Schonen schadet. Andreas Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Müller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035514605
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bemühen. Doch das Paradies ist kein Menschenrecht. Den einen oder anderen Finger muss man schon rühren dafür. Früher hatten wir schliesslich auch keine Smileys. Wir mussten noch selber lachen. «Erfolg», so hat es Johann Wolfgang von Goethe formuliert, «hat drei Buchstaben: TUN!» Das gilt nicht nur fürs Lachen.

      Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte des Elends, der Nöte, der Entbehrungen. Erst die letzten Generationen sind hierzulande in eine Welt des zunehmenden materiellen Überflusses hineingewachsen. Für die Eltern verband sich mit dieser Entwicklung ein Auftrag: «Die Kinder sollen es einmal besser haben.» Und «besser haben» meinte – vielleicht neben einer guten Ausbildung – zuerst und vor allem: materielle Sicherheit. Zählbares war das, was zählt. Und daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. «Shopping» ist kein Einkauf mehr zur Beschaffung irgendwelcher benötigter Güter, sondern entsteht aus dem Bedürfnis nach dem Einkaufserlebnis. Die permanente Verführung ist Teil dieses Spiels. Menschen gehen einkaufen, obschon sie gar nichts brauchen. Junge geben «Shoppen» mittlerweile als bevorzugte Freizeitbeschäftigung an. Haben ist selbstverständlich geworden. Und Wollen auch.

      Erziehung: Was Eltern wollen

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      Erziehung der Kinder ist heute:

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      Basis: Bundesrepublik Deutschland, Eltern von Kindern unter 16 Jahren Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 5256, Februar/März 2009.

      Verstärkt hat sich dieser Trend durch die zeitgeistige Selbstverständlichkeit, dass «mehr wollen» und «mehr haben» durchaus nicht im Widerspruch stehen zu «weniger tun».

      Arbeiten, sich anstrengen, fleissig und zuverlässig sein, mit solchen und ähnlichen Tugenden liess sich ein Leben meist einigermassen lebenswert gestalten. Oberflächlich betrachtet ist das heutzutage nicht mehr nötig. Alles, was sich begrifflich mit «Anstrengung» verbindet, gehört deshalb zu jenen Dingen, die es wenn immer möglich zu vermeiden gilt. Die Arbeitszeiten sind kontinuierlich reduziert worden. Parallel dazu hat die Spasskultur fit gemacht für Fun. Doch das Problem: Auch die Freizeit gibt zu tun, wenn man etwas aus ihr machen will. Die Freizeit wird damit qualitativ und quantitativ zur Herausforderung.

      Oder anders gesagt: Mit seinem Leben etwas anfangen, aus seinem Leben etwas machen, das setzt voraus, sich anzustrengen, etwas zu leisten – und es gerne zu tun. Ganz einfach, weil Leistung Freude bereitet. Und weil die Fähigkeit, sein Leben zu gestalten, auch etwas Befreiendes hat. Wer also seinen Kindern etwas Gutes tun will, wer will, dass sie es «besser» haben, der erziehe sie dazu, die Anstrengung zu mögen, sich zu erfreuen an der eigenen Leistung.

      Doch das stösst in der Spassgeneration noch weitherum auf taube Ohren. Ungebremst wird munter das Holz verbrannt, an dem man sich später sollte wärmen können. Produktehersteller und Politiker überbieten sich auf allen Kanälen mit Versprechungen, mir das Leben einfacher zu machen, mir die Realitäten des Lebens vom Leibe zu halten. «Fly now – work later», kaufe jetzt – bezahle später, heisst der Konsens der gesellschaftlichen Eventkultur. Das Leben wird zelebriert als eine Aneinanderreihung von konsumierbaren Höhepunkten. Und die Medien führen mir das mit grossen Buchstaben vor Augen. Mehr als die Hälfte aller Werbungen zeigt bereits den erwünschten Zustand – das superbe Essen wartet auf die gestylten Gäste am Tisch, der schnittige Wagen steht vor der Tür, die braun gebrannten Menschen räkeln sich am einsamen Strand. Zugreifen, das Leben ist angerichtet.

      Klingt ja verführerisch. Davon leben die Medien. Aber erstens ist es anders und zweitens wenn man denkt. Schnell mal die Welt retten, schnell mal ein Superstar werden, schnell mal eine Menge verdienen, so haben sich früher allenfalls Kinder ihren Werdegang vorgestellt. Im kindlichen Denken war das normal. Doch heute denken bei weitem nicht mehr nur Kinder so.

