Der vorliegende Text versucht, diese Fragen zu beleuchten und, wo möglich, mittels Modellen und Reflexionen den Dozierenden Unterstützung im Alltag zu bieten.
Nach einer Einleitung, die in kurzer Form lernpsychologische und strukturelle Aspekte zum Thema aufzeigt (erstes Kapitel), werden anhand des «Rollenstrausses» von Dozierenden verschiedene Handlungsfelder beschrieben (zweites Kapitel). Zwei davon – Beraten und Begleiten – werden anschliessend näher beleuchtet (drittes und viertes Kapitel). Schliesslich werden drei ausgewählte Spannungsfelder zwischen der Beratung und den anderen Rollen der Dozierenden beschrieben (fünftes Kapitel).
Sie finden im vorliegenden Buch als Anreicherung dieses Texts zwischen den Berichten verschiedene Instrumente für das professionelle Beratungshandwerk (Beratungsphasenplan, Ablauf einer Beratung im Hochschulalltag, Kontraktierung1 von Beratungen, diagnostisches Vorgehen, Interventions-handwerk, Landkarte des Fragens).
Mit «Dozierenden» oder «Lehrenden» sind selbstverständlich auch lehrende wissenschaftliche Mitarbeitende oder Lehrbeauftragte gemeint. Ist die Rede von «Studierenden» oder «Lernenden», sind auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Weiterbildungslehrgängen mitgedacht. Schliesslich werden Beratene in der Beratungssprache als «Klienten» bezeichnet und beratene Systeme (einzelne Personen, Teams oder Organisationen) gelegentlich als «Klientensysteme»; diese Begriffe aus der Beratungssprache werden benutzt, um deutlich zu machen, dass mit «Klienten» nicht nur Studierende gemeint sein müssen.
Die sogenannten «Reflexionsfragen» nach den einzelnen Kapiteln sind als Anregung zur Denk- oder Lesepause gedacht.
Prämissen
Lernpsychologische Prämissen
Die Kognitionspsychologie hat einen engen Zusammenhang zwischen kognitivem Strukturaufbau und aktivem Handeln festgestellt. Auch die Gehirnforschung bestätigt, dass durch aktives entdeckendes Lernen Informationen im Gehirn nicht isoliert, sondern in netzwerkartigen Verbindungen gespeichert werden und dadurch leichter situationsgerecht nutzbar werden (vgl. Siebert 2008, S. 65).
Es wäre ein Widerspruch, unter der Prämisse der Aneignungsperspektive (im Gegensatz zur Vermittlungsperspektive) Lernende als Hauptakteure ihres Lernens zu verstehen und ihnen gleichzeitig die Selbststeuerung ihres Lernens abzusprechen.
Die Motivation steigt mit dem Grad der von den Lernenden wahrgenommenen Selbstbestimmung. Bereitschaft und Wille, sich neue Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, sind unter anderem mit drei grundlegenden psychologischen Bedürfnissen des Menschen verbunden: sich als autonom und kompetent zu erleben und sich sozial eingebunden zu fühlen.
Lernen ist somit ein konstruktiver, aktiver, selbstgesteuerter und sozialer Prozess, der immer in einer bestimmten Situation stattfindet (vgl. Mandl 2006). Erst in authentischen Situationen wird Wissen für Lernende bedeutungsvoll: Ziele, Inhalte und Lernarrangement sind dann aufeinander abgestimmt, die Lernaufgaben haben einen echten Bezug zur Alltagswelt; Wissenserwerb und Anwendungsmöglichkeiten fallen dadurch nahe zusammen.
Aktives Handeln führt zudem über Reflexion zu effektivem Lernen. Die Metakognitionsforschung (vgl. u. a. Kaiser 2003) zeigt, dass die Qualität des Lernens nachhaltig gefördert wird, wenn Lernende über ihre eigenen Lernaktivitäten und Lernerfahrungen nachdenken und dadurch sich (bzw. ihr Lernen und Arbeiten) besser verstehen und steuern können.
Lernen in diesem Sinne kann von Dozierenden lediglich angeregt, initiiert, begleitet und damit «ermöglicht» (Arnold 2007) werden; tun müssen es die Lernenden selbst. Das heisst jedoch nicht, dass Dozierende zur Passivität verdammt sind: Instruktion und Anleitung sind nach wie vor gelegentlich notwendig, und Beratung und Begleitung beinhalten immer auch Steuerungselemente (siehe auch Brunner in diesem Buch).
Strukturelle Prämissen
Mit der Bologna-Reform im Hochschulwesen wurde die strukturelle Unterscheidung zwischen Präsenzunterricht (Kontaktlektionen), begleitetem Selbststudium und freiem (oder autonomem) Selbststudium geschaffen. Dies warf und wirft die Frage auf, welches denn nun die Rolle von Dozierenden gerade beim begleiteten Selbststudium sei.
Parallel zur Bologna-Deklaration trat die Orientierung nach Kompetenzen und «Learning outcomes» von Studierenden auf den Plan, die wiederum die Implementierung von geeigneten methodischen Ansätzen wie «Problem-based Learning» (siehe Artikel von Evelyn Waser in diesem Buch) u. ä. nach sich zog. Solche Konzepte bedingen andere Handlungskompetenzen von Dozierenden, die häufig mit folgender Redensart umschrieben werden: «from the sage on the stage to the guide on the side».
Damit eröffnen sich neue Handlungsfelder für die Dozierenden, beispielsweise die Beratung und die Begleitung, aber auch einige Spannungsfelder, etwa zwischen organisationaler Strukturreform und der Lernenden-Orientierung, zwischen Formalisierung und Selbstorganisation oder zwischen der Kompetenzorientierung im Studium und dem Bedarf des Arbeitsmarkts.
In einem nächsten Schritt wird der Fokus auf die Rollen der Dozierenden gerichtet resp. auf den «Rollenstrauss», in dem sich die Lehrenden an den Hochschulen täglich bewegen. Die Aussagen beschränken sich dabei auf die Lehrfunktion und auf die Diade «Dozent/in – Studierende» – wohlwissend, dass diese Perspektive die Realität des mehrfachen Leistungsauftrages an Hochschulen vernachlässigt.
Der Rollenstrauss von Dozierenden
Unter dem Begriff «Rolle» werden mehr oder weniger explizite Erwartungen und Ansprüche an Funktionsträger (hier Dozierende) verstanden; Rollen beinhalten jedoch immer auch einen Interpretationsspielraum (Thomann 2013, S. 21 ff.).
Wir skizzieren die einzelnen Handlungsfelder der Lehrenden im Folgenden in Form von Rollen kurz, um danach die beiden Handlungsfelder der Beratung und der Begleitung genauer zu beleuchten.
Abb. 1 «Rollenstrauss» von Dozierenden
Folgende Rollen der Dozierenden lassen sich ausmachen:
Experte/Expertin