Einführung Psychotraumatologie. Peter Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия: PsychoMed compact
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846347621
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Stresssituation ausgesetzt, die dem polizeilichen Berufsbild entsprach. Die trainierten Teilnehmer reagierten im Vergleich zu nicht Trainierten professioneller und mit weniger negativer Stimmung und Stress (Arnetz et al., 2009).

      Um die verschiedenen Elemente von Stress- und Traumaprävention in einer standardisierten Form unter Nutzung von Multimedia-Elementen vermitteln zu können, wurde vom psychologischen Dienst der Bundeswehr das Computer-basierte Lern- und Übungsprogramm CHARLY (Chaos Driven Situations Management Retrieval System) entwickelt.

      Computer-basierte Primärprävention CHARLY

      CHARLY ist für Gruppen von 10 – 30 Soldaten zur Anwendung vor Beginn eines Auslandseinsatzes konzipiert. Jeder Teilnehmer arbeitet an einem eigenen Computer auf einer Plattform, die mit den anderen Anlagen vernetzt ist und auch Vergleiche der Ergebnisse zulässt. Die Bearbeitung dauert anderthalb Tage und wird von einem Psychologen begleitet, der für etwaige Fragen oder Probleme als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Dabei führt ein strukturierter Algorithmus durch verschiedene Themen bereiche, zunächst Psychoedukation zu Stress und Trauma, einschließlich verschiedener Stress-Spiele (Serious Gaming), wobei das erzeugte Anspannungsniveau über eine vegetative Messung (Hautleitfähigkeit, Herzfrequenzvariabilität) angezeigt wird. Im Verlauf kommen ergänzend Informationen und Übungen zu einsatzbezogenen Stressoren und deren Auswirkung dazu (ebenfalls als Stress-Spiele), die Vorstellung verschiedener Entspannungsverfahren sowie soziales Kompetenztraining.

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      Zwischen 2012 und 2014 wurde eine Studie zur Wirksamkeit von CHARLY bei Bundeswehrsoldaten im Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz durchgeführt (Wesemann et al., 2016). Dabei wurden 67 Teilnehmer vor und nach einem Einsatz mit verschiedenen psychometrischen Testverfahren untersucht, unter anderem der Symptom-Checklist-90 (revised) sowie der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS). Konkret erhielten 36 Probanden randomisiert über anderthalb Tage CHARLY, 31 wurden als Kontrolle durch eine Psychologin über den gleichen Zeitraum zum Thema Stress und Stressbewältigung informiert. Bei vergleichbarer Art und Anzahl einsatzbezogener Belastungen waren die Probanden, die CHARLY erhalten hatten, nach dem Einsatz auf den beiden Skalen signifikant weniger belastet als die Kontrollgruppe.

      Die gezielte psychologische Prävention von Traumafolgestörungen hat in den psychosozialen Versorgungssystemen noch nicht den Stellenwert der Therapie nach Traumatisierungen erreicht, obwohl in den letzten Jahren eine Reihe von Ansätzen entwickelt und evaluiert wurde. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind aufgrund kleiner Fallzahlen und verbesserungswürdiger methodischer Designs eher noch als vorläufig zu bewerten. Es ergaben sich aber vielversprechende Hinweise, dass die Kombination von Psychoedukation und Trainingselementen einen positiven Einfluss auf die Verarbeitungsfähigkeit und Prognose stressexponierter Personengruppen haben könnte, insbesondere, wenn sie standardisiert und multimedia-basiert vermittelt werden.

      Bei einer psychischen Traumatisierung wird die Entstehung von Beschwerden und Symptomen aus einem prozesshaften Geschehen, d. h. einem Entwicklungsverlauf heraus verstanden.

      Das Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung nach Fischer und Riedesser (2009) umfasst einen dreiphasigen Ablauf: Am Anfang steht die „Traumatische Situation“, gefolgt von der „Traumatischen Reaktion“, welche in die Erholungsphase oder aber in den „Traumatischen Prozess“ übergeht.

      In diesem Modell werden zudem subjektive und objektive Aspekte der traumatischen Situation systematisch aufeinander bezogen; Symptombilder werden prozesshaft und umwelttheoretisch betrachtet statt überwiegend aus internen Eigenschaften des Symptomträgers heraus.

      traumatische Situation

      Die traumatische Situation umfasst das traumatische Ereignis selbst sowie die unmittelbar darauf folgende „Schockphase“. Ob ein Ereignis einen traumatischen Charakter annimmt, hängt dabei nicht nur von objektiven Situationsfaktoren, wie beispielsweise der Dauer des Ereignisses, dem Bekanntheitsgrad des Täters oder der mittelbaren vs. unmittelbaren Betroffenheit ab. Auch personengebundene Merkmale wie die aktuelle und überdauernde psychische Disposition, protektive Faktoren (z. B. ein hilfreiches soziales Umfeld, für eine Übersicht biografischer Schutzfaktoren siehe z. B. Egle et al., 1997, siehe Kasten), Risikofaktoren (z. B. Vortraumatisierungen wie z. B. Verlust einer Bindungsperson in der Kindheit, siehe ebenso Egle ebd. und Kasten) sowie der physiologischen Disposition (vgl. Fischer & Riedesser, 2009) spielen eine Rolle (siehe auch Bender & Lösel, 2015).

      Schutzfaktoren nach Egle et al. (1996, S. 19)

      images eine dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson;

      images Aufwachsen in einer Großfamilie mit kompensatorischen Beziehungen zu den Großeltern und entsprechender Entlastung der Mutter;

      images ein gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust;

      images überdurchschnittliche Intelligenz;

      images ein robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament;

      images sicheres Bindungsverhalten;

      images soziale Förderung, z. B. durch Jugendgruppen, Schule oder Kirche;

      images verlässlich unterstützende Bezugspersonen im Erwachsenenalter, vor allem Ehe- oder sonstige konstante Beziehungspartner;

      images lebenszeitlich späteres Eingehen „schwer lösbarer Bindungen“;

      images eine geringe Risiko-Gesamtbelastung.

      Risikofaktoren nach Egle et al. (1996, S. 19)

      images niedriger sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie

      images mütterliche Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr;

      images schlechte Schulbildung der Eltern;

      images große Familien und sehr wenig Wohnraum;

      images Kontakte mit Einrichtungen der „sozialen Kontrolle“;

      images Kriminalität oder Dissozialität eines Elternteils;

      images chronische Disharmonie;

      images unsicheres Bindungsverhalten nach dem 12. / 18.