Der Tote in der Hochzeitstorte. Thomas Brezina. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Brezina
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990014431
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siehst du auch nicht, weil es in keine Buchhaltung kommt. Du weißt überhaupt nichts von Geld, hast du verstanden?« Ihr Vater verließ das Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

      Veronika atmete einmal tief durch und kehrte an den Schreibtisch zurück. Als sie begann, die Angebote eines renommierten Hochzeitsplaners auf seiner Homepage durchzulesen, platzte ihre Mutter herein.

      »Weißt du nicht, wie spät es ist?«, fuhr sie Veronika an.

      »Ich weiß es, aber wieso ist es wichtig?«

      »In einer Stunde kommt die Lady. Was ist mit ihrem Essen?«

      Frau Wunderer war so klein wie ihr Mann und wie jeden Tag tadellos frisiert und geschminkt. In ihrem dunkelgrünen Trachtenkostüm sah sie aus, als würde sie im nächsten Moment in der Halle neu angekommene Gäste begrüßen.

      »Ich habe Spaghetti mit Crevettensoße und Safran vorbereitet«, erklärte Veronika.

      »Die Küche ist dunkel.« Ihre Mutter sah sie mit diesem stechenden, kalten Blick an, den ihre Angestellten früher so sehr gefürchtet hatten.

      »Die Soße habe ich schon vor ein paar Tagen gekocht und tiefgefroren.«

      »Tiefgefroren? Bist du verrückt? Wenn die Lady das herausfindet, kündigt sie uns womöglich die Abmachung auf.« Ihre Mutter stemmte die Hände in die Seite. »Du hast den ganzen Tag nichts zu tun und wirst es doch wenigstens schaffen, unserem einzigen Restaurantgast ein frisches Abendessen zu kochen.«

      »Die Küche ist normalerweise deine Verantwortung«, schnappte Veronika zurück.

      »Meine Verantwortung ist es, mit der Bank zu telefonieren und jeden einzelnen unserer Stammgäste anzurufen und anzuflehen, doch wieder zu buchen. Man sollte meinen, das ist genug Arbeit für eine Frau, die längst in Pension sein könnte, aber nicht gehen kann, weil die Nachfolgerin mit einem Bein im Ruin steht.«

      Die Eltern konnten es nicht lassen, Veronika mindestens einmal am Tag darauf hinzuweisen, dass sie ihre Tochter für völlig unfähig hielten.

      Frau Wunderer trat hinter Veronika und warf einen Blick auf den Bildschirm.

      »Hochzeitsplaner? Willst du heiraten? Gibt es vielleicht endlich einen Schwiegersohn für uns?«

      »Ich habe euch erklärt, dass ich versuchen will, unser Hotel zu einem beliebten Ort für Hochzeiten in den Bergen zu machen.« Sie schaltete den Computer aus. »Dafür brauche ich so viele Informationen wie möglich, um für die Gäste eine Traumhochzeit gestalten zu können.«

      Die einzige Reaktion ihrer Mutter war ein verächtliches Schnauben.

      »Die Hochzeit am 21. November ist eine Art Testlauf. Wenn sie gut klappt, dann kann ich Fotos an die Presse schicken und ins Internet stellen. Das wäre für uns kostenlose Werbung.«

      Ihre Mutter schüttelte langsam den Kopf. »Meine Güte, Veronika, immer diese Schnapsideen. Wer soll hier bei uns heiraten wollen? Und wieso soll irgendeine Zeitung über die Hochzeit von dieser Frau aus Kitzbühel und ihrem Freund schreiben?«

      »Weil Zeitungen, das Fernsehen und viele Internetplattformen schon oft und viel über die zwei berichtet haben. Sie sind ein Teil der ›Knickerbocker-Bande‹. Erinnerst du dich nicht? Als Kinder haben sie einige mysteriöse Dinge aufgedeckt. Voriges Jahr waren die Zeitungen auch wieder voll, als sie einen Internetbetrug aufgedeckt haben.«

      »Du rennst da Hirngespinsten nach.« Ihre Mutter machte sich ans Gehen. »Denk nicht, dass du für diese Hochzeit Personal anstellen kannst. Wir eröffnen erst am 1. Dezember. Auf uns brauchst du auch nicht zu zählen. Wir halten von diesem Vorhaben nichts.«

      »Ich habe bereits alles geplant«, erwiderte Veronika. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es hat sich eine Praktikantin gemeldet, die gerne kommt. Nur für Kost und Logis. Ich werde sie geringfügig anmelden, damit sie versichert ist, und mit ihr gemeinsam die Hochzeit ausrichten.«

      Frau Wunderer schüttelte noch immer den Kopf, als sie das Büro verließ.

