Der vorliegende Band macht erstmalig den Versuch, Transformation und Führung sowie den Begriff der Inspiration für Management, Organisations- und Personalentwicklung auf dem Hintergrund westlicher Theologie zusammenzudenken. Ausgehend von der momentan populären Theorie U von Claus Otto Scharmer, die grundlegend von Ansätzen des Buddhismus, also östlichen Denkmodellen, ausgeht, erschließen wir das Thema Inspiration für Führung und Transformation unter Rückgriff auf westliche Ansätze (z. B. Altes und Neues Testament).
Dabei zeigen wir, dass Führung ein immer komplexeres Phänomen wird, das auch über die Person des Führenden hinausgedacht werden muss, nämlich im Kontext von Teamführung als Systemsteuerung und Beziehungsaufbau im Team statt Einzelleistung.
Dabei werden auch die in der Führung üblichen Heldengeschichten und damit verbundenen Annahmen aufgezeigt. Das Ganze wird in exemplarischen Heldengeschichten illustriert. Den Abschluss macht eine organische Ergänzung der Theorie U im Kontext von Zukunftsfähigkeit, nämlich der Ansatz des »Preferred Futuring« von Larry Lippitt.
Allgemeiner Bezugsrahmen sind die Organisationsentwicklungsansätze von Edgar H. Schein, nämlich Helfen, Prozessberatung, Gutes Befragen und Kulturentwicklung, die in langjähriger Zusammenarbeit entstanden sind.
Herausgeber, Autoren und Verlag sind neugierig auf die Rückmeldungen unserer Leser auf diesen Band wie auf die gesamte Reihe, die wir als Möglichkeit zum Dialog innerhalb der globalen Professional Community verstehen.
Gerhard Fatzer
Einleitung
Gerhard Fatzer
Wenn Inspiration auf Organisation trifft, wird Kreativität konkret.
Zum Titel der Einleitung wurde ich durch Britta Schönberger in einem unserer zahlreichen Dialoge inspiriert.
Wie entstand die Idee zu diesem Buch?
Ich hatte mich schon seit über 30 Jahren im Rahmen der Profession als Organisationsentwickler mit den Themen »Veränderung«, »Transformation« und »Führung« oder »Nachhaltigkeit« beschäftigt. Als Herausgeber vieler Standardwerke zu Beratung und Organisationsentwicklung, als Ausbildungsleiter von Lehrgängen und eines eigenen Instituts, als Gastprofessor an vielen Universitäten, als Coach und Berater von Firmen und Führungskräften. Organisationsentwicklung als Wissenschaft, Technologie und Philosophie stellt die Methodik und das Know How für Veränderungsprozesse zur Verfügung, ob dies eine Person, eine Gruppe oder eine ganze Organisation betrifft. Was der OE häufig fehlt, ist die Inspiration. Das Gleiche gilt für Führungskräfte.
Britta Schönberger hatte sich schon seit langer Zeit mit Geschichten, Gleichnissen oder Gedichten beschäftigt, die die spirituelle Welt ihrer Profession, der Theologie, zur Verfügung stellt. Es gibt dazu reichhaltige Quellen. Womit dieses Wissensgebiet sich intensiv beschäftigt, ist Inspiration. Was wieder auflebt, sind die rituellen, traditionellen christlichen Übungen, um Inspiration vorzubereiten. Auch die Kirche als jahrhundertealte weltweite Institution muss sich darum bemühen, inmitten der Tradition und ihren festen Formen Räume für die unverfügbare Inspiration offen zu halten.
Als wir im Rahmen einer Seminarwoche »Transformation und Führung« die Transformationsgeschichte der Theorie U von Claus Otto Scharmer als Grundfolie aus der OE nutzten, wurde klar, dass die OE diesen methodischen Rahmen schon gelegt hatte.
