Berthold jedenfalls erwarb sich ein solides Wissen, das zeigen die Anspielungen in seinen späteren Predigten. Wahrscheinlich ging er in Magdeburg bei dem hochgebildeten Engländer Bartholomaeus Anglicus in die Schule, der Naturwissenschaft und Astronomie streng sachlich vermittelte, ohne die damals üblichen weitschweifigen Allegorien.
Dort in Magdeburg hat Berthold möglicherweise einige Jahre als Lektor gewirkt, bevor er zu predigen begann. 1246 wird er als Visitator des Regensburger Damenstifts Niedermünster erwähnt: Die vornehmen Fräulein lebten hier zwar nach der Regel des heiligen Benedikt; deren Strenge war aber durch eine Menge Freiheiten gelockert, und die kirchliche Obrigkeit fand es angebracht, von Zeit zu Zeit nach dem Rechten zu sehen. Berthold als Klostervisitator – das setzt voraus, dass er ein erfahrener Ordensmann von untadeligem Ruf war und von der Bistumsleitung geschätzt wurde.
„Habgieriger, wie gefällt dir das?“
Von jetzt an beginnen die Quellen zu fließen. Wir wissen, dass Berthold zwischen 1250 und 1265 rastlos unterwegs war. In Niederbayern, in Speyer, Pforzheim und Augsburg hat er gepredigt, im Elsass und in der Schweiz, in Österreich, Böhmen und Schlesien, Thüringen und Ungarn. Es war die „kaiserlose, schreckliche Zeit“ des Interregnums, als Bürgerkrieg, Faustrecht und Straßenraub die Szene beherrschten. Fürsten und Adelige bekämpften sich auf Kosten der unteren Schichten, eine korrupte Justiz bot keinen Schutz. Doch auch eine frisch aufgebrochene religiöse Sehnsucht gehört zur Epoche, mit Alternativmodellen zur machtverkrusteten Kirche in neuen Frömmigkeitsformen und Gemeinschaften – und mit Aberglauben, Wundersucht und wilden apokalyptischen Ängsten.
Bertholds Namen scheint man bald in halb Europa gekannt zu haben. Er predigte meist im Freien, von der Stadtmauer oder von einem hölzernen Turm herunter. Salimbene de Adam: „Auf dessen Spitze wurde eine Fahne aufgepflanzt, um festzustellen, aus welcher Richtung der Wind wehte und wohin das Volk sich setzen sollte, um am besten zu hören.“ Bisweilen sind es solche technischen Details, die den begnadeten Redner verraten.
Wenn Berthold oben auf seiner Linde oder seinem Holzturm wie auf einer Kanzel stand und das Volk sich auf einer weiten Wiese ringsum lagerte, hatte er die schönste Kulisse für seine breit ausgemalten Gleichnisse. Die furchterregende Begegnung mit dem Satan schilderte er, als entwerfe er ein Bühnenbild:
„Und wäre es so, dass man den Teufel möchte sehen mit fleischlichen Augen, dass man vor Grauen nicht stürbe, und dass er jetzt dort her ginge aus dem Wald, und es stünde hier vor uns ein glühender Ofen, es gäbe das allergrößte Gedränge in den glühenden Ofen, das die Welt je sah …!“
Bertholds Predigten müssen eine unglaubliche Suggestivkraft entfaltet haben – was sicher vor allem an ihrer Drastik und ihrem Bilderreichtum lag. Gebannt lauschten die Zuhörer, wenn Berthold sich über die scheinbar frommen Anstrengungen eines notorischen Geizhalses lustig machte und dabei die feine Ironie Schritt für Schritt mit wütender Anklage vertauschte. Er soll nur das Kreuz nehmen und ins Heilige Land pilgern, der Geizkragen, es wird ihm nichts nützen:
So nimm das Kreuz, welches der Papst gibt, und nimm dazu das Kreuz, an dem der gute Schächer hing, und nimm des Sankt Andreas Kreuz und Sankt Peters Kreuz – das sind alles gar gute Kreuze – und dazu nimm das Kreuz, an welchem Gott als Mensch selbst starb, und führe die Kreuze alle übers Meer und erschlage Heiden und Tataren, und lass dich im Dienste Gottes erschlagen, und lass dich in das Grab legen, in welchem Gott selbst lag, und lass auf dich legen die heiligen Kreuze allesamt, und lass Gott selbst und Sankt Maria und die vier Evangelisten und die heiligen Apostel zu deinen Füßen und zu deinem Haupt stehen und alle Gottes Heiligen neben dir, und nimm den heiligen Leib Gottes in deinen Mund, und du bist nur acht Pfennige schuldig, die hast du als unrechtes Gut, und du weißt wohl, wem du sie schuldig bist, und magst sie nicht zurückerstatten und wiedergeben: Ihr Teufel, kommt her im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und zerrt ihm seine Seele aus dem Leib und führt sie in die ewige Marter, wo dir nimmermehr Rat wird. Sieh, Habgieriger, wie gefällt dir das?“
Woher bezogen diese Predigten ihr Charisma? Von Ohnmachten und lauten Schuldbekenntnissen berichten die Chronisten, manchmal klingt es nach einem Ausbruch von Massenhysterie. Todfeinde versöhnten sich – wie lange der Friede anhielt, wissen wir natürlich nicht –, Diebe und Raubritter brachten zurück, was sie gestohlen hatten. Als Berthold 1256 im schweizerischen Graubünden über Habgier und Machtmissbrauch sprach, soll er den Ritter Albert von Sax so beeindruckt haben, dass der dem Kloster Pfäfers das Schloss Wartenstein zurückgab, welches er sich widerrechtlich angeeignet hatte.
