„Gerne. Doch erst einmal ankommen. Tulum müssen wir uns auch anschauen. Eine gut erhaltene Festung der Mayas, hoch oben über den Klippen. Sie haben schon zu damaliger Zeit Leuchtfeuer für ihre Seefahrer entzündet, damit sie heil durch die gefährlichen Riffe kamen. Wenn allerdings ein Angriff drohte, löschten sie diese, und die Schiffe schlugen dort leck und versanken. Es sollen noch etliche Wracks am Meeresgrund liegen.“
„Oh, dann könnten wir danach tauchen!“ Die Vorstellung, in der kühlen Karibik zu tauchen, erfüllte sie mit neuer Energie.
„Na ja, ich weiß nicht. Hier gibt es Haie.“
„Oha, na dann …“
„Aber wir können in den Cenotes tauchen. Das sind Süßwasserhöhlen, die ein weit verzweigtes Netz haben. Manche haben sogar Zugang zum Meer. Und dann gibt es noch die Pyramide Chichén Itzá. Dort wurden Menschenopfer dargebracht.“
„Igitt!“, erwiderte Gerda spontan. „Vielleicht spukt es da.“
Rolf brach in lautes Gelächter aus. „Du mit deinem Geisterunsinn!“
„Lach du nur. Du wirst sehen. Es gibt ein Leben nach dem Tod!“, beharrte Gerda.
„Halt! Hier müsste es ein!“ Gerda beugte sich ein wenig vor, um besser sehen zu können. Auf der rechten Seite befand sich der „Parkplatz“ mit dem Hinweisschild „El Paraíso Resort“. Ein großer Sandplatz, den Buschwerk und Palmen umsäumten.
Gegenüber stand anscheinend das Hauptgebäude, eingerahmt von gigantischen Bougainvilleas in leuchtendem Pink.
Ein letztes Schlagloch wurde vorsichtig überwunden, und gleich darauf parkten sie an einem schattigen Platz.
Zuvor hatten sie die asphaltierte Straße gegen einen sandigen Naturweg eintauschen müssen und fürchteten schon, sich verfahren zu haben. Für eine Weile begleitete sie der entsetzliche Verwesungsgeruch eines überfahrenen Stinktiers, dann glich die Fahrt auf dem unebenen Untergrund eher einem Rodeo-Ritt.
„Wir lassen besser nichts im Wagen“, empfahl Rolf.
Er wuchtete die Reisetaschen aus dem Auto und drückte seiner Frau eine davon in die Hand.
Augenblicklich brach ihnen der Schweiß aus allen Poren.
„Es wird immer schwüler“, bemerkte Gerda. Sie überquerten die „Straße“ und kämpften sich durch den lockeren Sand zum Seiteneingang.
„Oh, sieh nur!“ Gerda stieß einen Entzückungsruf aus. Vor ihnen breitete sich ein kleiner durchlässiger Palmenhain aus, und gleich dahinter, etwas abschüssig, glänzte völlig unbescheiden die Karibik in ihrem einzigartigen Smaragdgrün, das sich, je weiter man hinausschaute, in ein tiefes Türkis verwandelte. Einladend spiegelglatt präsentierte sie sich den Neuankömmlingen.
„Lass uns als Erstes ein Bad nehmen“, rief Gerda enthusiastisch.
„Nicht so stürmisch, junge Frau. Erst die Anmeldung und dann unser Quartier beziehen.“
Rolf trat in das offene Gebäude ein und stand auch sofort der Rezeption gegenüber. Ein enormer Propeller an der Decke verwirbelte die heiße Luft.
Eine junge blonde Frau mit Pferdeschwanz lächelte ihnen entgegen. Ihr leichtes Sommerkleid umspielte ihren braungebrannten Körper im Luftstrom des Ventilators. „Herzlich willkommen!“, sprach sie die beiden auf Deutsch an. „Hattet ihr eine gute Reise?“
„Ja, danke! Abgesehen vom Gestank eines überfahrenen Stinktiers haben wir uns tapfer hierhergeschaukelt.“
Die junge Frau lachte und reichte die Hand zur Begrüßung. „Daran gewöhnt man sich, wenn man hier länger lebt. Ich bin Vera. Wenn ihr etwas wissen wollt oder etwas braucht, könnt ihr mich jederzeit fragen. Möchtet ihr zuerst eure Cabaña sehen? Oder sofort die Anmeldung vornehmen?“
„Ich würde gerne so schnell wie möglich ins Meer springen“, sagte Gerda und pustete eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Na, dann kommt.“ Sie schaute auf die Uhr, die hinter ihr an der Wand hing. „Ja, dann solltet ihr euch beeilen, ab 17.00 Uhr wird es regnen.“
„Oh, ist der Regen hier immer so pünktlich?“, staunte Gerda.
