Dass sich ein normaler Bürger qualifiziert beschwert, etwas tut und nicht nur bei einem Bier oder in einem Online-Forum meckert, war anscheinend zusätzlich außergewöhnlich. Gewürzt mit ein bisschen »David gegen Goliath« stimmte dann auch der Chefredakteur bei der verstaubtesten Zeitung zu, dass der Technik-Journalist drüber schreiben darf. Einladungen zu unzähligen Konferenzen, zur EU nach Brüssel und zu Gesprächen mit vielen Experten folgten. Nach fast drei Jahren voller Interviews, Anhörungen in Ausschüssen und Diskussionen lag ein derart reicher Schatz an Informationen, Geschichten und Lösungsvorschlägen vor mir, dass es Sinn machte, diese zusammenzufassen.
Global gesehen stehen wir noch immer erst am Anfang einer total vernetzten Informationsgesellschaft, die vollkommen neue Werte, Machtgefüge und Probleme mit sich bringt. Genau hier ergeben sich viele der spannenden Fragen, welche unseren Umgang mit den rasanten Veränderungen durch die extrem schnell voranschreitende Digitalisierung bestimmen werden. Dieser Schritt zur Informationsgesellschaft ist in vielen Punkten derart tiefgreifend, dass er ähnlich elementar wie seinerzeit die Industrialisierung, die Globalisierung und ähnliche Entwicklungsschritte ist. Wir nennen es regelmäßig das Informationszeitalter und gewöhnen uns schnell an die fast beiläufigen Veränderungen, die jeden Tag einen kleinen Schritt weiter gehen. Unsere Eltern oder Großeltern sagen immer wieder mal melancholisch, dass das früher alles unvorstellbar gewesen wäre und man damals noch Telegramme bekam. Wir fühlen uns etwas alt, wenn wir uns erinnern, dass unser erster Internetanschluss krächzende Geräusche machte und man pro Minute zahlte. Erinnern Sie sich noch an das »Auto Disconnect«, das man dringend aktivieren sollte, damit das Internet nicht weiterlief und die Telefonrechnung explodierte? Wenn Sie kein ISDN hatten, dann hatten Sie aber ohnehin gute Chancen, dass Ihre Familienmitglieder Sie erinnerten: »Dreh endlich dieses blöde Internet ab – ich will telefonieren!«
Das ist gut 10 bis 15 Jahre her. Wir treten jedoch selten einen Schritt zurück und denken über diese Veränderungen nach, überlegen uns kritisch, was neben all den extrem positiven Veränderungen auch ein Rückschritt oder ein Verlust ist. Wir, die einzelnen Nutzer, sind oft nur Beobachter, werden von einer Welle der Veränderung mitgerissen und lassen uns treiben. Ab und zu wird uns etwas mulmig dabei, aber irgendwie treiben ja alle in diesem Strudel, und was genau passiert, ist sowieso nicht so wirklich nachvollziehbar.
Eine der elementarsten Fragen im Strudel der Digitalisierung wird die Macht über Informationen sein, vor allem die Macht über Ihre privaten Informationen, und damit die Macht über Sie. In diesem Punkt zahlt es sich daher absolut aus, einen Schritt zurückzutreten und sich zu überlegen, wo uns der Strudel hinführt und ob wir dort auch hinwollen.
2. Zum Spannungsverhältnis Europa – USA
Sie werden feststellen, dass ich in diesem Buch regelmäßig einen Blick auf die Situation in den USA werfe oder Vergleiche mit dem »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« ziehe. Das zeichnet übrigens fast alle Bücher im Bereich Informationstechnologie (IT) oder Datenschutz aus. Primär liegt das daran, dass die USA in diesem Bereich einfach weltweit dominierend sind. Genauer gesagt sind es nicht mal die USA als Ganzes, eigentlich ist es ein kleines Stückchen von Kalifornien: Das »Silicon Valley« genannte Konglomerat von kleinen Orten zwischen San Francisco und San Jose. Dort wird am Ufer der Bucht von San Francisco zu einem großen Teil die Zukunft gemacht, die in unseren Geschäften und Wohnungen landet. Fast jeder, der im Bereich IT begabt ist, will dorthin oder spielt zumindest mit dem Gedanken. Ohne dieses Stückchen Land hätten wir vermutlich viele Dinge nicht, die wir heute täglich nutzen und lieben. Es führte daher kein Weg daran vorbei, sich mit den USA und dem Silicon Valley als dominantem Player auseinanderzusetzen.
