1975. Wolfram Hanel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Hanel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783866749115
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nicht«, sagte Lepcke, »ich nehme die Liege.«

      Kerschkamp verschwand auf dem Flur. Als er zurückkam, sagte er: »Das Klo ist okay.«

      »Hä?«, machte Ratte. »Und was ist das da?«

      Er zeigte auf das Bidet, das neben dem Waschbecken stand.

      »Zum Arsch abspülen«, sagte Kerschkamp. »Das ist in Frankreich so.«

      »Echt?«, fragte Ratte und drehte den Wasserhahn auf. »Ist ja irre …«

      Ratte zog den Reißverschluss seiner Jeans auf. Er grinste und pinkelte in das Bidet.

      »Du bist eine Sau«, sagte Lepcke.

      Kerschkamp drehte sich zu Appaz.

      »Willst du im Bett schlafen?«, fragte er. »Dann geh ich auf den Fußboden …«

      »Vergesst es«, sagte Ratte, während er die letzten Tropfen abschüttelte und seinen Schwanz wieder in der Hose verstaute, »ich penne auf dem Fußboden. Ich leg mich doch nicht mit einem von euch ins Bett und lass mich angrabbeln, nee, Leute, nicht mit mir!«

      »Haha«, machte Kerschkamp.

      Als sie in den Gastraum zurückkamen, wartete die fette Frau schon auf sie. Aus der Küche drang der Geruch nach gebratenem Fleisch und altem Öl. Dennoch waren die Pommes dann das einzig Genießbare, die Steaks waren zäh wie Leder, und die Bohnen faserig und kaum weniger hart.

      Sie tranken Rotwein aus der verschmierten Karaffe, die die Frau ihnen auf den Tisch gestellt hatte, zusammen mit einer angestoßenen Platte, auf der ein Camembert zerlief und ein paar einsame Salamischeiben vor sich hin schwitzten.

      Ratte verlangte mehr »pain«. Als die Karaffe leer war, brachte ihnen die Frau wortlos eine neue.

      Appaz merkte, wie ihm der Wein in den Kopf stieg.

      Ratte rülpste und lehnte sich zurück. Aus dem Radio hinter der Theke dröhnte Gilbert Becaud. Monsieur hunderttausend Volt.

      »Scheißmusik«, meinte Kerschkamp und angelte sich die Reste von Lepckes Steak. »Scheißfraß.«

      »Sollen wir dem Ami vielleicht was raus bringen?«, fragte Lepcke.

      »Quatsch«, meinte Kerschkamp mit vollem Mund, während er sich die letzten Pommes auf den Teller schaufelte.

      »Eine Tüte wäre geil jetzt«, stellte Ratte fest. »Morgen müssen wir echt sehen, wo wir was kriegen …«

      Auf dem Weg ins Zimmer hatte Lepcke deutlich Mühe, die Treppenstufen nicht zu verfehlen. Ratte haute sich auf den Boden, schob sich seinen Parka unter den Kopf und furzte.

      Draußen wurde ein Auto angelassen. Wahrscheinlich der R4. Appaz starrte ins Dunkel, bis das Licht der Scheinwerfer über die Tapete huschte. Irgendwo betätigte jemand die Klospülung. Dann war alles still.

      »Nacht«, sagte Kerschkamp.

      »Nacht«, sagte Appaz.

      Ratte schnarchte. Und Lepcke knirschte im Schlaf mit den Zähnen. Die Bettdecke roch nach Mottenpulver.

      Nach einer Weile fing Kerschkamp an zu wichsen. Erst nur ganz vorsichtig, aber dann immer schneller.

      Appaz drehte sich zur Seite.

      Kerschkamp wartete einen Moment, dann erledigte er den Rest. Als er kam, knackte er mit den Zehen. Appaz wurde wach, weil ihm die Sonne ins Gesicht schien. Unten auf dem Platz dröhnte ein Mülllaster. Eine Männerstimme rief etwas auf Französisch.

      Ratte hockte auf dem Bidet. Als er sah, dass Appaz wach war, grinste er.

      »Geil, so’n Bidet.«

      Er drehte den Hahn auf und wischte sich mit der Hand den Hintern ab. Stand auf und zog seine Jeans hoch.

      »Du bist eine solche Sau«, ließ sich Lepcke von seiner Liege vernehmen.

