»Nein! nimmermehr«, schrie Peregrinus entsetzt, indem er die Dame hinabsinken ließ. »Wie«, rief diese, »wie, Peregrin, du willst mich verstoßen und kennst doch mein fürchterliches Verhängnis und weißt doch, dass ich Kind des Unglücks kein Obdach habe, dass ich elendiglich hier umkommen muss, wenn du mich nicht aufnimmst bei dir wie sonst! – Doch du willst vielleicht, dass ich sterbe – so geschehe es denn! – Trage mich wenigstens an den Springbrunnen, damit man meine Leiche nicht vor deinem Hause finde – ha – jene steinernen Delphine haben vielleicht mehr [34]Erbarmen als du. – Weh mir – weh mir – die Kälte.« – Die Dame sank ohnmächtig nieder, da fasste Herzensangst und Verzweiflung wie eine Eiszange Peregrins Brust und quetschte sie zusammen. Wild schrie er: »Mag es nun werden wie es will, ich kann nicht anders!« hob die Leblose auf, nahm sie in seine Arme und zog stark an der Glocke. Schnell rannte Peregrin bei dem Hausknecht vorüber, der die Türe geöffnet, und rief schon auf der Treppe, statt dass er sonst erst oben ganz leise anzupochen pflegte: »Aline – Aline – Licht, Licht!« und zwar so laut, dass der ganze weite Flur widerhallte.
»Wie? – was? – was ist das? – was soll das heißen?« So sprach die alte Aline, indem sie die Augen weit aufriss, als Peregrinus die ohnmächtige Dame aus dem Mantel loswickelte und mit zärtlicher Sorgfalt auf den Sofa legte.
»Geschwind«, rief er dann, »geschwind, Aline, Feuer in den Kamin – die Wunderessenz her – Tee – Punsch! – Betten herbei!«
Aline rührte sich aber nicht von der Stelle, sondern blieb, die Dame anstarrend, bei ihrem: Wie? was? was ist das? was soll das heißen?
Da sprach Peregrinus von einer Gräfin, vielleicht gar Prinzessin, die er bei dem Buchbinder Lämmerhirt angetroffen, die auf der Straße ohnmächtig geworden, die er nach Hause tragen müssen, und schrie dann, als Aline noch immer unbeweglich blieb, indem er mit dem Fuße stampfte: »Ins Teufels Namen, Feuer sag ich, Tee – Wunderessenz!«
Da flimmerte es aber wie lauter Katzengold in den Augen des alten Weibes, und es war, als leuchte die Nase höher auf in phosphorischem Glanz. Sie holte die große schwarze Dose hervor, schlug auf den Deckel, dass es schallte, und [35]nahm eine mächtige Prise. Dann stemmte sie beide Arme in die Seite und sprach mit höhnischem Ton: »Ei seht doch, eine Gräfin, eine Prinzessin! die findet man beim armen Buchbinder in der Kalbächer Gasse, die wird ohnmächtig auf der Straße! Ho ho, ich weiß wohl, wo man solche geputzte Dämchen zur Nachtzeit herholt! – Das sind mir schöne Streiche, das ist mir eine saubere Aufführung! – Eine lockere Dirne ins ehrliche Haus bringen und, damit das Maß der Sünden noch voll werde, den Teufel anrufen in der Heiligen Christnacht. – Und da soll ich auf meine alten Tage noch die Hand dazu bieten? Nein, mein Herr Tyß, da suchen Sie sich eine andere; mit mir ist es nichts, morgen verlass ich den Dienst.«
Und damit ging die Alte hinaus und schlug die Türe so heftig hinter sich zu, dass alles klapperte und klirrte.
