DAS GLAS MIT INSPIRATION FÜLLEN
Das leere Buch unseres Lebens wird ständig mit Eindrücken gefüttert. Mit Bildern.
Bildern, die aus dem echten Leben stammen, Bildern von Mülltonnen, von schönen Bergen, von hässlichen Häusern, von Filmen, die wir sehen, Spielen, die wir spielen, Leuten, denen wir begegnen. All diese Bilder geben uns Information, die wir verarbeiten.
Manche Bilder vergessen wir, oder glauben es zu tun, andere hüten wir lebenslang wie einen Schatz. Aber all das macht uns zu hoch kreativen Individuen, weil all diese Bilder und Eindrücke uns jederzeit zur Verfügung stehen und uns helfen, auf kreative Weise wir selbst zu sein.
Wir füllen unser Glas mit Eindrücken. Und dann leeren wir es durch Kreativität.
„Aber so kreativ bin ich nicht!”, höre ich einen von euch in sich hinein murmeln.
Doch, bist du. Einfach dadurch, dass du einen beliebigen Satz sagst, sofern du ihn nicht auswendig gelernt hast, bist du schon kreativ.
Wir „lernen” vielleicht zu sprechen oder zu kommunizieren, aber in der Art, wie wir es tun, sind wir beim Sprechen immer kreativ. Wir improvisieren, wir denken uns Dinge aus. Und je mehr wir es tun, umso mehr Spaß haben wir und umso mehr genießen wir es. Vor allem ist aber die Sprache, die Kreativität und eigentlich alles, was wir tun, ein Spiel.
SPIEL DAS SPIEL
Am besten kann man durch das Spielen lernen. Um genau zu sein, kann man nur durch Spielen lernen. Und dabei so viel Spaß haben, dass man die Zeit vergisst. Auch die sogenannte Arbeit ist in Wirklichkeit ein verstecktes Spiel. Aber lass uns die Wörter „Arbeit” und „Lernen” erst einmal analysieren.
Was Menschen „Arbeit” nennen, ist reine Fiktion. Es existiert eigentlich gar nicht.
Wenn deine „Arbeit” zum Beispiel darin besteht, Autos zu verkaufen, dann verkaufst du eigentlich etwas. Und jegliche sogenannte Arbeit lässt sich leicht in ein lustiges Spiel verwandeln.
Jetzt lass uns das „Lernen” analysieren. Zu „lernen” bedeutet, unser Wissen auf eine Art und Weise zu erweitern. Aber kann das nicht auch auf eine lustige und vergnügliche Weise geschehen? Sollten wir nicht außerdem andauernd und jeden Tag lernen?
Die besten Lehrer lernen permanent von ihren eigenen Schülern und aus ihrem eigenen Unterricht. Diese Lehrer agieren spielerisch und ermutigen ihre Schüler zu spielerischem Lernen. Falls du ein Musiker bist, versuch so weit wie möglich auf das Wort „üben” zu verzichten. Wir spielen. Sogar, wenn wir langsam und ganz präzise spielen, um eine Passage zu verbessern, macht es Spaß, sobald wir ein Spiel daraus machen. „Üben” klingt dagegen nach mühsamer Wiederholung.
Kreativität rettet den Tag
Hurra, hurra, ich muss schon sagen,
nur kreativ lässt sich der Tag ertragen!
Ganz in der Früh auf einem langen Flug
War ich so einsam, dass ich schwer dran trug
Vorm Fenster: Regen, wie aus einem Krug.
Ich nehm den Stift, fang an, etwas zu schreiben —
Damit lässt jede Wolke sich vertreiben
Und ich krieg Lust, noch länger hier zu bleiben
Hurra, hurra, ich muss schon sagen,
Nur kreativ lässt sich der Tag ertragen!
