Die ziemlich abstrakte Lehre von der Dreifaltigkeit erklärt er so, dass ja auch Friedrich II. gleichzeitig römischer Kaiser, König von Deutschland und Herzog von Schwaben sei, ein und derselbe Mensch, der lediglich verschiedene Funktionen ausübe. Genauso seien Vater, Sohn und Heiliger Geist nicht drei Götter, sondern ein einziger Gott.
Und dann geht die Kanzelrede auf einmal in ein fast intimes Zwiegespräch mit einem armen Sünder über, der Franziskaner greift fiktive Einwände auf, stellt kritische Fragen und gibt sogleich selbst die Antwort, oder er wendet sich direkt an irgendeine Gestalt aus der Bibel oder ruft die Engel oder auch die Teufel zu Zeugen an. Er kann sanft schmeicheln, besonders wenn er die Frauen anspricht, die gewiss lieber beten als die Männer – und er kann dreinfahren wie ein Fuhrknecht: „Pfui Kupplerin, du Lockpfeife des Teufels, damit er manche Seele fängt!“ – „Pfui Fresser!“ – „Pfui Geizhals, wie hart dein Amen vor Gottes Ohren, wie Hundegebell!“
Anders als viele todernste Bußprediger seiner Epoche verfügt Bruder Berthold über einen bärbeißigen Humor. Die triviale Vorstellung, Gott sitze in seliger Muße droben im Himmel und lasse die Beine auf die Erde herunterbaumeln, pariert er mit dem Seufzer: „O weh, lieber Gott, da müsstest du lange Hosen haben!“ Den alten Leuten wirft er gern an den Kopf, sie sollten sich bloß nichts einbilden auf ihre Tugendhaftigkeit; zu Sünden wider die Keuschheit seien sie schlicht nicht mehr rüstig genug: „Ihr altes Gebein hat ausgehüpft, und jetzt denken sie daran, was sie in der Dummheit getan haben, und bereuen es oft mehr, als billig und ziemlich wäre.“
Warum gibt es so viele Arme?
Mit seiner Realistik, seinem aufmerksamen Blick für die Alltagswelt erhebt sich der Prediger Berthold weit über den Durchschnitt seiner Kollegen, die sich in der Regel auf das saft- und kraftlose Herbeten der Kirchenväter beschränkten. Darum waren die Germanisten um Jacob Grimm hell begeistert, als sie diese frische, unverwechselbare Stimme vor zweihundert Jahren wiederentdeckten.
Umso größer der Schock, als sich Bertholds Prosa als Produkt irgendwelcher anonymer Bearbeiter entpuppte. Die hatten aus den überlieferten lateinischen Predigtfassungen deutsche Übersetzungen gefertigt – mit den Eigenmächtigkeiten und Unschärfen, die zu erwarten sind, wenn von einem mittelalterlichen Wanderprediger lediglich verstreute Redensammlungen existieren, und wenn er selbst sich über schlampige Nachschriften beschwert, aber keine autorisierte, letztgültige Ausgabe vorgelegt hat. Man weiß außerdem, dass er mit Vorliebe improvisierte und sich keineswegs an die eigenen Entwürfe hielt. Die 263 über Europa verstreuten Handschriften mit seinen lateinischen Predigten sind Rekonstruktionen, und die deutschen Sammlungen sind wiederum nachträgliche Bearbeitungen dieser Rekonstruktionen.
Sei’s drum, Bruder Bertholds Botschaft ist zeitlos: Christsein, wie er es in seiner von Gewalt und Unrecht geprägten Epoche versteht, ist eine sehr praktische Sache. Reue und Buße müssen Folgen haben, auch soziale. Die Entscheidung für Christus muss das alltägliche Leben verändern, sonst bleibt sie fromme Heuchelei. Wobei Berthold keineswegs nur mit der Hölle droht, sondern eindringlich Gottes leidenschaftliche Liebe zu den Menschenkindern verkündet. Statt ihn ebenso stürmisch wiederzulieben und den Himmel erobern zu wollen, geben die sich aber mit dem bequemsten Weg zufrieden: „Lehre uns, wie wir gemächlich in das Himmelreich kommen!“, mokiert er sich über seine trägen Zuhörer und vergleicht sie mit Kriechtieren.
Wozu ist der Mensch denn auf der Welt? Um Gott lieb zu haben und seine Seele zu bewahren. Barmherzig sollen sie miteinander umgehen, seine Zuhörer. Ein Ehemann darf seine Frau nicht einfach beschimpfen und verprügeln, weil sie ihm untertan zu sein habe, „denn sie hat Gott in ihrem Herzen und deshalb soll sie dir gleich sein.“ Und nur deshalb gibt es so viele Arme, weil die Reichen prassen und saufen und im Luxus leben wollen.
