Zusammengefasst: Der Rechtspopulismus ist eine antipluralistische Ideologie, die AfD eine radikal rechtspopulistische Partei, die ein ideologisches Kontinuum bis tief in den Rechtsextremismus unterhält. Nur wenn wir rechten Populismus als demokratiegefährdende Ideologie statt als demokratisches Stilmittel verstehen, können wir rechte Populisten begrifflich so isolieren, wie es eine Demokratie aus Selbstschutz tun sollte. Verstehen wir Populismus als ein Stilmittel, das von »Guten« wie auch von »Bösen« eingesetzt werden kann, dann legitimieren wir mit unserer Sprache das Böse über das Gute. Sowenig wie es »alternative Fakten« gibt, gibt es daher auch keinen »guten Populismus«. Gewiss ist Eliten-Kritik legitim und notwendig, aber die Vorstellung von einem homogenen Volk ist schlichtweg Fiktion. Und der Nativismus will aus dem Demos einen Ethnos machen.
All das soll nicht heißen, dass es nicht auch einen typischen Sprach- und Kommunikationsstil von Populisten gibt. Im Gegenteil: Die Sprache ist das schärfste Schwert des Populismus. Weil Populisten besonders effektiv kommunizieren, übernehmen andere Politiker auch ständig Begriffe oder Denkfiguren des Populismus. Als Martin Schulz zu Beginn seines Wahlkampfs über »selbsternannte Eliten« schimpfte und der ZEIT sagte, »Ich gehöre nicht zum Machtkartell«, dann war das ein billiges Blasen in das Anti-Establishment-Horn der AfD. Schulz ist kein Populist, aber in solchen Aussagen hat er die populistische Ideenwelt der AfD auf sich abfärben lassen. Warum deren sprachliche Ausdrucksformen so verlockend sind, soll der nächste Abschnitt zeigen.
FRAMES FÜR DAS VOLK!
»Die AfD hat die Grenzen des Sagbaren verschoben.« In fast keiner Analyse über die Partei fehlt dieser Satz. Diskursforschende verstehen unter dem »Sagbaren« alle Äußerungen und Begrifflichkeiten, die in öffentlichen Debatten verwendet werden können, ohne dass der Redende mit Sanktionen rechnen muss. Dabei können die Sanktionen von ganz unterschiedlichem Ausmaß sein, von Rügen und Empörungen anderer Diskutanten, zum Beispiel wenn gesellschaftliche Tabus gebrochen werden, bis hin zu strafrechtlichen Mitteln etwa im Fall von Verleumdungen oder Volksverhetzung. Die verbalen Grenzüberschreitungen von Rechtspopulisten bewegen sich in den meisten Fällen in Bereichen, die nicht justiziabel sind. Das heißt, sie wenden sich sprachlich nicht gegen die Rechtsordnung, dafür umso mehr gegen die bestehende Diskursordnung, die so etwas wie eine Übereinkunft bezüglich des gegenseitigen Respekts und Anstands darstellt. Diese Diskursordnung ist ihrer Meinung nach unter der Kontrolle des verhassten Establishments und für dieses ein wichtiges Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument. Die Revolte dagegen, das Aufbrechen von »Denkverboten«, das Aussprechen »unbequemer Wahrheiten«, die Verbannung von »politischer Korrektheit« gehört nach Meinung von Rechtspopulisten zu den wichtigsten ersten Maßnahmen in der Befreiung des Volkes. Provokationen, Brüche gesellschaftlicher Konventionen und Grenzüberschreitungen sollen maximale Empörung und somit maximale Aufmerksamkeit generieren. Und das bleibt nicht folgenlos. Björn Höcke sagt in dem Buch des FAZ-Journalisten Justus Bender, dass man Erfolge in der Politik erreichen könne, indem man Tabubrüche so lange wiederhole, bis sich die Menschen daran gewöhnt hätten. Das ist der Kern der gesellschaftlichen Wirksamkeit der AfD.
Entscheidend ist also, was aus den permanenten Grenzüberschreitungen folgt: Mit der Veränderung des Sagbaren verändert sich nicht allein der Sprachgebrauch von Menschen, sondern das, was sie als »Wirklichkeit« und »Normalität« empfinden. Es verändert sich nicht nur das Reden, sondern auch das Denken. Das Konzept der Konstruktion von Wirklichkeit durch Sprache geht unter anderem auf den französischen Soziologen Michel Foucault zurück. Foucault verstand gesellschaftliche Diskurse als »Kämpfe« um die Bestimmung von Wirklichkeit, kurz »Wahrheitsspiele«. Für die AfD sind diese Wahrheitsspiele die wichtigste Disziplin, um gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen. Die AfD verändert im ersten Schritt die Sagbarkeit, im zweiten aber auch die Normalität. Wenn sich Normalität verändert, verändert sich Realität, denn in der Realität strebt eine Gesellschaft nach Normalität. Was als normal gilt, kann nicht mehr zum Problem erklärt werden. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einem »Normalitätspanzer«, den sich eine Gesellschaft zulegt. Er führe dazu, dass das Normale nicht nur durch Eliten und Medien, sondern auch in der alltäglichen Kommunikation am Arbeitsplatz oder in Vereinen nicht mehr sanktionsfrei problematisiert werden kann.
