Christine Leopold
Lebensschutz in der Bürgergesellschaft
Martina Kronthaler
Elisabeth Anselm
Emmaus – von Paris nach St. Pölten Soziale Arbeit geht uns alle an
Karl Langer
Vorwort
Zentrale Säulen unserer Demokratie sind neben der Gewaltenteilung und dem liberalen Rechtsstaat auch aktive Bürgerinnen und Bürger, die das Gemeinwesen mitgestalten. In dem Sinn sind Bürgerinnen und Bürger nicht nur Adressatinnen und Adressaten staatlicher Regeln und Normen, sondern auch Mitgestalterinnen und Mitgestalter eben dieser Normen. Und das Gemeinwesen in einem liberalen Staat ist mehr als die staatliche Ordnung, es ist das Zusammenspiel von Menschen und ihren Beziehungen zueinander – in Familien und Freundschaften, im Job und in Vereinen.
Die aktive Mitgestaltung des persönlichen und öffentlichen Umfelds bereichert das menschliche Leben in vielen unterschiedlichen Facetten und macht unsere Gesellschaft dadurch vielfältiger und bunter. Der Mensch ist ohne Zweifel ein politisches und soziales Wesen, das sich in seiner Individualität nur innerhalb einer Gemeinschaft entfalten kann.
Wie wir Gemeinschaft, unsere Gesellschaft, gestalten wollen, wird in den Demokratien westlicher Prägung von den einzelnen Parteien unterschiedlich beantwortet. Grob gesagt lässt sich folgende Unterscheidung treffen: Typisch als links verortete Politik definiert sich vor allem über einen paternalistischen Staat, der alle Lebensbereiche der Bürger überprüft, die Lebensgestaltung plant und bis in kleine Details regelt. Bürgerliche Politik, wie wir sie sehen, vertraut zwar auf den Staat zur Setzung allgemeiner Rahmenbedingungen, stellt jedoch individuelle Freiheit und Eigenverantwortung in den Mittelpunkt. Sie vertraut auf den inneren Antrieb jeder Bürgerin und jedes Bürgers, nach ihren und seinen Fähigkeiten Beiträge für eine funktionierende Gemeinschaft leisten zu wollen. Dies ist die Grundidee des politischen Konzepts einer „Bürgergesellschaft“ als Gemeinschaft freier und verantwortlicher Menschen.
Wie vielfältig und heterogen Konzepte der Bürgergesellschaft in Theorie und Praxis sind, haben die Politische Akademie der Volkspartei und das Wilfried Martens Zentrum für Europastudien in ihrem aktuellen Forschungsschwerpunkt umfassend diskutiert und untersucht.
Wesentliche Grundlage ist ein Menschenbild, das in den jüdischen, christlichen, griechischen und römischen Traditionen unseres Kontinents wurzelt und dessen Fundament die Würde jeder Person ist. In ihr liegt allerdings auch die Verpflichtung, Begabungen aktiv für die Gesellschaft einzusetzen, die das Gleichnis von den „anvertrauten Talenten“ zum Ausdruck bringt. Oder mit Immanuel Kant gesprochen: Es gibt eine individuelle unvollkommene Pflicht des Menschen – nämlich jene der Entwicklung der eigenen Talente – für sich aber auch gegenüber anderen.
Im vorliegenden Sammelband haben wir hochkarätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Publizistinnen und Publizisten, Praktikerinnen und Praktiker gebeten, sich grundlegende Gedanken über Potenziale und Möglichkeiten der Bürgergesellschaft im 21. Jahrhundert zu machen. Theoretische, historische und ideengeschichtliche Beiträge finden sich hier ebenso wie unterschiedliche Fallbeispiele aus der Praxis. Die Vielfalt und der Meinungspluralismus der Beiträge zeigen auch klar auf, wie die permanente Mitsprache und Partizipation einer aktiven Öffentlichkeit den politischen Diskurs und die politische Gestaltung unseres Landes bereichern kann.