Den Umsturz predigt Berthold nicht – wer tat das damals schon? Aber eine Bekehrung, die auch die Spitzen der Gesellschaft und der kirchlichen Hierarchie nicht ausspart. Seine ungeheure Popularität ermöglicht es dem Franziskaner, dem Kaiser und den Fürsten, den hohen Prälaten und dem Papst in Rom einen Spiegel vorzuhalten. „Herr Papst, wärt Ihr hier …!“, pflegt er solche Standpauken zu beginnen. „Herr Papst, wärt Ihr hier, ich getraute mich wohl, Euch zu sagen: Alle die Seelen, die Ihr dem allmächtigen Gott zugrunde richtet oder die durch Eure Schuld verloren gehen, sofern Ihr’s abwenden solltet und könntet, die müsst Ihr Gott erstatten zu Eurem großen Schaden.“
Was die Päpste nicht daran hindert, Berthold mit so heiklen Aufgaben zu betrauen wie der Kreuzzugspredigt gegen die Waldenser. Die gelten als Ketzer, weil sie eine arme Kirche ohne Hierarchie fordern, den Kriegsdienst ablehnen, Frauen predigen lassen und den Ablass ebenso überflüssig finden wie die Heiligenverehrung. Der Auftrag ist deshalb so heikel, weil er für eine Sache werben soll, an die er selbst nicht glaubt, schlimmer noch: die ihm zuwider ist. Denn für ihn grenzen die von Päpsten und Theologen hochgepriesenen Kreuzzüge an Mord.
„Pfui, Bluttrinker, wo ist dein Bruder?“, hat er den ersten Kreuzrittern zugerufen. Jetzt muss er der Kirchenführung gehorsam sein und Zwang und Gewalt im Namen Gottes legitimieren. Nach eineinhalb Jahren, in Rom ist gerade der Papst gestorben, stellt man ihn endlich von der ungeliebten Aufgabe frei. Als Ratgeber und Schlichter bei Familienstreitigkeiten und politischen Konflikten hat er genug zu tun.
Im Dezember 1272 stirbt Bruder Berthold im Regensburger Minoritenkloster. Seine Gebeine befinden sich im Regensburger Dom, in der Bischofsgruft.
„Gott leitet die Naturdinge durch natürliche Ursachen“
Pionier der mündigen Welt
Warum die Regensburger den Wandermönch Albertus Magnus (um 1200–1280) nicht als Bischof haben wollten
Eigentlich war der gelehrte Mönch Albert aus dem 13. Jahrhundert ein ganz moderner Mensch: Er wollte Christ sein ohne Berührungsängste gegenüber fremden Weltbildern. Er konnte Ideen, die zunächst nicht christlich gewesen waren, dankbar aufnehmen und in seine gläubige Weltsicht integrieren. Leidenschaftlich bemühte er sich darum, Frömmigkeit und kritisches Denken zu verbinden, Treue zur Erde und Liebe zum Himmel. Denn auch die Vernunft hielt er für ein Geschenk Gottes, und seine Spuren entdeckte er überall in der Schöpfung.
Merkwürdig, dass ausgerechnet dieser Beamtensohn aus der tiefsten Provinz eine Pioniergestalt der abendländischen Geistesgeschichte werden sollte! Aufgewachsen ist er in der schwäbischen Kleinstadt Lauingen. Bauern, Winzer, Fischer waren seine Freunde. Über seine Schulbildung wissen wir nichts. Albert stand bereits im vierten Lebensjahrzehnt, da tauchte er plötzlich in den Studentenlisten der italienischen Universität Padua auf.
Ein Examen legte er dort nicht ab, aber er kam in Padua in Kontakt mit den Dominikanern, damals ein Bettelorden, der auf die Predigt spezialisiert war und seinen Leuten deshalb ein theologisches Studium zur Pflicht machte. Die Dominikaner schickten den schon etwas angegrauten Schwaben als Studenten nach Köln. Ein paar Jahre später unterrichtete er bereits, publizierte erste Schriften und bildete in Straßburg den Ordensnachwuchs aus.
Als Lehrer muss er so faszinierend gewesen sein, dass ihn sein Orden um 1244 als ersten deutschen Professor an die berühmte Universität Paris sandte. Der größte Hörsaal war hoffnungslos überfüllt, wenn „Albert der Deutsche“ Vorlesung hielt. Man bewunderte seine verwegene Vorliebe für Aristoteles: Erst kürzlich hatte eine Synode in Paris das Studium von dessen naturphilosophischen Schriften verboten.
Albert ließ sich davon nicht abschrecken. Zu viel, meinte er, war von dem genialen Heiden zu lernen. Er war sich seines Glaubens so sicher, dass er keine Angst vor dem Dialog hatte. Man musste eben genau unterscheiden, was die Vernunft ergründen kann und was man aus Vertrauen auf die Wahrheit Gottes schlicht und einfach glauben muss. Albert: „Zwar handeln