Peregrinus rang die Hände vor Angst und Verzweiflung, keine Spur des Lebens zeigte sich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entsetzlichen Not eine Flasche Kölnisches Wasser gefunden und die Schläfe der Dame geschickt damit einreiben wollte, sprang sie ganz frisch und munter von dem Sofa auf und rief: »Endlich – endlich sind wir allein! Endlich, ο mein Peregrinus, darf ich es Ihnen sagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lämmerhirt, warum ich Sie nicht lassen konnte in der heutigen Nacht. – Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verschlossen haben bei sich im Zimmer. Ich weiß, dass Sie dazu keinesweges verpflichtet sind, dass das nur von Ihrer Gutmütigkeit abhängt, aber ebenso kenne ich auch Ihr gutes treues Herz, darum, ο mein guter liebster Peregrin! geben Sie ihn heraus, den Gefangenen!« –
[36]»Was«, fragte Peregrinus im tiefsten Staunen, »was für einen Gefangenen? – wer sollte bei mir gefangen sein?«
»Ja«, sprach die Dame weiter, indem sie Peregrins Hand ergriff und zärtlich an ihre Brust drückte, »ja, ich muss es bekennen, nur ein großes edles Gemüt gibt Vorteile auf, die ein günstiges Geschick ihm zuführte, und wahr ist es, dass Sie auf manches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht geworden sein würde, wenn Sie den Gefangenen nicht herausgegeben hätten – aber! – bedenken Sie, Peregrin, dass Alinens ganzes Schicksal, ganzes Leben abhängt von dem Besitz dieses Gefangenen, dass –«
»Wollen Sie«, unterbrach Peregrinus die Dame, »wollen Sie nicht, englisches Fräulein! dass ich alles für einen Fiebertraum halten, dass ich vielleicht selbst auf der Stelle überschnappen soll, so sagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was für einem Gefangenen.« –
»Wie«, erwiderte die Dame, »Peregrin, ich verstehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar leugnen, dass er wirklich in Ihre Gefangenschaft geriet? – War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften –«
»Wer«, schrie Peregrin ganz außer sich, »wer ist der Er? – Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Sie, mein Fräulein, wer sind Sie, wer ist der Er?«
Da fiel aber die Dame ganz aufgelöst in Schmerz dem Peregrin zu Füßen und rief, indem ihr die Tränen reichlich aus den Augen strömten: »Peregrin, sei menschlich, sei barmherzig, gib ihn mir wieder! – gib ihn mir wieder!« Und dazwischen schrie Herr Peregrinus: »Ich werde wahnsinnig – ich werde toll!« –
Plötzlich raffte sich die Dame auf. Sie erschien viel größer als vorher, ihre Augen sprühten Feuer, ihre Lippen [37]bebten, sie rief mit wilder Gebärde: »Ha Barbar! – in dir wohnt kein menschliches Herz – du bist unerbittlich – du willst meinen Tod, mein Verderben – du gibst ihn mir nicht wieder! – Nein – nimmer – nimmer – ha ich Unglückselige – verloren – verloren.« – Und damit stürzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin vernahm, wie sie die Treppe hinablief und ihr kreischender Jammer das ganze Haus erfüllte, bis unten eine Türe heftig zugeschlagen wurde.
Dann war alles totenstill wie im Grabe. –
[38]Zweites Abenteuer
Der Flohbändiger. Trauriges Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta. Ungeschicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige mikroskopische Versuche und Belustigungen. Die schöne Holländerin und seltsames Abenteuer des jungen Herrn George Pepusch, eines gewesenen Jenensers.
Es befand sich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die seltsamste Kunst trieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiss nicht ohne die größeste Mühe und Anstrengung, gelungen, Kultur in diese kleinen Tierchen zu bringen und sie zu allerlei artigen Kunststücken abzurichten.
Zum größten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schönsten weißen, glänzend polierten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rüstwagen zogen, andre sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patrontaschen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Kommandowort des Künstlers führten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Marschieren in den zierlichsten Entrechats und Luftspringen, das Linksum und Rechtsum aber in anmutigen Pirouetten bestand. Die ganze Mannschaft hatte ein erstaunliches Aplomb, und der Feldherr schien zugleich ein tüchtiger Ballettmeister. Noch beinahe hübscher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kutschen, die von vier, sechs, acht Flöhen gezogen wurden. Kutscher und Diener waren Goldkäferlein der kleinsten, kaum sichtbaren Art, was aber drin saß, war nicht recht zu erkennen.
[39]Unwillkürlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Shakespeares Romeo und Julie so schön beschreibt, dass man wohl merkt, wie oft sie ihm selbst über die Nase gefahren.
Erst wenn man den ganzen Tisch mit einem