„Ja, tatsächlich. In der Regenzeit kann man davon ausgehen, dass sich ab 16.30 Uhr der Himmel zuzieht, und spätestens um 17.00 Uhr beginnt es zu regnen und kommt mitunter auch zu Gewittern. Ich will euch keine Angst machen, aber auch Hurrikans sind in dieser Zeit möglich. – Habt ihr schon mal tropischen Regen erlebt?“, versuchte sie die beiden abzulenken, als sie Rolfs bedenklichen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Nein, noch nicht.“
„Ist ein tolles Schauspiel, das ihr von eurer Veranda aus genießen könnt.“
„War doch richtig schön, gestern Abend.“ Gerda räkelte sich genüsslich im Sand in der kleinen Bucht, die sie und Rolf auf ihrer Fahrt mit dem gemieteten Motorboot entdeckt hatten. Sie war menschenleer und traumhaft schön. Möglicherweise war sie vom Land aus unzugänglich. Laut Vera, der Besitzerin von „El Paraíso“, gab es noch undurchdringlichen Dschungel in dieser Gegend. Schlangen, Skorpione und sogar Jaguare lebten hier. Ebenso Leguane, die ihnen ständig auf ihren Wegen begegneten.
„Schön war vor allen Dingen, dass sich unsere Kleine aufrichtig gefreut hat, uns zu sehen“, schwärmte Rolf. „Aber sag, was hältst du von diesem Dave?“ Rolf merkte man bereits an, dass er nicht sehr begeistert war.
„Ist okay! Hauptsache, Sabrina lässt sich emotional nicht zu sehr auf ihn ein. Er ist ein Abenteurer. Dennoch wird er bei ihrer weiteren gemeinsamen Tour gut auf sie aufpassen, und das sollte uns eine Beruhigung sein. Aber ein Mann fürs Leben ist ER sicher nicht!“
„Das Gefühl hatte ich auch!“ Rolf schien erleichtert. Seine Kleine war viel zu jung für eine feste Bindung.
„Meinst du nicht, dass wir so langsam zurückfahren sollten?“ Gerda stützte sich auf die Ellenbogen, als sie sich aufrichtete und zum kleinen Motorboot hinüberschaute. Ein offenes Sportboot mit Außenbordmotor, das sie sich unweit ihrer Anlage geliehen hatten.
„Wie spät mag es denn sein?“, fragte Rolf zurück.
„Keine Ahnung, vielleicht vier Uhr? Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, mein Schatz.“
„Na dann komm mal her, du Glückliche. Bist du schon mal an einem Strand in der Karibik vernascht worden?“
„Rolf! Wir sollten wirklich los“, lachte Gerda.
„Du hast mir honeymoon versprochen“, entgegnete Rolf und zupfte sanft mit seinen Lippen an ihrem Ohrläppchen.
„Schatz, der Regen …“, hauchte sie halbherzig.
„Wie aufregend“, flüsterte Rolf.
Als sie später das Boot ins Wasser schoben, lächelten sie sich glücklich an.
Das Meer zeigte sich kristallklar, als das Boot die Wasseroberfläche zügig durchschnitt. Gerda stand neben ihrem Mann am Ruder und genoss die Fahrt.
Als sie sich umdrehte, um einen letzten Blick zur Bucht zu werfen, erschrak sie. Hinter ihr baute sich eine Wetterfront tiefschwarz auf. Das Meer unter ihr verdunkelte sich beängstigend.
„Rolf!“, rief Gerda beunruhigt und deutete nach hinten.
„Das schaffen wir. Mach dir keine Sorgen.“
Doch gleich darauf wurde die See unruhig.
Gerda suchte ihren Anleger auszumachen, um die Entfernung abzuschätzen. Er schien noch entsetzlich weit entfernt. Wieder drehte sie sich um. Die dunklen Wolken kamen rasch näher. Der Wind frischte weiter auf, und die Wellen wurden