      Die Medien sind voll von Menschen, die sich für nichts, aber auch gar nichts zu schade sind, um irgendwie aufzufallen. Dieses leistungsfreie Heischen um Aufmerksamkeit hat die Sprache um einen Begriff erweitert: Fremdschämen. Das Wort ist erst 2009 in den Duden aufgenommen worden und bedeutet, «sich stellvertretend für andere, für deren als peinlich empfundenes Auftreten schämen». Man kann davon ausgehen, dass Fremdscham wohl insbesondere populär geworden ist, seitdem es «in» ist, sich zum Beispiel im Fernsehen die Blösse zu geben. Und die sogenannt sozialen Medien haben die Welt dann vollends zu einer Casting-Gesellschaft verkommen lassen. Um Beachtung zu finden und «geliked» zu werden, produzieren sich Menschen hemmungslos auf der nach unten offenen Skala der Peinlichkeiten.

      Auffallen heisst das Ziel – um jeden Preis, aber nicht durch Leistungen. Das dauert zu lange und ist zu unbequem. Dass echter und nachhaltiger Erfolg meist das Ergebnis eines längerfristigen und anstrengenden Prozesses ist, wird noch so gerne ausgeblendet angesichts der verführerischen Aussicht auf schnellen Gewinn.

      Tritt in den eigenen Hintern

      Die mediendominierte Gesellschaft hat sich die Kinder und Jugendlichen zur Beute gemacht. Sie lassen sich gerne entführen in die Märchenwelt des Glücklichseins beim Nichtstun. Und zugegeben – die meisten digitalen Medien und Computerspiele machen das hervorragend. Das können sie. Davon leben sie. Tausende von hochprofessionellen Leuten auf der anderen Seite des Bildschirms sind mit der Aufgabe betraut, die Selbstdisziplin des einzelnen Mediennutzers zu untergraben, ihn daran zu hindern, nein zu sagen. Und wie man unschwer erkennen kann: Das machen sie saugut.

      Vor einem solchen Hintergrund die jungen Menschen zum Tun zu erziehen, ihnen Freude an der Leistung zu vermitteln, das ist wahrlich kein leichtes Unterfangen.

      Früher haben die «Welt» und hat das «Leben» die Eltern bei der Erziehung unterstützt. Erstens waren Geschwister oder Grosseltern ebenso aktive Partner wie die Verwandten oder Bekannten in der Nachbarschaft. Und zweitens: Das Leben gab zu tun. Es war in gewisser Weise Handarbeit. Und da hatten sich Kinder zu beteiligen.

      Im heutigen 1,2-Kinder-Haushalt fehlen meist die Geschwister. Die Grosseltern leben auch nicht mehr unter dem gleichen Dach. Und von den Nachbarn lässt man sich sicher nicht in die Erziehung reinreden (falls sie sich überhaupt noch trauen würden). Also hängt die ganze Erziehung an den Eltern – die häufig auch nicht zu zweit oder dann in unterschiedlichen Konstellationen diese Aufgabe übernehmen. Alleinerziehend heisst das Stichwort.

      Kommt hinzu: Die Kinder haben heute jede Menge Zeit – sogar wenn sie schon schulpflichtig sind. Aufs ganze Jahr gesehen, also die Ferien miteingerechnet, geht ein Kind durchschnittlich etwa drei Stunden pro Tag zur Schule. Und wenn man für das Schlafen acht Stunden rechnet, Zeit für Essen, Hausaufgaben, Sport dazuzählt, dann bleiben durchschnittlich etwa zehn Stunden pro Tag, die zu gestalten sind. Unter anderem hat das damit zu tun, dass dem häuslichen Leben das Anstrengende wegmodernisiert worden ist. Das hat durchaus auch unbestrittene Vorteile. Aber der quasi natürliche Erziehungseffekt des mitunter anstrengenden häuslichen Lebens ist weggefallen. Was bedeutet: Er muss irgendwie kompensiert und künstlich erzeugt werden.

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      EVERYONE WHO THINKS SUNSHINE IS HAPPINESS HAS NEVER TRAINED IN THE RAIN.

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      Kinder brauchen Aufgaben. Echte Aufgaben. Ein Beispiel dafür liefert René Prêtre, einer der besten und erfolgreichsten Kinderherzchirurgen der Welt. Bei seiner Arbeit geht es um Leben und Tod. Tausende von Stunden hat er bei höchster Konzentration im Operationssaal verbracht. Seine ausserordentlichen Fähigkeiten führt er auch zurück auf seine Kindheit, auf die Arbeit, die er jeden Tag auf dem Hof seiner Eltern leisten musste. Im Stall, auf dem Feld, beim Reparieren von Traktoren.2 Nun wachsen nicht alle Kinder auf Bauernhöfen auf. Aber alle haben die Möglichkeit, etwas zu tun, Aufgaben und Verpflichtungen zu übernehmen, zu erfahren, dass es durchaus Spass machen kann, Dinge zu tun, die auf Anhieb keinen Spass machen.

      Entwicklung braucht Herausforderung. Auf dem