Einführung Psychotraumatologie. Peter Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия: PsychoMed compact
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846347621
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dem griechischen Wort Trauma = Verletzung), wobei zentral ist, dass diese von außergewöhnlicher Bedrohung ist oder ein katastrophales Ausmaß hat, das nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde.

      Die Beobachtung, dass extreme Ereignisse ebenso extreme Reaktionen verursachen, ist bereits sehr alt. Gleiches gilt für die ersten systematischen Beschreibungen der Symptome, die nach traumatischen Erlebnissen auftreten, wie sie beispielsweise noch aus dem Ende des 19. und Anfängen des 20. Jahrhunderts von Beteiligten schwerer Unglücke, Soldaten der beiden Weltkriege und Überlebenden des Holocausts vorliegen. Es gab eine Reihe von Bezeichnungen wie Kriegs- oder Gefechtsneurose, Granatenschock („Shell Shock“) oder Kampfesmüdigkeit. Aber auch Opfer von sexuellen Übergriffen wiesen ein vergleichbares psychisches Störungsbild auf (Herman, 1993), und in ihren Beschreibungen finden sich die typischen Symptome, die noch heute als charakteristisch für Reaktionen auf traumatische Erlebnisse betrachtet werden:

      images ungewolltes Wiedererleben von Aspekten des Traumas, z. B. in Form von „Flashbacks“ (auch „Nachhallerinnerungen“; das plötzliche und häufig intensive Wiedererleben früherer Erlebnisse und der damit verbundenen Emotionen) oder Albträumen;

      images Anzeichen einer erhöhten Erregung, z. B. Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen;

      images Vermeidung von Situationen, Gesprächen und anderen Reizen, die an das Trauma erinnern.

      Hinzu kommt emotionale Taubheit, die sich in Interessenlosigkeit oder Entfremdung von anderen Menschen ausdrücken kann.

      Im Jahr 1980 hat die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in ihr Krankheitsklassifikationssystem (DSM-III) aufgenommen. Seit den frühen 1990er Jahren ist die Diagnose auch im Internationalen Krankheitsklassifikationssystem (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation vertreten. Inzwischen hat sich die Psychotraumatologie zu einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin entwickelt.

      Psychotraumatologie kann definiert werden als die „[…] Erforschung seelischer Verletzungen in Entstehungsbedingungen, aktuellem Verlauf sowie ihren unmittelbaren und Langzeitfolgen“ (Fischer & Riedesser, 2009, S. 392).

      Zu den Meilensteinen neuer Disziplinen gehört die Gründung wissenschaftlicher Fachgesellschaften (im deutschsprachigen Raum z. B. das Deutsche Institut für Psychotraumatologie (www.psychotrauma tologie.de) sowie die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (www.degpt.de), für internationale Fachgesellschaften siehe z.B. International Society for Trauma Stress Studies (www.istss.org), European Society for Trauma Stress Studies (www.estss.org) und Fachzeitschriften (z.B. Trauma (www.asanger.de/zeitschriftzppm/), Trauma & Gewalt (www.klett-cotta.de/zeitschrift/Trauma_Gewalt/7821), Journal of Traumatic Stress (http://www.istss.org/education-research/journal-of-traumatic-stress.aspx).

      Die Psychotraumatologie hat sich inzwischen ausdifferenziert in die Allgemeine und Differenzielle Psychotraumatologie sowie die Spezielle Psychotraumatologie.

      Die Allgemeine Psychotraumatologie behandelt allgemeine Gesetzmäßigkeiten traumatischen Erlebens und dadurch bedingten Verhaltens, die Differenzielle Psychotraumatologie befasst sich mit interindividuellen und intersituativen Unterschieden und Dispositionen von Traumaerleben und -verarbeitung. Die Spezielle Psychotraumatologie ist auf typische Situationen ausgerichtet wie Gewaltkriminalität, sexueller Kindesmissbrauch etc.

      Traumaspektrum

      Durch die intensive Beschäftigung mit psychischer Traumatisierung seit einigen Jahrzehnten hat sich das Wissen inzwischen sehr vergrößert. So weiß man beispielsweise heute, dass es nicht lediglich die sog. Posttraumatische Belastungsstörung als Folgeerkrankung nach einem potenziell traumatischen Erlebnis gibt. Vielmehr kann man von einem „Traumaspektrum“ aus Störungsbildern sprechen, bei denen eine psychotraumatische Verursachung diskutiert wird oder bereits nachgewiesen ist (Kap. 2.4). Ihnen gemeinsam ist eine psychische Traumatisierung, die sich nach Fischer und Riedesser (2009, S. 395) wie folgt definieren lässt:

      „Psychische Traumatisierung ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“.

      Situationstypen

      Heute zählen nach den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachverbände (Flatten et al., 2011) zu den traumatischen Ereignissen:

      images erlebte körperliche und sexualisierte Gewalt, auch in der Kindheit (sog. sexueller Missbrauch),

      images Vergewaltigung,

      images gewalttätige Angriffe auf die eigene Person,

      images Entführung,

      images Geiselnahme,

      images Terroranschlag,

      images Krieg,

      images Kriegsgefangenschaft,

      images politische Haft,

      images Folterung,

      images Gefangenschaft in einem Konzentrationslager,

      images Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen,

      images Unfälle oder

      images die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit.

      Diese verschiedenen traumatischen Situationstypen werden grob in sog. man-made-disaster und natural-disaster unterteilt.