Meine wissenschaftsmethodische Verortung
Management im Allgemeinen und FKE im Besonderen ist eine Deutungswissenschaft, die ihren Epigonen erlaubt, völlig konträre Positionen zu beziehen, ohne dass man daran Anstoß nimmt. Die Deutungswissenschaft der FKE wird eigentlich nur noch von der Lotteriewissenschaft der Finanzanalysten übertroffen, die ihre Technik des ›Kaffeesatz-Lesens‹ in verbal nicht zu überbietender Form kultiviert haben. Besonders deutlich wird dies in der Kommunikation von Wertpapierabteilungen und Broker-Häusern mit ihren Kunden, in denen oft eine Perfektion der Analyse mit anschließenden Empfehlungen zum Ausdruck kommt, deren Substanzlosigkeit ein ums andere Mal durch die Wirklichkeit konterkariert wird.
Ich sehe mich als theoriegeleiteter Praktiker, der sich der Methode der »freien teilnehmenden Beobachtung« verbunden fühlt, wie sie insbesondere von GIRTLER (2001) eingesetzt wird. Damit gehört man nicht zum »mainstream« der Disziplinen, die zur wissenschaftlichen Etablierung der FKE angetreten sind und ständig versuchen, die Praxis mit ihren Erkenntnissen weiterzuentwickeln. Es hat mir geholfen, meine eigene wissenschaftliche Position dadurch zu finden, dass ich nur wenige Jahre dem Hochschulzirkus angehörte und es dann vorgezogen habe, aus einer eher kritischen Position heraus den Prozess der universitären Wissensproduktion zu verfolgen.
Dabei haben mich diverse Positionen von Paul FEYERABEND unterstützt, den universitären Betrieb etwas unvoreingenommener zu sehen – so beispielsweise sein Beitrag »Sind die Wissenschaften Forschungsinstitutionen oder politische Parteien?« (FEYERABEND 1989, S. 381 ff.) oder auch der von ihm an vielen Stellen zitierte Standpunkt, dass die klassische quantitativ ausgerichtete empirische Sozialforschung, wie sie in Hochschulkreisen im Wesentlichen praktiziert wird, nur eine Form der Erkenntnisgewinnung ist – ähnlich der Religion, bei der sich die Katholische Kirche als fast allein seligmachende Institution aufspielt. Dass es daneben viele andere religiöse Richtungen oder Freikirchen gibt, will man mit einem katholischen Weltbild nicht wahrhaben. Genauso verhält sich der Hochschulapparat mit seinen »Priestern« und »Ministranten«, für die es keine anderen religiösen Existenzen gibt.
Die Praktikerkreise in der FKE sind zu schwach, um eine eigene autonome, von der »Katholischen Kirche« der Hochschulen unabhängige, professionelle Community zu etablieren. Wenn sich heute jemand unter Praktikern mit Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt befassen möchte, schielt er auf eine geduldete Aufnahme an eine Hochschule als »Gral der Wissenschaft« und freut sich über einen Lehrauftrag oder später über eine Honorarprofessur.
Das bekannte »Spiel« der Anbiederung der Praxis an Professoren, um ihre Entwicklungsarbeit scheinbar aufzuwerten, kann besser verstanden werden, wenn diese zumeist professionell unmündigen Praktiker darauf hoffen, mit dem Einsatz eines »Professoren-Priesters« aus der »Katholischen Kirche« Absolution zu erfahren. Da sich um die »Katholische Kirche« in den Hochschulen ein Apparat von Verbänden, Verlagen und anderen stabilisierenden Institutionen gebildet hat, kann das kanonische Wissensgebäude der FKE ohne Beeinflussung von Abtrünnigen, Außenseitern oder Randständlern fortbestehen.
Die »Katholische Kirche« und auch ihre Gläubigen in der FKE-Praxis können die beispielhafte Kritik an der fragwürdigen Rolle der »Senftuben-Professoren«, die ihren professoralen Priesterstatus dazu missbrauchen, zu jedem ihnen passenden Thema ihren Senf als Kommentar abzugeben, als Irrungen und Wirrungen von Ketzern abtun. Genauso kann man die anthropologisch bestimmte Erkundung der freien Trainer als »Mitleben und Miterleben in der untersuchten Gemeinschaft« – wie der Anthropologe MALINOWSKI seine Methode beschrieb (GIRTLER 2001, S. 67) – in seinen gauner- und ganovenhaften Ausmaßen ablehnen, weil die Ergebnisse nicht zum Kanon der »Katholischen Kirche« passen.
