2Verborgene Seiten menschlicher Arbeit
Wie praktische Erfahrungen und empirische Untersuchungen zeigen, sind Menschen in der Lage, auch bei unzureichenden Informationen erfolgreich Ziele zu erreichen und Probleme zu lösen. Dabei sind allerdings Handlungsweisen und Kompetenzen maßgeblich, die im bisherigen Verständnis von Arbeit und Bildung kaum auftauchen.
2.1Objektivierendes Handeln als Leitbild
Die Planmäßigkeit und rationale Regulierung des Handelns gilt als charakteristisch für Arbeit. Ein solches Handeln kann als objektivierendes Handeln bezeichnet werden, da es sich an – im Prinzip – allgemeinen, subjektunabhängig darstellbaren und explizierbaren Regeln, Wissen und Informationen orientiert. Der informationstechnische Zugang zu Informationen korrespondiert hiermit und gründet hierauf den Anspruch und das Versprechen, die «Welt, so wie sie ist» erfassen zu können. In einer übergreifenden Perspektive korrespondiert dies mit einem rationalen, naturwissenschaftlich geprägten Weltbild, so wie es in modernen Gesellschaften entstanden ist. Auch wenn sich die Geistes-, Human- und Sozialwissenschaften gegenüber dem naturwissenschaftlichen Blick auf die Welt abgrenzen, so eint sie doch die Orientierung an einem «objektivierenden Verhältnis zur Welt» und entsprechend objektivierenden Informationen und Wissen. Das subjektive Erleben und Empfinden wird dabei keineswegs ausgeschlossen. Es bezieht sich jedoch bei dieser Sicht ausschließlich auf die subjektive «Innenwelt» und gibt keine Auskunft über die objektive bzw. objektivierbare «Außenwelt» (vgl. Schmitz 1990; Böhle, Porschen 2012). Und schließlich korrespondiert auch der Anspruch, konkrete Gegebenheiten in der Natur ebenso wie im Sozialen und Kulturellen durch Algorithmen erfassen zu können, mit der von Max Weber als typisch für moderne Gesellschaften herausgestellten Überzeugung «alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen» beherrschen zu können (Weber 1988, S. 594). Die zuvor umrissenen Grenzen der Digitalisierung verweisen demgegenüber jedoch auch auf Grenzen eines solchen objektivierenden Zugangs zur Welt. Im Folgenden sei dies mit einem erweiterten Blick auf menschliche Arbeit und menschliches Handeln ergänzt und vertieft begründet.
In der neueren wissenschaftlichen Diskussion wird die Vorstellung, dass nur durch ein planmäßig-rationales Handeln und systematisches Wissen erfolgreich Ziele erreicht und Probleme gelöst werden können, in mehrfacher Weise modifiziert. Zu nennen sind hier insbesondere die Konzepte des nicht verbalisierbaren, inkorporierten «impliziten Wissens» (Polanyi 1985), die mentalen Heuristiken und auf «Bauchgefühlen» beruhende «Intuition» (Gigerenzer 2007) des nicht planmäßigen, «situierten Handelns» (Suchman 2007) und einer hierauf beruhenden Könnerschaft (Neuweg 2015) sowie der auf die besondere «Logik» der Praxis ausgerichtete «praktische Sinn» (Bourdieu 1987; Alkemeyer 2009). Daran anknüpfend und weiterführend akzentuieren wir im Besonderen die Wahrnehmung von Informationen. Im Rahmen des objektivierenden Handelns beruht die menschliche Wahrnehmung auf dem sensomotorischen Registrieren von Daten aus der Umwelt und deren geistigen Deutung und Interpretation – so wie dies bereits Kant in der Feststellung zum Ausdruck gebracht hat, dass nur die verstandesmäßig geleitete, rationale Begriffsbildung der empirischen Wahrnehmung «einen Sinn» verleiht (vgl. Münch 1992, S. 201). Die menschliche Wahrnehmung beschränkt sich jedoch nicht hierauf, und zwar gerade auch dann nicht, wenn es darum geht, Ziele zu erreichen und Probleme zu lösen. Unter Bezug auf das zuvor umrissene Phänomen der Uneindeutigkeit von Informationen sei dies am Beispiel der spürenden und empfindenden Wahrnehmung näher ausgeführt. Hierdurch werden Informationen über «objektive» Gegebenheiten zugänglich, die durch einen allein objektivierenden Zugriff ausgeblendet werden.