Der spirituelle Rahmen als mentales Modell von Veränderung bildet in seiner Erzählform diesen Prozess anschaulich ab. Es gibt gleichnisartige Transformationsgeschichten in vielfältiger Form. Beispiele dazu sind im Mittelteil kurz geschildert und paraphrasiert. So ist die Frage zu Theorie U und Transformation generell entstanden:
Wenn Presencing oder der Prozess der Umstülpung (sich und seine Seele auf den Kopf stellen) der anspruchvollste Schritt ist, begleitet durch Angst und Widerstand, braucht es dazu ermutigende Heldengeschichten. Können diese Heldengeschichten eine Vorlage sein, um erfolgreiches Presencing zu vollbringen?
Kann man Transformationsfähigkeit als Kernkompetenz einer Führungskraft lernen und üben?
Aus diesem Zusammenführen von OE und spirituellen Heldengeschichten ist die Erkenntnis entstanden, dass einzelne Geschichten auf Gefahren oder erfolgsversprechende Haltungen hinweisen.
Wenn wir dies in einer Landkarte darstellen, treffen sich hier zwei Räume der Transformation, nämlich Organisation (OE) und Inspiration (erlebte Transformationsgeschichten und Spiritualität). Dies haben wir in der nachfolgenden Abbildung veranschaulicht.
Den Lesern und Kunden soll eine verlässliche und verständliche Grundinformation gegeben werden, wie sie Veränderungsprozesse im persönlichen oder im organisationalen Bereich angehen können.
Dies schließt auch an die Grundfrage unseres Kollegen Peter Senge vom M.I.T. an: Können Organisationen oder Systeme lernen oder sind es immer nur Führungskräfte oder Gruppen, die lernen, und Systeme sind eigentlich lernunfähig? Vielleicht ist es so, wie Ed Schein in einem Interview zur »lernenden Organisation« erzählt hat (siehe Profile 8, Fatzer 2008). »Es waren in den Projekten zur lernenden Organisation immer Menschen oder Gruppen, die lernten, nie die Systeme. Im Gegenteil: Bei Ford Corporation wurde der Teil, welcher als Projekt mit uns am M.I.T. zusammenarbeitete, vom System abgestoßen.«
BP oder das größte Umweltdesaster der USA: Transformation und Krise als Sintflut
Im Frühling 2010 erlebten wir mit der Explosion der Plattform »Deepwater Horizon« die größte Umweltkatastrophe der USA im Golf von Mexiko. BP oder British Petroleum betrieb eine von Tausenden von Ölbohrplattformen und -türmen, welche aus der Tiefe von 1.600 Metern Öl aus dem Meeresboden pumpen. Diese explodierte, und es kam die übliche Art des Umgangs mit Katastrophen in Gang.
Eine ganze Armada von Schiffen der BP wurde dorthin geschickt mit dem Auftrag, Kriseninterventionen anzuwenden. Jedermann in der Welt und speziell die betroffenen Bewohner der Anrainerstaaten gingen davon aus, dass BP wüsste, was zu tun sei. Am Anfang wurde primär mit Meldungen operiert, man habe alles im Griff. Wertvolle Tage verstrichen, und BP stellte einen Trichter her, der über das sprudelnde Bohrloch gestülpt werden sollte. Es zeigte sich allerdings, dass in dieser Tiefe die Mischung aus Wasser und Oel das Bohrloch verstopfte (wegen der niedrigen Temperatur). So musste man diesen Lösungsansatz aufgeben. In der Zwischenzeit wurde mit dem massiven Einsatz von Chemikalien versucht, das ausgetretene Öl aufzulösen. Wie man jetzt weiß, bildeten sich einige hundert Meter unter dem Meeresspiegel große Filme oder Vorhänge, die immer noch im Golf von Mexiko großflächig vorhanden sind. In der Zwischenzeit versuchten Forscher herauszufinden, ob dies einen Einfluss auf die Meerestiere haben könnte. Niemand kann es sagen.
Der CEO von BP, ein Techniker, versuchte in einer eher hilflosen Aktion, mit ersten Rettungskonstruktionen das Leck abzudichten. Allerdings traten dabei unvorhergesehene Nebeneffekte auf, z. B. dass die Mischung aus Öl und Wasser mit einer Eisschicht umgeben wurde. Im Sinne der Systemarchetypen (Meadows 2010, Senge 1990, Forrester 1961) deutet