Mit der neuen Ermittlungsgruppe um Peter Egloff, Sascha Hayo und Denise Glauser hatte Felber seine liebe Mühe. Sie arbeiteten seriös, nach Reglement, nach Polizeischule, gaben ihm aber wenig Einblick in die Untersuchung, da sie es für unprofessionell hielten, dass er als direkt Betroffener sich nicht raushielt.
Felber hingegen war überzeugt, dass er – gerade weil er direkt betroffen und weil er nicht an die gängigen Ermittlungsrichtlinien gebunden war – einen viel besseren Zugang hatte. Statt mit reglementarisch festgelegten Detailuntersuchungen, Laborberichten und staatsanwaltlich abgestimmten Ermittlungsschritten Zeit zu vergeuden, konnte er viel zielgerichteter vorgehen. Allein während seines Aufenthalts in Freiburg hatte er mit Sicherheit viel mehr interessantes Material zusammengetragen, als es die Kollegen in Jahren korrekter Polizeiarbeit tun würden. Das Problem war nur, dass er mit seinen Erkenntnissen nicht bei ihnen anklopfen konnte, weil sie ihn nicht ernst nahmen. Und wenn er ganz ehrlich war, wollte er das auch nicht. Bei der Sache mit den geheimnisvollen Todesanzeigen war er mehrmals angebrannt.
»Petra, du weißt selber, dass die Ermittlungen nicht vorankommen. Da ist nichts Neues, keine einzige Spur«, verbesserte er die viel zu positive Schilderung der Dienstchefin.
»Was würde denn deiner Meinung nach etwas bringen?«, versuchte sie ihn aus der Reserve zu locken, aber Felber winkte nur müde ab.
»Ich bin mir schon bewusst, dass du es mir nicht sagen würdest, wenn du auf eigene Faust ermittelst.« Sie schaute ihm über den Rand ihrer Brille streng in die Augen.
Felber hob fragend die Augenbrauen und schwieg.
Nach einer Weile senkte sie seufzend den Blick. »Du kennst meine Vorgaben, ich möchte mich nicht wiederholen.«
Felber nickte ergeben. Das Gespräch hatte einen seltsamen Charakter angenommen. Nicht wie unter zwei Vertrauten, die offen miteinander redeten, es war eher ein vorsichtiges gegenseitiges Umkreisen.
»Die Auszeit hatten wir an therapeutische Maßnahmen geknüpft. Siehst du Hofmann regelmäßig? Habt ihr etwas Weiterführendes aufgegleist?«
»Nun ja, ich kann diese Woche mal zu ihm gehen.«
»Was hast du in den letzten zwei Wochen gemacht?«, fragte sie ungewohnt streng.
Felber zuckte mit den Schultern und gab keine Antwort. Vor dem Fenster kreuzten sich die Stromabnehmer zweier Trams, mehr war vom ersten Stock aus nicht zu erkennen.
Petra Meienberg musterte ihn lange und schüttelte dabei langsam den Kopf. »Pascal, ich bin in einer schwierigen Lage. Ich will, dass du bald zurückkommst. Solche … Probleme kommen vor, und dafür macht der Kanton ein Case Management. Aber ich bin auf deine Kooperation angewiesen. Das Personalamt, ja, wir alle wollen, dass du bald wieder einsatzfähig bist. Und zwar voll und ganz.«
»Ja, klar.«
»Wir wollen ausschließen, dass jemand nach einer Auszeit zurückkommt und auf der gleichen Schiene weiterfährt wie vorher, dass sich das Problem hinzieht, verschlimmert …« Sie starrte auf die Brille, die sie abgenommen hatte und in der Hand hielt. »Ich weiß, dass es nichts bringt, aber ich sage es dir doch: keine Privatermittlungen, Pascal! Du hast keinen Ermittlungsauftrag, und vor allem hast du während der Auszeit keinen Zugriff auf Ressourcen der Kriminalpolizei. Alles, was du an Ideen hast, kannst du den Kollegen weitergeben, die den Fall untersuchen. Dein persönlicher Kreuzzug darf keinen Einfluss auf deinen Job haben.«
Nach dem Gespräch ging Felber zu seiner Abteilung, wo man ihn freudig überrascht, aber auch etwas verlegen begrüßte. Felber war erstaunt, wie weit er sich in den wenigen Wochen von seiner Arbeit distanziert hatte. Er kam sich vor wie die Kollegen im Ruhestand, die ab und zu mal auf einen Schwatz vorbeischauten und mit alten Geschichten aufwarteten. Oder wie die pensionierten Kollegen seines Vaters, mit denen er in den letzten Wochen in Freiburg geredet hatte. Man hörte ihnen höflich zu, um sich nach dem Besuch wieder den ernsthaften Fällen, der professionellen Polizeiarbeit zu widmen.
