Aber auch die Organisationen werden sich hier engagieren müssen, weil sie sich unzufriedene und leistungsunfähige Mitarbeiter nicht mehr leisten können, andere aber nicht zu bekommen sind. Aus den Unternehmen wird berichtet, dass es oft an der privaten Lebensführung liegt, wenn die Leistungs- und Lernfähigkeit älterer Mitarbeiter gering ist. Aus dem Lot geratene Familienverhältnisse, fehlendes Gesundheitsverhalten etc. würden mehr Verschleiß verursachen als stressige Arbeitsplätze. Man wird hier vertieft diskutieren müssen, was Ursache und was Folge ist.
Dabei ist zu beachten, dass die Kulturgewohnheiten, die später Schaden verursachen, in jungen Jahren entstehen und von Organisationen gefördert und gerne genutzt werden. Die Folgen von Ausbeutung und Selbstausbeutung treten erst viel später auf, wenn der alternde Organismus die Kosten dafür nicht mehr aufbringen, die Belastungen nicht mehr kompensieren kann. Doch dann sind Kursänderungen schwieriger als in jungen Jahren. Wichtig ist daher, dass gemeinsam neu für die Zusammenhänge Verantwortung übernommen wird.
Es kann auf Dauer nicht so bleiben, dass Menschen bis zu einem bestimmten Alter um jeden Preis auf Hochtouren im Hamsterrad laufen und dann von heute auf morgen in die Leere eines sogenannten Ruhestands entlassen werden.
4.5.5 Seniorexperten
Irgendwann werden voraussichtlich lebensphasenorientierte Personalarbeit, echte Altersteilzeitmodelle und weiteres professionelles wie gesellschaftliches Engagement bis ins hohe Alter nach dem Ausscheiden aus einer hauptberufli-chen Tätigkeit durchzusetzen sein. Allerdings hat die Erfahrung auch gezeigt, dass erhebliche Anstrengungen notwendig sind, das dafür notwendige Umdenken bei den Betroffenen auch in den Unternehmen zu bewirken.
So arbeiten wir am ISB zusammen mit interessierten Fachleuten und Unternehmen an Konzepten mit der Frage, wie reife Professionelle nach dem Ausscheiden aus ihren hauptberuflichen Funktionen neben dem neuen Privatleben in neuen altersgemäßen Rollen professionell aktiv bleiben können. Sie können zum Beispiel als Mentoren oder Senior-Experten jüngere Menschen unterstützen oder mit ihnen in Projekten zusammenarbeiten, für die Augenmaß und Geduld erforderlich sind. Dies kann in Kooperationsformen zwischen Unternehmen einer Region oder als Form der Mittelstandsförderung organisiert werden oder als Engagement für nichtkommerzielle Gesellschaftsbereiche im Auftrag von Unternehmen. Außer dem unmittelbaren Nutzen für alle Beteiligten kann darin ein wertvoller Beitrag zum gesellschaftsübergreifenden Generationendialog gesehen werden.
4.5.6 Beruf als Lebensinhalt
Hier soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass man moralinsauer einem Moloch-Beruf andere Werte und Lebensqualitäten entgegenhalten muss. Für viele schaffensfreudige Menschen kann das Berufsleben phasenweise oder lebenslang zum Hauptlebensinhalt werden.
Da heute bereits mehr als fünfzig Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss keine eigenen Kinder mehr haben, entfällt auch für viele Paare die Notwendigkeit, familiengeeignete Lebensformen zur Verfügung zu stellen. Mann/Frau kann (oder muss) sich ein Leben allein und zu zweit vorstellen, in dem Selbstverwirklichung im Beruf zum Hauptinhalt und zur Hauptquelle von Lebensbefriedigung gewählt werden. Gute Konzepte hierfür gehören zu den Anliegen einer guten Professions- und Organisationskultur.
4.6 Professionelle Kompetenzen
In vielen Professionen haben die für einen Markterfolg erforderlichen Kompetenzen erheblich zugenommen. Zum einen aufgrund der Zunahme an Komplexität der Aufgaben und Funktionen, zum anderen aufgrund der höheren Konkurrenz der Anwärter auf hochwertige Tätigkeiten. Immer mehr ausgebildete Menschen konkurrieren um immer anspruchsvollere Funktionen. Dadurch steigt für alle die Notwendigkeit, mit mehr Kompetenzen und mehr Erfahrungen aufzuwarten, ohne dass das unbedingt zu Beschäftigungssicherheit, zu besonders interessanten Tätigkeiten oder zu hoher Entlohnung führt. Durch das Erfüllen hoher Ansprüche wird das Anspruchsniveau höher getrieben (Schmid 1996a, 2007b). Wenn dabei ein vernünftiges Maß verloren geht, ist allerdings fraglich, ob dabei im Ganzen mehr Qualität und Leistung herauskommen kann. Für den Einzelnen ist es auf jeden Fall schwer, sich solchen Dynamiken zu entziehen. Denn irgendwie muss jeder überzeugen.