Ein weiteres interessantes Phänomen: Die USA sind das einzige westliche Industrieland, das keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre und persönlicher Daten kennt. Mit ein paar spezifischen Ausnahmen ist dort alles erlaubt, was technisch möglich ist. Auch kulturell und wirtschaftlich ist der »Wilde Westen« hier noch durchaus präsent. Wer stärker ist, gewinnt. Das ist nach wirtschaftsliberaler Lesart der gerechte Lohn. Wer selbst auch mal gewinnen will, muss eben stärker werden. Auch Limitierungen und staatliche Regulierungen der freien Wirtschaft im Interesse des schwächeren Parts haben traditionell einen schweren Stand im »Land of the Free«. Daher finden sich auch viele der Extrembeispiele im Bereich Datenschutz und Privatsphäre in den USA. Das gibt uns jedoch auch die Möglichkeit, statt über abstrakte Horrorszenarien über ein großes Freiluftexperiment mit 317 Millionen Testobjekten zu reden und zu sehen was passiert, wenn wir in dieser Revolution der Technik nicht um unsere Privatsphäre kämpfen.
Ich hatte das Glück, zwei Mal, während meiner Schulzeit und während meines Studiums, in den USA zu leben. Dabei lernte ich zwei Welten kennen: den tief gläubigen und sehr konservativen Süden und das krasse Gegenteil im Silicon Valley. Natürlich prägte das auch meine Gedanken. Die dort gesammelten Erfahrungen dienen für mich auch oft als Referenz, wenn wir über Europa sprechen. Erst wenn man die eigene Welt in Perspektive setzt, kommt man vielen Dingen näher. Man lernt ebenso viel über sich selbst und seine eigene Kultur, wie über die fremde Kultur. Aber natürlich beginnt man, auch die USA von innen zu verstehen. Erst wenn man hier hinter die Kulissen einer anderen Kultur sehen konnte, lassen sich viele Dinge genauer einordnen und benennen.
Auf die Unterschiede zwischen diesen beiden Systemen einzugehen, ist essenziell. Unter der Oberfläche brodeln viele Missverständnisse, andere Konzepte, andere Ansichten und daraus entstehende Spannungsverhältnisse. In Europa nutzen wir das regelmäßig, um uns erhaben zurückzulehnen, die vermeintliche moralische Überlegenheit des alten Kontinents genüsslich zu zelebrieren und in antiamerikanistische Schablonen zu verfallen. Es zeigt sich so viel leichter mit dem Finger auf andere als sich selbst kritisch zu betrachten und etwas zu tun. Der NSA Skandal war bezeichnend: Die Aufregung über die USA wurde zelebriert, aber ähnliche Systeme in der EU verkamen eher zur Randnotiz. Man spielte bewusst oder unbewusst das alte Spiel vom äußeren Feind, anstatt auch vor der eigenen Türe zu kehren.
Weder die kritiklose Verherrlichung von allem, was über den großen Teich kommt, noch die generelle Ablehnung sind aber sinnvoll. Schnödes Pro-/Anti-USA, also reines Schwarz-Weiß, macht zwar gute Schlagzeilen, ändert aber nichts. Wir müssen uns gegenseitig verstehen, kooperieren, andere Ansichten akzeptieren und einen Modus finden, der für beide Seiten gangbar ist, um in einem weltumspannenden Netz, bei weltweit verbreiteter Technologie und bei weltweiten Produkten einen gemeinsamen Nenner zu finden.
3. Zur Großartigkeit der IT-Industrie
Wenn Sie lesen wollten, welche tollen Möglichkeiten uns das Internet und alle möglichen technischen Errungenschaften bieten, hätten Sie vermutlich nicht dieses Buch gekauft, sondern zu den Ergüssen von diversen IT-Koryphäen gegriffen. Oder sie hätten vielleicht die Verkaufszahlen einer der Biographien der Silicon Valley-Prominenz gesteigert, also von jenen Menschenfreunden, die uns gnadenhalber erlauben, ihre Produkte zu kaufen, um dann wie Halbgötter gefeiert zu werden. Trotzdem muss ich zuallererst klarstellen, dass die digitale Revolution ohne Frage unser Leben unglaublich erleichtert und befreit.
Es ist leider ratsam, diese positive Seite als Datenschützer immer erst mal festzuhalten. Personen, die sich mit Datenschutz beschäftigen, dürfen ja nach der Vorstellung vieler nur aus der Schublade jener Spielverderber rauskriechen, die unsere Freude an Innovationen und funkelnden Produkten verderben. Dass Menschen gleichzeitig Spaß an neuen Technologien haben können und trotzdem ihre Bedenken äußern, bringt leider immer noch das Weltbild von vielen durcheinander. Man kann ja, nach dem Glauben mancher, nur für oder gegen etwas sein. Blanke Ablehnung wäre natürlich relativ sinnlos. Es geht daher nie darum, »böse« Technologie zu bekämpfen, sondern tolle Entwicklungen gemeinsam in eine für die Allgemeinheit sinnvolle Richtung zu lenken.
Für mich hat sich also nie die Frage gestellt, ob diese Dinge an sich gut oder böse sind, sondern wie wir sie gestalten. Daher war für mich auch klar, dass ich Facebook, Twitter oder Google weiter nutze, auch wenn das regelmäßig für massive Verwirrung bei Journalisten gesorgt hat. Aber die Situation