»Der Hausmeister ist extern?«, fragte Erdal Yusufoglu ungläubig.
»Ja, nein, nicht wirklich. Der ist noch in der Probezeit. Darum.«
»Hier gehts los«, unterbrach Bodo Kiesekamp und deutete auf einen Monitor. 07:07:25 zeigte die Zeitangabe. Aus verschiedenen Kameraperspektiven sah man zwischen Hecke und Hauswand die Leiche, auf dem Rasen daneben lag der Rasentrimmer, sonst war niemand zu sehen. Das Bild wurde wieder dunkel. Um 07:08:51 kam der Gärtner Lenz Stockmair aus der Kellertür und wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Dann holte er sein Mobiltelefon heraus und telefonierte.
»Jetzt ruft er die Polizei, oder«, sagte Yusufoglu. »Warum war er erst noch drinnen?«
»So derangiert, wie der vorhin ausgesehen hat, vermute ich mal, dass er sich übergeben musste«, meinte Bella Hemberger.
»Wer hat kurz vor sieben Uhr sieben und fünfundzwanzig Sekunden die Kamera ausgelöst? Jemand, der hineingegangen ist? Warum ist er dann nicht auf dem Bild?«, sinnierte Pfeffer. »Es lag also nicht am Bewegungsmelder.«
»Sondern?«, fragte Hartwig unbedarft.
»An der Kamera«, schnaufte Bobo Kiesekamp ungehalten über die Begriffsstutzigkeit seines Vorgesetzten.
»Jemand muss das also manipuliert haben«, sagte Hauptkommissarin Hemberger.
»Unmöglich«, brummte Hartwig.
»Möglich«, brummte Kiesekamp wie ein Echo, »aber sehr unwahrscheinlich. Das muss dann ein echter Profi gewesen sein.«
»So schauts aus«, sagte Max Pfeffer.
»Ich habe vorhin die Logfiles gecheckt«, sagte Bodo Kiesekamp. »Da gab es noch eine Bewegung in den Büroetagen.« Er tippte etwas in seine Tastatur ein. Dann sah man auf einem Monitor, wie ein Mann um 05:48:19 den Büroflur im vierten Stock betrat und in einem Raum verschwand. »Das ist Guido Zumboldt«, erklärte Jürgen Hartwig. »Er hat sein Büro im vierten Stock.« Um 05:53:02 verließ der Mann wieder das Büro, ging den Flur entlang auf die Kamera zu, drückte den Liftknopf und bestieg dann den Fahrstuhl.
»Warum war er so kurz im Büro? Er scheint nichts mitgenommen zu haben. Vermutlich fährt er jetzt runter und geht hinten raus«, sagte Pfeffer. »Damit wäre unsere Tatzeit so gegen sechs Uhr. Sagen Sie, Bodo, wer hat denn das Überwachungssystem hier installiert?«
»Na, im Wesentlichen ich. Also mit meinen Kollegen. Ich habe früher bei SecuCheck gearbeitet. Die haben den Auftrag für den Turm hier bekommen. Dann haben sie mich abgeworben, weil ich mich mit dem ganzen Scheiß eben gut auskenne. Die mich. Um das deutlich zu machen. Also, hier bin ich und verdiene deutlich mehr. Ist nie verkehrt.« Er grinste zufrieden.
»Gut.« Pfeffer machte Anstalten zu gehen. »Geben Sie meinen Kollegen bitte noch die Kontaktdaten der Securitymänner, die heute Nacht Dienst hatten. Und ich erwarte selbstverständlich, dass alle Aufnahmen der letzten Nacht und des heutigen Vormittags nicht wieder überspielt werden. Lassen Sie uns eine DVD von allem erhaltenen Filmmaterial zukommen. Ich werde dann mal nach oben gehen und den Angehörigen die traurige Mitteilung machen.«
»Ich begleite Sie«, sagte Hartwig etwas zu devot und beeilte sich, mit Max Pfeffer Schritt zu halten, als der durch den Büroflur Richtung Ausgang schritt.
»Danke, aber das schaffe ich schon alleine.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Hartwig lächelte entschuldigend. Sie hatten die Fahrstühle erreicht. Hartwig zog eine kleine runde Plastikscheibe, die über eine dünne Kette an seinem Gürtel befestigt war, aus der Hosentasche. Er hielt die Plastikscheibe gegen einen Sensor. »Ohne den Chip können Sie den Fahrstuhl nicht bedienen.«
»Verstehe«, sagte Pfeffer.