Nachvollziehbar wird die sprachliche Konstruktion von Normalität an einem konkreten Beispiel in den Aufzeichnungen des jüdischen Schriftstellers Victor Klemperer. Über die Wirkmacht von Sprache lieferte er schon Jahre vor Foucault eine brillante Fallanalyse der »Sprache des Dritten Reiches«:
»Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Gift-Wirkung doch da.«
Klemperer erkannte, dass die Nazis nicht mit ihrer Sprache die Wirklichkeit beschrieben, sondern mit der Sprache erst eine Wirklichkeit erschufen, in der es eine Notwendigkeit für die Verfolgung und Vernichtung der Juden gab, die als Feinde eines Volkes markiert wurden, das ebenfalls neu erdacht wurde: »Volk wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen«, schrieb Klemperer 1933, »an alles gibt man eine Prise Volk«.
Wir sollten also davon reden, dass die AfD durch sprachliche Grenzüberschreitungen versucht, Normalität zu verschieben – Normalität, aus der die Politik ableitet, was gesellschaftliche Probleme sind und welche Antworten im Spektrum von möglichen Problemlösungen zur Verfügung stehen. Der Überfluss an aggressiven Begriffen, welche die AfD und ihre Gesinnungsgenossen aus dem Spektrum der Neuen Rechten dafür einsetzen, füllt mittlerweile ganze Wörterbücher. Das »Wörterbuch des besorgten Bürgers« von Wissenschaftlern der Universität Leipzig dokumentiert, welche rechtsradikalen Begriffe in den letzten Jahren Karriere machten und zum Teil aus der Zeit des Nationalismus rehabilitiert wurden. Solche Begriffe beziehen sich zum allergrößten Teil auf den ideologischen Kern des Rechtspopulismus – also die Bedrohung des stets aufrichtigen Volkes durch das notorisch korrupte Establishment und die von ihm instruierte Massenmigration. Laut dieser rechtspopulistischen Wirklichkeit leben wir unter einer »Kanzlerdiktatorin« statt unter einer demokratisch legitimierten Regierung. Das zentrale Projekt der »Volksverräter« ist der »Bevölkerungsaustausch« beziehungsweise die »Umvolkung« der »Biodeutschen«, welche durch die »Asylflut« erreicht werden soll, von der gelenkten »Lügenpresse« publizistisch legitimiert und von »grün-links versifften« »Gutmenschen« beklatscht wird. Diese »illegale Masseneinwanderung« erfüllt möglicherweise gar den Tatbestand des »Völkermordes« nach der entsprechenden UN-Konvention, in jedem Fall aber gelte es, das »Völkische« zu stärken und die »Männlichkeit« in Deutschland wiederzuentdecken, um »wehrhaft« zu werden. Weil die Zeit davonrenne, sei jetzt eine »Tat-Elite« gefragt, die dem Treiben der »Pseudo-Elite« ein Ende bereite. Diese wörtlichen Zitate stammen aus den Mündern von Alexander Gauland, Frauke Petry, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Ralph Weber und Jörg Urban. Menschen, die allesamt Spitzenämter in der AfD oder mindestens Mandate für die Partei in Landtagen einnehmen bzw. einnahmen.
Im Dunstkreis der AfD gesellen sich zu diesem Standardvokabular Begriffe aus dem sogenannten »vorpolitischen Raum«, also außerhalb von Parteien und politischen Institutionen. Dort operieren Initiativen wie Pegida, das Institut für Staatspolitik oder die Identitäre Bewegung, die mitunter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber von AfD-Vertretern als »Vorfeldorganisation«, also natürliche Verbündete, gesehen werden.17 Ihre Symbole sind bei AfD-Kundgebungen regelmäßig präsent. Für die Wirkung auf die Zielgruppe spielt es keine große Rolle, ob ein AfD-Politiker in seiner Rede selbst die Regierung als »Volksverräter« beschimpft oder ein paar Burschen in der erste Reihe diese Parole anstimmen, wenn der Redner selbst nur den Namen Merkel ausspricht. Spitzenpersonal wie Alice Weidel oder Jörg Meuthen würden Begriffe wie »Volksverräter« – eine Ableitung von dem unter Hitler eingeführten Strafbestand