Wir blieben noch eine ganze Weile im ‚Abraxas’, aber es kam nicht viel dabei heraus. Immerhin überwogen jetzt die Aussagen, die der Meinung waren, dass Kurt Heinrichs sich schon eine ganze Weile nicht mehr im ‚Abraxas’ hatte blicken lassen.
Es war bereits nach Mitternacht, als wir uns auf den Weg nach Hause machten.
„Mich wundert, dass Farkas nicht die Chance ergriffen hat, ein paar Polizisten, die ihm in der Vergangenheit mit Sicherheit das Leben schwer gemacht haben, mal richtig anzuschwärzen!“, meinte ich.
Rudi stimmte und ergänzte: „Zumal einer davon sich gar nicht mehr wehren könnte.“
Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Schließlich brach ich die Stille. „Hast du noch Appetit auf einen Fishburger, Rudi?“
„Ist das jetzt dein Ernst oder machst du Witze?“
„Das ist mein voller Ernst, Rudi. Ich möchte noch mal nach Moabit fahren – zu Udo’s Imbiss.“
„Es ist schon ziemlich spät. Morgen im Büro weckt mich nicht einmal mehr Mandys Kaffee richtig auf!“ Rudi seufzte. „Mal ehrlich, was immer dich um diese Zeit in Udo’s Imbiss treiben mag, ich denke, das hat auch bis morgen Zeit.“
„Eben nicht, Rudi. Ich möchte mich dort gerne mal um diese Zeit umsehen. Wer treibt sich da jetzt herum und könnte vielleicht auch in der Tatnacht etwas bemerkt haben?“
„Du meinst, der Aufwand lohnt sich?“
„Keine Ahnung. Aber wenn du nicht willst, bringe ich dich erst an die übliche Ecke. Um diese Zeit ist ja auf den Straßen Berlins nicht mehr ganz so viel los.“
Rudi machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht nötig“, meinte er. „Ich komme mit.“
28
Es war halb drei, als wir den Westhafen erreichten. Wir stellten den Dienst-Porsche vor Udo’s Imbiss ab und stiegen aus.
In Udo's Imbiss trafen wir ein halbes Dutzend Gäste an. Wir befragten sie der Reihe nach. Eine Krankenschwester war darunter, zwei Männer, die bei der Berufsfeuerwehr waren und ein Nachtwächter, eines nahe gelegenen Wohnblocks.
Menschen, die arbeiteten, wenn andere längst schliefen.
Manche von ihnen gaben an, regelmäßig in Udo’s Imbiss zu sein. Der Mann von der Feuerwehr und eine der Krankenschwestern waren auch in jener Nacht hier gewesen als Rademacher ermordet wurde.
Aber sie waren ihm nicht begegnet.
„Wenigstens haben wir jetzt den Zeitpunkt des Mordes noch etwas mehr eingrenzen können“, meinte Rudi, als wir ins Freie traten. Die kühle Luft hier draußen sorgte dafür, dass ich wieder etwas wacher wurde.
„Überlegen wir mal, was geschehen ist, Rudi“
„Muss das sein, Harry?“
„Rademacher wurde angerufen. Nehmen wir mal an von Gerighauser, der ihm vielleicht gesagt hat: Ich warte auf dich hier draußen!“
„Er wollte nicht in die Imbiss, um später nicht identifiziert werden zu können.“
„Genau, Rudi. Gerighauser war wahrscheinlich schon an der Kaimauer und hat dort auf Rademacher gewartet.“
Wir gingen in Richtung der Kaimauer, wo noch immer die Blutlache zu sehen war und kamen dabei an dem Lagerhaus auf der linken Seite vorbei.
Als wir schon ein paar Meter vorbei waren, hörten wir ein Geräusch, das aus dem Gebäude drang. Irgendetwas schepperte.
„Da ist jemand drin!“, stellte ich fest.
„Sicher nur eine streunende Katze oder so etwas, Harry...“
Ich ging zurück zum Lagerhaus. Das Haupttor war verschlossen. Aber der Seiteneingang, der nur für Personen gedacht war, ließ sich leicht öffnen. Ich nahm die Waffe aus dem Holster und ging hinein.
„Polizei! Ist hier jemand?“
Es war kaum etwas zu sehen. Durch ein paar hohe Fenster fiel etwas Licht. Wieder war ein Geräusch zu hören. Ich wirbelte herum. Eine Bewegung war in der Dunkelheit zwischen zwei großen, zwei Meter hohen Cargo-Kisten zusehen. Rudi fand unterdessen den Lichtschalter.
Die Neonröhren blitzten grell auf.
Ein Mann in einem fleckigen Wollmantel stand zwischen Cargo-Kisten. Er hielt ein Messer in der Hand. Die Augen waren weit aufgerissen. Er zitterte leicht. Offenbar hatten wir einen Obdachlosen gestört, der sich in dem Lagerhaus einquartiert hatte.
„Ganz ruhig“, sagte ich. „Es wird Ihnen niemand etwas tun.“ Der Mann schien das nicht so ohne weiteres glauben zu wollen.
Er blieb in Abwehrstellung.
Ich steckte die Waffe ein und zeigte ihm meine Hände.
„Es ist alles in Ordnung. Wir sind hier vorbeigekommen und haben ein Geräusch gehört. Dass ist alles.“
„Lassen Sie mich einfach gehen“, sagte der Mann.
„Wir wollen Sie nicht mal vertreiben“, sagte Rudi. „Schließlich sind wir vom BKA – und nicht von der Hafenverwaltung.“
Der Obdachlose atmete tief durch und ließ das Messer sinken.
„Übernachten Sie öfter hier?“, fragte ich.
Erst druckste er etwas herum, dann gab er zu, ab und zu in dem Lagerhaus zu übernachten.
Ich fragte ihn nach der Nacht, in der Rademacher ermordet wurde. Wieder druckste er ziemlich herum. Ich ging vorsichtig auf ihn zu. „Wir wollen einfach nur wissen, ob Sie etwas gesehen haben. Ein Polizist wurde in dieser Nacht am Kai ermordet. Wenn Sie da waren, konnten Sie die Blutlache sehen. Auch jetzt ist der Asphalt dort noch immer verfärbt.“
Der Obdachlose schien sich nicht ganz schlüssig zu sein, ob er nun etwas sagen sollte oder nicht. Aber ich hatte sofort das Gefühl, dass er etwas wusste. Er wollte nur nicht in die Sache hineingezogen werden. Vielleicht hatte er schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht oder fürchtete, wegen irgendwelcher kleinkriminellen Delikte belangt zu werden.
Er atmete tief durch.
„Zeigen Sie mir mal Ihren Ausweis?“, fragte er schließlich.
Ich gab ihm meine ID-Card und er sah sie sich eine Weile nachdenklich an. Eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass er tatsächlich an unserer Identität als Kriminalbeamte zweifelte. Er wollte