Manche Notizen in den alten Chroniken lesen sich wie Szenen einer Seifenoper: Da steht mitten in so einer donnernden Moralpredigt eine Frau auf, die für ihren lockeren Lebenswandel bekannt ist, beginnt hemmungslos zu schluchzen und gelobt, auf der Stelle ein neues Leben zu beginnen. Der Franziskaner, der wohl weiß, dass gute Vorsätze nicht immer lange halten, packt die Gelegenheit beim Schopf. Er fragt in die Runde, wer die bekehrte Sünderin zum Weib nehmen wolle. Tatsächlich meldet sich ein Bräutigam, und noch bevor die Predigt beendet ist, hat man unter der begeisterten Zuhörerschaft zehn Pfund Silberpfennige als Mitgift gesammelt.
Virtuoser Erzähler
Bruder Berthold, der Wundermann, hat auch keine bessere Predigttechnik als die übrigen Bettelmönche. Theologisch ist er ganz gut beschlagen, aber die Bibel zitiert er oft schlampig oder schlicht falsch, er wirft Personen und Fakten durcheinander oder dichtet nach eigenem Gusto dazu. Worin liegt dann das Geheimnis seines durchschlagenden Erfolgs?
Es ist das unnachahmliche persönliche Flair seiner Rede. Es ist die Farbe seiner Bilder, die lebendige Kraft seiner Sprache, die Anschaulichkeit seiner Gleichnisse. Es ist die Virtuosität, womit er eine bunte Vielfalt von Stilmitteln zu bändigen weiß, mit Fantasie, Humor, Lust am Erzählen, nicht ohne boshaften Sarkasmus, manchmal derb, dann wieder charmant, zart lockend und plötzlich in ein Donnerwetter ausbrechend, nicht jedes Mal tiefschürfend in seinen Gedanken, aber immer interessant, häufig von epischer Breite, aber nie langweilig.
Schon die Überschriften, die Bertholds Predigten in den ältesten Sammlungen tragen, machen neugierig: „Von sechs Mördern.“ – „Von zehn Chören der Engel und der Christenheit.“ – „Von zwölf Junkern des Teufels.“ Titel wie Schlagzeilen. „Von des Leibes Siechtum und dem Tod der Seele.“ – „Von rufenden Sünden.“ – „Von achterlei Speise im Himmelreich.“ Die Methode, den Predigtinhalt eingängig aufzulisten, teilt Berthold mit vielen Volkspredigern des Mittelalters bis hin zu Martin Luther.
Langweilig wird dieses Aufzählen nie. Wie ein geschickter Dramaturg beherrscht Berthold den Wechsel von behäbigen Schilderungen und stoßweisen Attacken, reiht er zauberhafte Bilder und Schreckensvisionen aneinander, inszeniert er von der Kanzel herab spannende Dialoge. Er kündigt an, etwas enorm Wichtiges sagen zu wollen, zögert den entscheidenden Satz dann aber so geschickt hinaus, dass sein Publikum bloß noch atemlos auf die erlösende Information wartet.
Berthold arbeitet mit Übertreibungen und grellen Kontrastwirkungen, er führt auf seiner Baumkanzel komplette kleine Dramen auf wie in seiner Predigt vom Jüngsten Gericht: Da lässt er einen eben Gestorbenen auftreten und die Qual des Sterbens beschreiben, die Teufel debattieren am Totenbett über ihren Anspruch auf die Seele, und Gott selbst fordert den armen Sünder zur Rechenschaft auf, was der Prediger wiederum mit beschwörenden Mahnungen an die Zuhörer kommentiert. Berthold-Experten sind sicher, dass er solche Reden wie ein Schauspieler vorgetragen hat, die einzelnen Rollen mit unterschiedlichen Stimmlagen und dramatischen Gesten verkörpernd.
Mancher läuft hin nach (Santiago de) Compostela zu Sankt Jakob (…). Nun, was findest du in Compostela? Da findest du Sankt Jakobs Haupt. Das ist sehr gut; doch ist es ein toter Schädel,