»Nur Bewohner bekommen so einen Chip. Anders kommt man nicht in den Einstein-Tower.«
»Tiefgarage und Hintertür eingeschlossen?«
»Tiefgarage und Hintertüren eingeschlossen. Ohne Chip kommt niemand rein. Die Bewohner haben zusätzlich die Möglichkeit, neben dem Chip eine App auf dem Smartphone zu nutzen.«
»Und wer keinen Chip hat, muss am Haupteingang am Pförtner vorbei?«
»Richtig. Wobei wir den Begriff Concierge bevorzugen. Er kann dann den Lift für Lieferanten oder Besucher freigeben, nachdem er sie bei den Herrschaften angemeldet hat.«
Die Lifttür öffnete sich geräuschlos. Im Aufzug hielt Hartwig seinen Chip wieder gegen einen Sensor und drückte dann die Taste zum elften Stock. »Mit dem anderen Lift nebenan könnten wir gar nicht fahren«, erklärte er dabei. »Den können nur die Bewohner nutzen. Der führt direkt in die Wohnungen.«
»Verstehe«, sagte Pfeffer. »Daher gibt es auch keine Aufzeichnung von dem Zeitpunkt, an dem Zumboldt seine Wohnung verlassen hat. Er musste ja gar nicht in den Flur.«
05 »Hedy, hast du das Habsburg-Gilet gesehen?«, rief Alois Zumboldt quer durch die Wohnung. Er fischte sich noch ein Champagnertrüffel aus der Schachtel und schob ihn sich unter die Zunge. Er liebte es, die feine Schokolade langsam im Mund schmelzen zu lassen.
»Das rote oder das blaue?«, kam es aus dem Badezimmer zurück.
»Blau!«
»Wenn es nicht in deinem … ach, Moment, da hast du doch neulich ein Triangel reingerissen.« Hedwig Zumboldt kam zu ihrem Mann in dessen Ankleidezimmer. Ihre Absätze klackten auf dem geölten Eichenparkett. Sie trug ein knöchellanges nachtblaues Dirndl mit hellblauer Schürze und zupfte sich Lockenwickler aus den zu dunkel gefärbten Haaren. Das Mieder mit den Goldknöpfen gab ihrem umfangreichen Körper den Hauch einer Taille und hielt den üppigen Busen hoch. Ihr Blick fiel auf die offene Pralinenschachtel.
»Ach, Alois«, schimpfte sie. »Was soll denn das? Du weißt doch, was die kosten! Die sind außerdem für die Gäste!« Sie begann sofort, die Gästegeschenke zu kontrollieren.
»Hab dich nicht so.« Er schob sich noch einen Trüffel nach. »Die Packung ist eh angebrochen. Da kann ich sie gleich aufessen. Wir kaufen bei Elly Seidl einfach ein paar neue. Liegt quasi auf dem Weg. Was ist nun mit meinem Gilet«, sagte er ungeduldig. »Nicht das mit dem eingerissenen Triangel. Das ist aus grünem Samt. Ich mein das blaue von Habsburg.«
»Zieh halt das schwarze mit den kleinen gestickten Hirschen an. Das passt auch zu deiner Hose und dem Hemd. Ziehst halt den dunklen Janker dazu an, nicht den grünen.« Sie beendete die Geschenkekontrolle. »Jeweils zehn Wiesntische für die fünf. Also mal fünf sind fünfzig. Stimmt. Aber du kannst die Gutscheine doch nicht in dem sterilen Aktenkoffer mitnehmen!«
»Wie denn dann?«
»Das muss passen, Loisl. Wie oft hab ich dir das gesagt. Die Optik zählt. Hier.« Sie zog eine alte abgewetzte Ledertasche hervor. »Die hat Patina. Die schreit: Welcome to Bavaria. Mia san griabig und gmiatli.«
»Als ob da Kines boarisch kenna dad!«
»Ach, Loisl! So, des hamma. Dann: Zwei Kisten Pommery Champagner Cuvée Louise 1999. Wunderbar. Die alte Schnepfe säuft ja nix anderes. Halt, wieso zwei Kisten?«
»Die eine ist für die alte Schnepfe und die andere für Doktor Meinhardt.«
»Hat der uns nicht schon genug abgezockt? Ach, was solls. Wo sind die Pralinen für die anderen Damen und die Chinesen? Ah, hier. Sehr gut. Eine Packung nachkaufen. Passt. Hast du beim Escortservice die fünf Damen bestellt?«
»Drei«, brummte Alois Zumboldt. »Die anderen beiden wollen in den Puff. Alles schon reserviert und bezahlt.«
»Und einen Kerl für die alte Schnepfe?«
»Einen Neger, so wie sie es mag.«
»Gut so, Loisl. So, und jetzt beeil dich, sonst kommen wir noch zu spät.
»Das sagt die Richtige. Du bist ja noch nicht mal mit dem Bad fertig.