu machen.

      »Gran!«

      »Bin gleich wieder da, Lemar. Nur die Ruhe.«

      Ich nahm meinen Skizzenblock, Mum sah mein viertelfertiges Porträt von Gran. »Das ist echt gut«, meinte sie. »Weiter so.«

      »Aber Mathe hat er noch nicht gemacht«, warf Elaine ein.

      »Mach ich später, Mum.«

      Mum nickte immer noch, würdigte mein Kunstwerk. Das war schön. Mum nahm sich sonst fast nie Zeit für meinen Schulkram. »Mum, gehst du am Wochenende mit mir zum Friseur?«

      Sie stemmte die Hände in die Hüften und schenkte mir einen ihrer Blicke. Dann zeigte sie mit dem rechten Zeigefinger auf mich. »Lemar, du weißt, dass die Waschmaschine kaputt ist. Hast du eine Ahnung, was es kostet, wenn wir eine neue Trommel brauchen? Die vom Kabelfernsehen rufen mich jetzt schon auf der Arbeit an und beschweren sich, weil ich die Rechnung nicht bezahlt habe, die vom Bestelkatalog hab ich auch jeden Tag am Handy, und jetzt willst du verdammt noch mal zum Friseur!«

      »Er will einen Iro, Mum«, schaltete Elaine sich ein. »Bei den Jungs in seinem Alter ist das der letzte Schrei.«

      »Der letzte Schrei muss warten«, sagte Mum. »Sonst sorg ich dafür, dass Lemar zum letzten Mal schreit!«

      Mum dampfte in die Küche ab, machte sich ihr Essen in der Mikrowelle heiß. Gran kam mit ihrem Kaffee wieder rein, und ich arbeitete zwanzig Minuten lang weiter an dem Porträt, bis Gran müde wurde und sich hinlegen wollte.

      Am Abend ging ich mit dem Gefühl ins Bett, betrogen worden zu sein. Ich hab Elaine nicht gesagt, dass sie ein Baby kriegen soll, dachte ich.Ist nicht meine Schuld, dass Gran bei uns wohnt, und auch nicht, dass Mum den Leuten vom Bestellkatalog Geld schuldet; das meiste, was sie bestellt hat, waren Buggys und so ein Zeug für Jerome. Und jetzt hat sie nicht mal zehn Pfund für mich, damit ich mir die Haare schneiden lassen kann. Was sind schon zehn Pfund? Morgen muss ich in die Schule, und am Tag danach auch, und Jonah und McKay werden mich bis zum Umfallen wegen meiner scheiß Haare verarschen.

      3

      MANJAROS AUFTRAG

      AM NÄCHSTEN TAG HATTE ICH KEINE ZEIT nachzudenken über das, was Manjaro gesagt hatte. Ein Junge aus meinem Jahrgang wurde beim Skunk ticken in der Bibliothek erwischt. Tavari Wilkins hieß er. Genau genommen hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich meine, was hat er sich eigentlich dabei gedacht, den Shit in der Bibliothek zu verkaufen, wo Mrs Parfitt mit ihren Google-Maps-Augen über alle Anwesenden wachte? Er kam aus North Crongton, wo sie immer die ganzen Alleinerziehenden, Asylsucher und Flüchtlinge hinstecken; meine Schwester meinte, wenn die ihr da eine Wohnung anbieten, nimmt sie sie nicht.

      Als McKay, Jonah und ich aus der Schule kamen, fragte Jonah: »Und was wird jetzt aus Tavari?«

      »Die Bullen vernehmen ihn«, sagte McKay. »Die bringen ihn auf die Wache, verprügeln ihn zu zehnt und zwingen ihn, den Shit nicht mehr für sich selbst, sondern für sie zu dealen.«

      »So was machen die Bullen?«, staunte Jonah.

      »Glaub mir, wenn er über sechzehn wäre, würden die noch viel Schlimmeres machen. Die würden ihn mit einem Holzhammer vergewaltigen, ihm eine Spritze setzen, eine Niere rausnehmen und sagen: ›Du kriegst deine Niere erst wieder, wenn du uns verrätst, woher du die Drogen hast.‹ «

      »Ist das nicht ein bisschen zu Hollywood?«, fragte ich.

      »Was willst du sagen, Bit?«, legte sich McKay mit mir an. »Was weißt du denn schon? Die Bullen kommen mit allem durch. Guck dir doch an, wie die den Bruder auf der Northside abgeknallt haben, mit einer Bazooka …«

      »Er wurde erschossen«, behauptete ich.

      »Das wollen sie dir in den Nachrichten so verkaufen«, beharrte McKay. »Der Bruder wurde mit einer Panzerbüchse kaltgemacht. So wie die, die sie in Afghanistan verwenden. Der hatte Brocken von der Straße, Autoblech, Motorteile und Reifengummi in der Fresse. In der Straße ist ein Krater. Die Bullen können sich jeden Scheiß erlauben.«

      »Stimmt«, sagte Jonah. »Meine Schwester hat mir erzählt, ihren Freund haben sie in einem Secondhandladen festgehalten und durchsucht.«

      »Deine Schwester hat einen Freund?«, fragte ich.

      »Ja«, bestätigte Jonah. »Geht aufs Crongton College, spielt Basketball. Krass definierte Armmuskeln und ein irre kahl rasierter Schädel.«

      Mir rutschte das Herz in die Hose, und plötzlich hatte ich ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Wieso ich gedacht hatte, dass ich jemals bei Heather eine Chance haben könnte, weiß ich nicht.

      Wir gingen weiter zum Laden an der Ecke. Wie immer standen dort Leute Schlange, um ihre Strom- und Gaskarten aufzuladen. McKay kaufte ein Twix, ein Mars und eine Cola, Jonah eine Packung Custard Creams, und ich bekam gerade genug Kleingeld für ein Twirl zusammen. Wir kamen aus dem Laden und futterten. Ich schlug meine Zähne in mein Twirl, schaute hoch und sah Manjaro und seine Crew auf uns zuradeln. Scheiße!, dachte ich. Ich hätte nie geglaubt, Manjaro mal auf einem Fahrrad zu sehen. Er hatte noch dasselbe blaue T-Shirt an. Die anderen beiden trugen blaue Basecaps. Die schlafende Babyschlange an seinem Hals war heute dünner. Lässig versuchte ich mich umzudrehen, aber er hatte mich schon entdeckt.

      Bevor ich wusste, was los war, hatte Jonah die Beine in die Hand genommen und war wie ein Jamaikaner, der dringend pissen muss, zu unserem Block gerast. McKay verzog sich wieder in den Laden und ich blieb alleine mit Manjaro stehen. Er wusste, dass ich ihn gesehen hatte, also konnte ich nicht einfach so tun, wie wenn nicht. Sein Mountainbike kam quietschend vor mir zum Stehen. »Kleiner!«, grüßte er mich.

      »Was