MONAT DES LIEDES
Ich habe dieses Spiel als eine einfache Form der „kreativen Fitness” für die Ferien erfunden, aber mit der Zeit ist daraus viel mehr geworden. Inzwischen habe ich Hefte veröffentlicht, Konzerte gespielt und Soundtracks geschrieben, die aus Material bestehen, das dieses Spiel mir geliefert hat.
Es gibt eine sehr einfache Regel, die du gerne brechen kannst, solange du dich an sie hältst.
HK: Etwas zu brechen, solange man sich daran hält, ist aber echt ein Widerspruch in sich.
LX: Naja, so hab ich’s gemeint.
HK: Das macht es nicht wirklich klarer, aber was soll’s.
Während des „Monat des Liedes” schreibt man jeden Tag ein neues Stück, den ganzen Monat lang. Man setzt sich ein Zeitlimit von circa sechzig Minuten pro Tag.
Das „Lied” sollte am Ende des Tages fertiggeschrieben sein. Bewerte es nicht, sei nicht unglücklich damit. Und sei umgekehrt aber auch nicht überglücklich. Schreib es einfach.
Beim ersten Mal habe ich tatsächlich täglich ein Lied mit Text geschrieben, was eine große Herausforderung war. Aber andere Male habe ich zum Beispiel einfach ein kurzes Flöten-Solostück geschrieben. Oder ein Stück für ein anderes Instrument.
Habe ich mich die ganze Zeit erfolgreich an die Regeln gehalten, ohne zu schummeln? Natürlich nicht. Aber darum geht es nicht. Wenn du an einem Tag nicht fertig wirst, kannst du am nächsten Tag weitermachen. Du darfst ein wenig hinterherhinken. Aber nur ein wenig. Wenn du zu langsam bist, schummle.
Schreib an einem Tag ein Stück, das nur eine Seite oder noch kürzer ist.
Aber schreib es.
Vergiss nicht: Du bestimmst immer die Regeln. Wenn du das Gefühl hast, dass du in deinem Monat des Liedes für ein Stück zwei Tage benötigst, auch wenn es ein kurzes Stück ist, dann nimm dir dafür zwei Tage.
Wenn du elektronische Musik schreibst und das Programmieren ein bisschen länger braucht, dann nimm dir sogar drei Tage. Worum es geht, ist, dass du nicht den ganzen Tag damit verbringst, es zu perfektionieren. Du sollst deine Kreativität frei fließen lassen, ohne dich selbst zu beurteilen.
WIR SIND SCHWINDLER UND BETRÜGER
Selbstverurteilung ist eines der größten Hindernisse für Kreativität.
„Ich bin nicht gut genug.” Aber wer ist das schon? Und was bedeutet „gut genug”?
„Ich bin ein Schwindler, ein Betrüger.” Sind wir das nicht alle? Und liegt nicht darin die Magie? Solange wir damit davonkommen!
Ich persönlich spüre jeden Tag Selbstzweifel. Aber anstatt die Zweifel entweder die Kontrolle übernehmen zu lassen oder gegen sie anzukämpfen, betrachte ich sie, akzeptiere sie, lebe mit ihnen und heiße sie willkommen als einen zwar nervigen, aber manchmal sehr nützlichen Freund. Lass diesen nervigen Freund nicht zu oft und nur zur richtigen Zeit in dein Haus eintreten.
Sobald du deinen Monat des Liedes abschließt und du zehn, zwanzig oder sogar dreißig Musikstücke hast, die fertig sind, beginnt der detaillierte Prozess. Es ist dann an der Zeit, deinen inneren Kritiker einzuladen, einen kurzen Blick darauf zu werfen.
Sich nur selbst zu feiern und ganz ohne Selbstreflexion zu lieben, was man tut, ist nämlich auch nicht sehr produktiv. Kreativität hat viele Phasen. Die Phase nach dem Abschluss dieses kreativen Monats ist der Frage gewidmet, was sich mit dem Material anfangen lässt.
Selbstverurteilung ist eines der größten Hindernisse für Kreativität.