      »Gut geschlafen?«, fragte Appaz.

      »Geht so«, sagte Lepcke.

      Ratte putzte sich die Zähne, wobei er den Schaum spuckend und prustend zu gleichen Teilen auf den halbblinden Spiegel und sein T-Shirt verteilte.

      Schlaftrunken streckte Kerschkamp den Kopf unter der Decke hervor. Auf seiner Nase glänzte ein Eiterpickel.

      Sie beschlossen, auf das Hotelfrühstück zu verzichten und lieber irgendwo unterwegs ein paar frische Baguettes zu kaufen.

      Der Ami hatte die Heckklappe aufgemacht. Er las schon wieder im Steppenwolf.

      3

      In Troyes verfuhren sie sich. Bis sie herausfanden, dass sie immer nur den Schildern »Autres directions« folgen mussten.

      Irgendwo zwischen Sens und Orleans fing Kerschkamp an, von Delius zu erzählen, der bei ihnen in der Parallelklasse war und bei einer Therapiegruppe mitmachte.

      »Mit Schreien und so«, sagte Kerschkamp. »Und neulich hatten sie einen Guru da, aus Indien. So ein Typ, der nichts gegessen hat, weißt du? Der hat immer nur Wasser getrunken und im Yogasitz auf dem Fußboden gehockt. Aber dann war Wochenende, und sie haben ihn aus Versehen eingeschlossen. Und als sie am Montag wieder hinkamen, war der Guru inzwischen verhungert. Stimmt echt, hat mir Delius selber erzählt…«

      »Haha«, machte Ratte von hinten.

      Kerschkamp zuckte mit der Schulter.

      »War aber so, kannst du mir glauben.«

      Ratte schob eine neue Kassette in den Recorder. Genesis. A Nursery Crime. I heard the old man teil his taie, tinker alone within a storm … Aber Lepcke wollte wieder Zappa hören. Roxy and Elsewhere.

      »Auch gut«, meinte Ratte.

      Aber als er die Play-Taste drückte, gab der Kassettenrecorder keinen Ton mehr von sich.

      »Das ist der Scheißspannungswandler, den der Dicke gebaut hat«, fluchte Ratte. »Null Saft. Kannst du vergessen!«

      »Wir können die Taschenlampenbatterien nehmen«, schlug Kerschkamp vor und fummelte die Taschenlampe aus dem Kasten unter der Sitzbank hervor.

      »Scheiße, sind leer«, sagte er, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Lampe anzuknipsen.

      »Leg sie hinter die Windschutzscheibe«, schlug Lepcke vor, »wenn sie richtig heiß sind, funktionieren sie wieder …«

      Kerschkamp packte die Batterien auf die Heizungsschlitze hinter der Scheibe.

      »Das bringt es nicht, ohne Musik zu fahren«, stellte Ratte fest.

      Kerschkamp kramte Appaz’ Mundharmonika aus dem Handschuhfach. Er blies ein paar schiefe Töne.

      »Du musst ziehen«, sagte Appaz, »quetsch die Lippen mehr zusammen …«

      »Das nervt«, rief der Ami von hinten.

      »Bin ich John Mayall oder was?«, fragte Kerschkamp beleidigt und legte die Mundharmonika wieder weg.

      Links von ihnen war die Loire. Appaz hatte sich den Fluss nicht so breit vorgestellt. An manchen Stellen ragten Sandbänke aus dem grünblauen Wasser. Wie kleine Inseln, mit Büschen und sogar Bäumen darauf, deren Zweige dicht über dem Fluss hingen.

      Die Straße war nicht schlecht, aber die Kurven verliefen genau so, dass der Steg der Windschutzscheibe Appaz immer wieder für einen Moment die Sicht nahm. Und der blöde Trockenfisch, den Hansi von seinem Ausflug an die Ostsee mitgebracht und als Glücksbringer an den Rückspiegel gehängt hatte, baumelte nervtötend hin und her, bis Kerschkamp ihn kurzerhand abriss und zwischen die Batterien warf.

      Appaz merkte, dass er langsam müde wurde. Kerschkamp ging es genauso. Aber jedes Mal, wenn er gähnen musste, drehte er sich zur Seite, damit Appaz nichts merkte.

      Appaz brach sich ein Stück Scho-Ka-Kola ab und hielt Kerschkamp die rotweiße Blechdose