In diesem Moment konnte sich Felber schwer vorstellen, zurückzukehren, ein Rädchen in diesem ewig gleichen Getriebe zu sein. Aber gut, dieses Gefühl hatte er schon länger, wahrscheinlich war es ihm durch die Auszeit nur bewusster geworden. Doch er war nun mal Kriminalpolizist und in etwas mehr als einer Woche wieder im Dienst. Er hoffte, bis dahin endlich die Sache mit Deborah gelöst zu haben oder wenigstens für sich ablegen zu können.
Lukas Baumgartner war noch unterwegs. Pamela Galtzidis, die charmante Sekretärin, machte Felber einen Kaffee, plauderte über dies und das, als wäre er nie weg gewesen. Der Hausmeister mit der getönten Brille, dieser Monn, kam kurz vorbei, zog sich aber bei Felbers Anblick sofort wieder zurück.
Baumgartner tauchte nach einer Viertelstunde auf. »He, Chef, schön, dich zu sehen!«
»Chef«, wiederholte Felber und folgte ihm in sein Büro.
»Komm, nimm dir einen Stuhl, setz dich.«
»Baumgartner, ich komme nicht aus dem Pflegeheim!«
Der groß gewachsene Beamte, der im letzten Jahr so viel an Profil gewonnen hatte, dass es Felber ihm gegenüber sogar ein-, zweimal angedeutet hatte, setzte sich auf den Drehstuhl und zog sich an der Tischplatte ein Stück zum Chef rüber. »Wir machen beim Toten von der Allmend mit, dem Politiker«, sagte er voller Stolz, als handle es sich um einen Song Contest oder eine Quizshow mit Riesengewinn.
»Spannend«, entgegnete Felber ohne eine Spur von Begeisterung und wechselte das Thema. »Erinnerst du dich noch an den Fall Leandra Winter?«
»Winter?« Baumgartner musste kurz überlegen. Dann nickte er. »Ja, klar.«
»Da war außerdem Sabrina Malic, die junge Frau, die diesem Léon Nacktfotos geschickt hatte. Ihre Kolleginnen hatten die Bilder im Netz verbreitet.«
Baumgartner nickte ernst. Die Handelsschülerin aus einer serbischen Familie hatte sich daraufhin mit Medikamenten aus der Hausapotheke das Leben genommen.
»Eine dieser Kolleginnen, die wir wegen Cybermobbing einvernommen hatten, war Mitglied einer religiösen Gemeinschaft.«
Baumgartner folgte gebannt Felbers Ausführungen.
»Kannst du mir ihre Personalien geben?«
Baumgartner grinste. »Haben wir gleich.«
Dass Baumgartner kooperativ sein würde, damit hatte Felber gerechnet. Aber dafür, dass er ihn nicht einmal fragte, warum und in welcher Sache Felber die Informationen brauchte, schrieb er ihm ein paar Extrapunkte gut.
Felber schaute ihm von der Seite zu, wie er geübt am Computer hantierte und die gewünschten Informationen an den Drucker schickte. »Scheinst gut zurechtzukommen«, stellte er fest.
Baumgartner hob fast entschuldigend die Schultern.
»Gewöhn dich nur nicht zu sehr daran. Übernächste Woche bin ich wieder da.«
»Da bin ich froh, Chef, ganz ehrlich. Die Leitung des Teams ist ein Heidenstress. Ist mir erst jetzt bewusst geworden, was du da immer leistest!«
Felber legte ihm väterlich eine Hand auf die Schulter, bevor er mit dem gewünschten Ausdruck die Abteilung verließ.
Am Abend googelte Felber die »Rosentempler« und fand tatsächlich eine Webseite, die im Stil der 90er-Jahre gehalten und auf den ersten Blick total unübersichtlich war. Es wimmelte von religiösen Sprüchen und Zitaten irgendwelcher spirituellen Meister und Bildern von Leuten auf Versammlungen. Eine ganze Seite verwies auf weiterführende Literatur: »Das Leben der Meister im Osten«, »Die großen Eingeweihten«, Bücher von Osho und einem Aleister Crowley über spirituelle Suche, Meditation und Bewusstseinserweiterung.
Dann gelangte Felber auf eine Art Porträtgalerie und stellte mit Befremden fest, dass es sich bei den Porträtierten um Personen handelte, die in Cheiry und