      Veronika schloss die Augen und redete sich gut zu, weder Mut noch Nerven zu verlieren. Um sich ein wenig aufzuheitern, öffnete sie ihre eigene Homepage, die sie für das Hochzeitsschlössel gestaltet hatte. Sie fand sie gelungen. Einfach, aber stilvoll und stimmungsvoll.

      »Die besondere Hochzeit in den Bergen« stand in goldenen Buchstaben über einem Werbefoto des Hotels und dem Bild eines Brautpaares, das sich innig umarmt hielt.

      Lilo Schroll hatte als Erste auf die Homepage geantwortet. Sie suchte einen guten und originellen Ort, um in Tirol zu heiraten, der kurzfristig verfügbar war. Das Hochzeitsschlössel erschien ihr gut geeignet.

      Weil ihre Mutter sicherlich schon in der Küche lauerte, um zu kontrollieren, was Veronika für den Gast kochte, machte sich Veronika auf den Weg. Das Gemecker ihrer Mutter würde sonst noch unerträglicher werden.

      Als Belohnung dafür, ihre Eltern auch an diesem Tag nicht erwürgt zu haben, würde sich Veronika später am Abend eine Stunde in ihrer kleinen Wohnung gönnen und verschiedene Datingseiten im Internet durchforsten. Sie hatte mehrere Profile angelegt und die kleinen Flirts, auch wenn sie nur online stattfanden, erfrischten sie. Jeden Tag schlug ihr Herz vor Aufregung, wenn sie überprüfte, ob neue Nachrichten für sie eingetroffen waren.

      Vielleicht schaffte sie es auf diesem Weg eines Tages, einen Mann zu finden, mit dem sie das Hotel betreiben konnte. Oder noch besser: einen Mann, mit dem sie von hier wegziehen konnte und ein neues Leben beginnen, in dem ihre Eltern nicht mehr vorkamen.

      Vor drei Wochen hatte sie Mario auf einer der Datingseiten kennengelernt. Zuerst hatten sie nur kurze Nachrichten ausgetauscht, aber an einem der nächsten Abende wollten sie miteinander reden. Die Datingseite bot einen Service an, bei dem keine Handynummern ausgetauscht werden mussten. Insgeheim hoffte Veronika, Mario würde sogar zu einem Video-Chat bereit sein. Die Fotos in seinem Profil sahen vielversprechend aus. Sie hoffte inständig, dass sie echt waren.

      TODESSCHATTEN

      Rache war ein Motiv, das Leute zu den grausamsten Taten trieb. Die Rachehandlung konnte zu jeder Zeit und auf jede erdenkliche Weise erfolgen.

      Auf diese Weise dachte ein Mensch über den Tod nach.

      Der Tod würde sich in einem Moment einstellen, in dem keiner mit ihm rechnete. Wie ein Engel mit schwarzen Schwingen würde er dahinfegen und einen leblosen Körper hinterlassen.

      Niemand würde das plötzliche und völlig unerwartete Ableben verstehen können. Keiner würde jemals den wahren Grund für den Todesfall erfahren.

      Wer überleben will, braucht Ruhe und Klarheit. In diesem Fall schien die einzige Möglichkeit, zu überleben, gleichzeitig der Tod zu sein. Es gab keinen anderen Ausweg.

      Der Plan für den Todesfall lauerte auf dem Berg. Viele Vorbereitungen waren dafür nötig. Außerdem Augenzeugen. Das Sterben machte nur Sinn, wenn viele dabei anwesend waren.

      Eine Hochzeit im Alpenschlössel erschien als der beste Moment für den Auftritt des Todes.

      DIE GÄSTELISTE

      »Du hättest sie heute sehen müssen«, rief Axel in der Diele. »Sie haben wirklich alles gegeben. Wir werden die Special Games gewinnen.« Nachdem er seine Jacke aufgehängt und die Sportschuhe weggestellt hatte, stutzte er. Wieso kam ihm niemand entgegen?

      »Hallo? Keiner da?«

      Axel lauschte in die Stille des Hauses. Was war hier los? Sowohl Lilo als auch Lotta müssten doch zu Hause sein.

      Laut rief er noch einmal seine Frage die Treppe hinauf.

      »Ich bin hier«, kam es von oben. Am Klang ihrer Stimme konnte Axel erkennen, dass seine Tochter keinen guten Tag hatte. Er lief drei Stufen auf einmal nehmend in den ersten Stock und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.

      Lotta saß am Schreibtisch neben dem Fenster über ein Heft gebeugt und schrieb etwas. Sie sah nicht einmal auf, als er eintrat.