2.2Spürende und empfindende Wahrnehmung
In phänomenologischen Theorien wird die menschliche Wahrnehmung als ein Teilnehmen und Partizipieren an der Umwelt begriffen (vgl. Merleau-Ponty 1966). Grundlegend hierfür sind die leibliche Verbundenheit mit der Welt und die leibliche Resonanz. Äußere Gegebenheiten werden dabei nicht nur sensomotorisch registriert und verstandesmäßig verarbeitet, sondern körperlich und leiblich ge- sowie erspürt. Über eine «leibliche Kommunikation» (Schmitz 1978 u. 1990) werden Eigenschaften und Verhaltensweisen der Außenwelt auf körperlich-leibliche Qualitäten bezogen und «einverleibt». Im Arbeitsbereich werden dementsprechend Geräusche an technischen Anlagen von Fachkräften nicht nur in ihrer Lautstärke und Frequenz wahrgenommen, sondern auch als «warm» oder «schmerzhaft» und in dieser Weise als Information über Bearbeitungsvorgänge genutzt (vgl. Carus; Schulze 2017, S. 91 ff.). Zugleich wird auch das sinnlich Wahrnehmbare selektiv gefiltert und differenziert. So werden unabhängig von der physikalischen Beschaffenheit aus einer allgemeinen Geräuschkulisse einzelne Geräusche «herausgehört» und gegenüber anderen hervorgehoben und von ihnen unterschieden. Solche Informationen sind eine wichtige Grundlage für die Orientierung in Situationen, in denen explizite und eindeutige Informationen nicht verfügbar sind oder trotz vielfältigen expliziten Informationen die bestehenden Anforderungen nicht bewältigt werden können. So ist es beispielsweise bei der Überwachung komplexer technischer Anlagen notwendig, eine sich anbahnende Störung möglichst frühzeitig wahrzunehmen und bereits zu erahnen, bevor diese durch technische Anzeigen eindeutig angezeigt wird. Erfolgt eine explizite und eindeutige technische Anzeige über Unregelmäßigkeiten, ist es zumeist zu spät, um gegenzusteuern und ein wechselseitiges Aufschaukeln einzelner Veränderungen zu vermeiden (vgl. Böhle, Rose 2017, S. 191 ff.). In der Pflege – als Beispiel für den Dienstleistungsbereich – beruht auf einer solchen spürenden und empfindenden Wahrnehmung die Fähigkeit, durch körperliche Berührungen die physische und psychische Verfassung wahrzunehmen, oder sich beim Heben und Wenden der Patientinnen und Patienten unmittelbar körperlich durch eine «Kommunikation ohne Worte» abzustimmen (vgl. Weishaupt 2017, S. 648 f.). Des Weiteren kann sich die Wahrnehmung einer Situation darauf richten, diese in ihrer «Gesamtheit aufzunehmen». Dabei werden einzelne Merkmale nicht isoliert und punktuell erfasst und addiert, sondern unterschiedliche Eigenschaften und Verhaltensweisen konkreter Gegebenheiten werden gleichzeitig erfasst und als Gesamteindruck aufgenommen. Es entstehen dabei «vielsagende Eindrücke» (Schmitz 1990), deren Bedeutung sich entweder unmittelbar «ohne langes Nachdenken» ergibt, oder diese Eindrücke lösen erst allmählich eine bestimmte Einschätzung und Beurteilung der jeweiligen Situation aus. Dabei wird nicht verstandesmäßig reflektiert und interpretiert; maßgeblich ist vielmehr, wie und was körperlich-leiblich gespürt wird. Exemplarisch hierfür sind bei einer sich anbahnenden Gefahrensituation das Gefühl, dass «hier etwas nicht stimmt», sowie eine emotionale Erregtheit. Die oft gebräuchliche Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Wahrnehmung (vgl. Nørretranders 1994, S. 311) greift hier zu kurz und übersieht, dass hier das Bewusstsein keineswegs ausgeschaltet ist, sondern sich im Modus eines wachen «Bei-der-Sache-Seins» befindet (Schön 2002).
Bei der technischen Simulation einer solchen Wahrnehmung stellt sich nicht nur das Problem der Erfassung der hierfür jeweils relevanten Informationen beziehungsweise Eigenschaften und Verhaltensweisen konkreter Gegebenheiten, was gegebenenfalls durch eine elaborierte Sensortechnik möglich ist; das eigentliche Problem liegt in der Deutung und Interpretation des Wahrgenommenen beziehungsweise dessen Transformation in die Qualität leiblich-körperlichen Spürens und der hierauf bezogenen Entschlüsselung von Bedeutungen.
2.3Subjektivierendes Handeln
Mit dem Konzept des subjektivierenden Handelns (Böhle 2017) werden die beschriebenen Modalitäten sinnlicher Wahrnehmung handlungstheoretisch eingebunden und erweitert. Damit wird deutlich, dass nicht nur die menschliche Wahrnehmung mehr umfasst als ihr durch das Modell des objektivierenden Handelns zugesprochen wird. Auch das praktische Handeln