GIRTLER hat eine Vielzahl von Studien über Gruppierungen in der Gesellschaft durchgeführt, die bis dahin nicht hinreichend untersucht wurden, weil die klassischen erkenntnisgewinnenden Methoden versagt haben. Man kann eben die Welt von Vagabunden, Obdachlosen (österreichisch: Sandler), Prostituierten oder Dieben nicht erschließen, wenn man nicht über die Methode der von ihm dann auch systematisierten »freien teilnehmenden Beobachtung« wie ein Anthropologe oder ein Ethnologe in die fremde Kultur der jeweils untersuchten Randgruppen eintaucht. Seine zahlreichen einzigartigen Beiträge werden in der »Katholischen Kirche der Soziologie« als eher unwissenschaftlich abgetan, weil man sie in die Nähe von gut lesbaren journalistischen Darstellungen rückt und die besondere qualitative Methodologie nicht wahrhaben will. Dagegen führt der bekannte Anthropologe GEERTZ an: »Ethnographie […] ist vor allem eine Wiedergabe des Wirklichen, eine in Worte gefasste Vitalität« (1990, S. 138). Und dazu braucht es journalistische Ausdruckskraft, die man nur dadurch gewinnt, dass man sich voll und ganz auf sein »Untersuchungsobjekt« einlässt.
Es ist erfreulich, dass GIRTLER mit seinen Methoden der Feldforschung zumindest in einigen Kreisen der qualitativen Sozialforschung eine Wertschätzung genießt, die statt der empirischen Erbsenzählerei und der Fragebogen-Methodologie – wie sie auch von dem emeritierten »PE-Leuchtturm-Professor« BECKER als Hausautor des Schäffer-Poeschel Verlags gepflegt wurde – eine andere Form der Praxiserkundung verfolgen. GIRTLER erfährt in dem Standardwerk von LAMNECK (1988) im Personenregister eine ähnlich häufige Erwähnung wie die »grounded theory«-Päpste GLASER und STRAUSS (1967).
Wenn ich beispielsweise über meine Erfahrungen mit Trainingsgaunern berichte oder über Selbstdarsteller aus der FKE schreibe, wie sie ihren betrieblichen Auftrag für ihre narzisstischen Motive missbrauchen, dann sind dies allesamt Themen, die auch nicht in das seriöse kanonische Lehrgebäude der FKE passen. Kommt dazu noch eine gewisse Dosis an journalistischer Frische, die die Vitalität des real Erlebten – wie es GEERTZ formulierte – ausdrückt und nur aus dem Eintauchen in die andere Kultur und nicht als »Veranda-Anthropologe« (VAN MAANEN 1988, S. 16) möglich ist, dann verliert man damit fast jeden wissenschaftlichen Kredit bei den etablierten Vertretern der »Katholischen Kirche« – so man ihn je gehabt hat, angesichts der Auseinandersetzung mit nicht-kanonischen Wirklichkeiten als Untersuchungsgegenständen.
Ich spüre eine methodische Nähe zu GIRTLER, obwohl ich mich nicht der stringenten Systematik seiner freien teilnehmenden Beobachtung bedient habe, sondern mich eher als Vertreter einer »reflective practice« sehe (z. B. BOLTON 2001), der seinen anthropologischen Neigungen gerne nachgibt.
Es ist mir wichtig, dass Sie hinter die Geschichten, episodischen Fälle oder exemplarischen Schnappschüsse in dieser Arbeit blicken, die nicht nur als unterhaltende Lektüre zu verstehen sind. Vielmehr verfolge ich mit den behandelten Inhalten und der erkenntnisgewinnenden Methodik ein seriöses Anliegen. Es mag sein, dass die lebendige Diktion meiner Ausführungen etwas verstellt; etwa im Fall der Wohnzimmer-, Instituts- oder der Senftuben-Professoren und ihren Senftuben mit dem abgelaufenen Verfalldatum als Umschreibung dafür, nicht mehr auf fachliterarischer Ballhöhe zu sein, oder die Darstellung mancher betrieblicher FKE-Systeme als Zirkusmanege des abgestimmten Zusammenwirkens großer und kleiner Gauner und Ganoven.
»If you want to understand what a science is you should look in the first instance not at its theories or its findings, and certainly not what its apologists say about it; you should look at what the practitioners do.« (GEERTZ ohne Angabe zitiert bei VAN MAANEN 1988, S. 73) Wenn man sich an diesem Zitat des Anthropologen GEERTZ orientiert, um über die FKE als wissenschaftliche Disziplin eine Aussage zu erhalten, dann gehört mein Ansatz mit seinen feldforschenden Bemühungen über die vielfältigen Erscheinungsformen der Praxis sogar zu den echten wissenschaftsmethodischen Vorgehensweisen in unserer Szene.
Akteure auf dem FKE-Spielfeld
Um Aussagen über den Stand der FKE zu treffen, muss man sich vor Augen führen, wer auf dem Spielfeld der FKE eine Rolle spielt. Mit dieser Akteurperspektive eröffnen sich Zugänge zur Einschätzung der Qualität der FKE-Arbeit, die mit der bloßen Auswertung der einzelnen Produkte und Programme der FKE nicht ohne weiteres möglich ist.
Akteure in