Wolfgang Mazal Bettina Rausch
Von der Bürgergemeinschaft zur Bürgergesellschaft
Politische Partizipation in Antike und Gegenwart
Simon Varga
Kurzfassung: Der Beitrag fokussiert Unterschiede und Übergänge von der antiken Bürgergemeinschaft hin zur modernen Bürgergesellschaft. Im Zentrum steht dabei die Frage nach Notwendigkeit und Bedeutung politischer Partizipation in Antike und Gegenwart. Aus aktueller gesellschaftspolitischer Perspektive zeigt sich, dass die heutige Bürgergesellschaft in ihrem Kern – nach wie vor – zu einem guten Teil Bürgergemeinschaft beinhaltet. Dieses Bewusstsein verlangt in letzter Konsequenz nach gemeinschaftspolitischer Empathie – verstanden als Bürgerrecht und Bürgerpflicht.
Hinführung
Antike und Gegenwart in politischen Angelegenheiten miteinander zu verbinden mag auf den ersten Blick den Verdacht eines Anachronismus erwecken, zumal die politische Praxis im Laufe der Geschichte bereits viele Metamorphosen erfahren hat und in Zukunft klarerweise auch viele weitere Veränderungen erfahren wird. Doch auf den zweiten Blick erscheint ein solches Vorhaben nicht nur historisch, sondern auch systematisch durchaus nahezuliegen. Denn bereits zu Beginn des antiken griechischen politischen Denkens in seiner klassischen Tradition wurde jene Frage – in Theorie wie Praxis – gestellt und versucht zu beantworten, die auch heute noch für das Leben in Gemeinschaft bzw. in Gesellschaft unverzichtbar erscheint und mit der viele demokratische Staaten der Gegenwart immer wieder ringen: nämlich nach Ausmaß und Bedeutung der politischen Partizipation des Einzelnen am politischen Gemeinwesen.
Eine umfassende Darstellung der vielen historischen Entwicklungen von der Bürgergemeinschaft der Antike hin zur Bürgergesellschaft der Gegenwart in allen ihren Nuancen kann an dieser Stelle zwar nicht geleistet werden, doch selbst Skizzen zu diesen Entwicklungen legen den keineswegs überraschenden Schluss nahe, dass die Bürgerpartizipation damals wie heute eine unverzichtbare Notwendigkeit zur Gestaltung des politischen Zusammenlebens gewesen ist und auch nach wie vor unverzichtbar sein wird. Doch dabei handelt es sich, wie bereits angedeutet, um einen Allgemeinplatz. Die beiden zentralen Fragen lauten vielmehr, in welcher Intensität Bürgerpartizipation heute von Bürgerinnen und Bürgern eingefordert werden kann und wo die grundlegenden Unterschiede zwischen antiker Bürgergemeinschaft und moderner Bürgergesellschaft tatsächlich ausgemacht werden können.
Zu Beginn dieses Beitrags erfolgt eine kursorische Darstellung der antiken unmittelbaren politischen Praxis der sogenannten Bürgergemeinschaft, verbunden mit historisch-politischen Einblicken in die politische Lebenswelt in der Zeit der griechischen Klassik (1). Daran anschließend folgt ein Wechsel in die politische Theorie der Antike. Dabei werden die Grundlagen der politisch-anthropologischen Philosophie bei Aristoteles und dessen Vorstellungen von politischer Partizipation im Zuge des von ihm entwickelten „Staats nach bestem Ermessen“ erörtert (2). Im nächsten Schritt wird die Transformation von der antiken Bürgergemeinschaft zur modernen Bürgergesellschaft insbesondere anhand soziologischer Betrachtungen zumindest angedeutet (3). Es folgt – in Anbetracht gegenwärtiger weltweiter gesellschaftspolitischer Entwicklungen – ein Abschnitt über die aktuelle Bedeutung der Bürgergesellschaft, die meiner Ansicht nach auch heute noch bzw. wiederum verstärkt zu einem guten Teil als Bürgergemeinschaft zu verstehen ist, ohne hierbei die modernen politischen Entwicklungen und Errungenschaften, so z. B. Menschenwürde,