In den 1970er-Jahren konnten sich z. B. Beraterausbildungen neben der Selbsterfahrung auf das vertiefte Verständnis einiger Konzepte und die Beherrschung eines bestimmten Repertoires von Beratungstechniken konzentrieren und hatten dafür zumindest im therapeutischen Bereich reichlich Zeit. Dabei leistete man sich einerseits Ruhe zur Vertiefung und Reifung, andererseits allerdings auch manche Ineffektivität und Fehlgewichtung. Gleichzeitig meinte man, auf andere Feld- und Fachkompetenzen weitgehend verzichten zu können. Mängel und Selbstüberschätzung blieben oft unerkannt, weil sie von einseitigen Schulenvorstellungen gedeckt und von Kunden toleriert wurden.
Man war in einseitigen Welterklärungen und Eigengesetzlichkeiten verhaftet und erhob sie anderen gegenüber zum Maßstab. Man hatte vielleicht ein Ganzheitlichkeitsverständnis gemäß der eigenen Schule. Doch Ganzheitlichkeit im Sinne von Einbettung eigener Beiträge in die unternehmerische und gesellschaftliche Gesamtverantwortung und Integrationsfähigkeit in die dort täglichen Steuerungsbelange war meist weniger gefragt. Kritik auf Kundenseite wurde eher als Widerstand gegen Fortschrittlichkeit gedeutet, denn als berechtigte Ansprüche auf passgenaue Zulieferung.
Wie sehr sich seit dieser Zeit die Situation verändert hat, bringt die folgendeÜbung aus heutiger Zeit zum Ausdruck (vgl. Schmid et al. 2010, 26 ff.).
4.7 Beratermarktübung
Auch wenn an dieser Stelle nicht weiter auf diese Übung eingegangen wird, ist unmittelbar zu spüren, dass sie ein ganzes Spektrum von Arbeitsebenen und Lernfragestellungen integriert. Die vielfältigen Betrachtungsweisen und Arbeitsebenen erfordern Flexibilität und Disziplin, ein effektives Zusammenspiel in wechselnden professionellen Rollen, Praxisbezug und einen ökonomischen Umgang mit Ressourcen. Inhalte des Beratungsanliegens und die einzelnen Beratungsfiguren, die früher ausführlich und oft ausschließlich Thema waren, sind in einen komplexen, ganzheitlichen und praxisrelevanten Zusammenhang eingebettet.
Im Folgenden werden einige Aspekte heutiger Anforderungen an professionelle Kompetenz näher erläutert.
4.8 Kompetenzperspektiven
Manche werden diese Erfahrung noch aus der Schulzeit kennen: Man hat viel gelernt, weiß viel und fühlt sich fit. Man kommt dran, kann seine Leistung schlecht vermitteln und wird aus eigener Sicht zu Unrecht als nicht kompetent eingeschätzt. Doch was kompetent ist, entscheidet der Beobachter. Kompetenz ist also auch eine Frage der Perspektive. Über Kompetenz, die zu Markte getragen werden muss, entscheiden die Marktteilnehmer. Wo dies der Fall ist, geht die Bedeutung von rein fachlichen Kompetenzbeurteilern zurück bzw. es behalten nur diejenigen Autorität, die sich an die relevanten Märkte ankoppeln können. Das hat sein Gutes, weil sich dann die Fachorganisationen ihrer gesellschaftlichen Relevanz versichern müssen. Auf der anderen Seite müssen substanzielle fachliche Entwicklungen vor unsinnigen Auswüchsen der Märkte geschützt werden. Davon später mehr.
Am auffälligsten für den einzelnen Anbieter ist, dass professionelle Kompetenz weniger an optimierten Teilkompetenzen gemessen wird, sondern daran, ob verschiedene Komponenten immer wieder neu situationsspezifisch zu einer Gesamtkompetenz zusammengefügt werden können. Die jeweilige Orchestrierung der eigenen Kompetenzen muss zudem ökonomisch und persönlich überzeugend sein.
Niemand kann heute mehr erwarten, dass er das gesamte Programm seiner Kompetenzen und Produkte vorstellen kann, um zu überzeugen. Wenige Kostproben müssen überzeugen. Sie müssen suggerieren, dass Professionelle in der Lage sind, einen originellen und in vielen Dimensionen passenden Beitrag zu leisten. Gelingt dies, sind finanzielle Fragen oft eher zweitrangig.
Jemand, der zwar in Teilaspekten