Von dieser textanalytischen Ebene ausgehend werden zwei Beispiele kirchlichen Engagements für den Sonntag vorgestellt, die sich an unterschiedliche Adressaten richten und unterschiedliche Ziele verfolgen: die Aktionen des „Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken e.V.“, die auf eine innerkirchliche Stabilisierung der Sonntagskultur abzielen und die kirchliche Mitwirkung bei den „Allianzen für den freien Sonntag“, die sich für die politische Garantie des arbeitsfreien Sonntags in Europa einsetzen. Auf einer dritten Ebene wird dann schließlich das liturgische Phänomen der „Zwecksonntage“ untersucht, bei denen sich gesellschaftliche Umstände konkret auf die Feier der Liturgie auswirken. Diese Gottesdienste sind liturgiewissenschaftlich mehrheitlich negativ beurteilt worden. Diese Diskussion soll hier berücksichtigt werden. Das Interesse richtet sich hier aber auf den Zusammenhang von Lebenswelt und liturgischer Feier unter gegenwärtigen Voraussetzungen.
Der dritte Hauptteil (C) widmet sich dem theologischen Kern des Sonntags und setzt sich mithilfe verschiedener Zugangsweisen mit der Rolle des Sonntagsgottesdienstes für die christliche Identität auseinander. Zunächst wird ein liturgiegeschichtlicher Zugang gewählt (Kapitel 4). Es wird dargestellt, unter welchen Schwerpunktsetzungen die Vertreter der Liturgischen Bewegung den Sonntag liturgietheologisch neu zu fassen versuchten und welchen Beitrag des Sonntags für die christliche Spiritualität sie daraus ableiteten. Die von der Liturgischen Bewegung vorgenommenen Neuakzentuierungen wurden durch die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgenommen. Diese reformulierte den Sonntag als „Tag des Herrn“ und wies ihm damit wieder die zentrale Rolle im Kirchenjahr zu. Die entscheidenden Aussagen des Konzils werden in ihrer Bedeutung für den Sonntagsgottesdienst besprochen66.
Der zweite Zugang ist kulturtheoretischer Art. In den vergangen Jahren erfahren kulturwissenschaftliche Erkenntnisse breite theologische Rezeption. Ein besonders fruchtbares Konzept liegt mit der Theorie des kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann vor. Hier soll dargestellt werden, inwiefern Sonntagsliturgie als Medium des kulturellen Gedächtnisses verstanden werden kann und welchen Beitrag sie damit zur Kultur von Gesellschaften leisten kann (Kapitel 5).
Der dritte Zugang erfolgt heortologisch (Kapitel 6). In der Arbeit wird davon ausgegangen, dass Feste Rahmen, Erzählungen und Orte symbolischer Kommunikation sind und Identität prägen. Das gilt auch, obwohl nur ein Teil der Europäer Christen ist oder diesem Kalender zur Gänze folgt67. Christliche Feste leben von der liturgischen Feier, für die Erinnerung eine zentrale Kategorie ist, in ihnen entsteht Gemeinschaft und wird gefeiert68. Christliche Festkultur in Westeuropa gestaltet sich heute dabei sehr komplex. Das Gottesdienstverhalten variiert in den Gesellschaften, in nahezu allen europäischen Ländern sind Traditionsumbrüche zu erkennen69. Hier werden klassische Zugänge zum Fest dargestellt und auf Entsprechungen im christlichen Fest am Beispiel des Sonntags hin überprüft. Zentral ist dabei die Frage, inwiefern der Sonntagsgottesdienst unter heutigen Voraussetzungen als sinn- und orientierungsstiftende Glaubensfeier zu verstehen ist.
Der vierte und letzte Teil der Arbeit (D) führt die Ergebnisse aus den ersten drei Teilen mit der Frage, welche Perspektiven die sonntägliche Liturgie für die christliche Spiritualität und das gesellschaftliche Leben in der Zukunft haben kann, zusammen (Kapitel 7). Die Erkenntnisse der einzelnen Kapitel sollen auf die Zukunft des christlichen Sonntagsgottesdienstes hin dargestellt werden. Das betrifft die gottesdienstliche Praxis, das kirchliche Handeln und gesellschaftliche Perspektiven. Schließlich geht es darum, auf die theologische Bedeutung des Sonntags unter den bestehenden Voraussetzungen hinzuweisen und zukünftige theologische Fragestellungen aufzuzeigen.
1 Vgl. Herrmann-Stojanov, Irmgard, Die Entwicklung des Sonntags. Ein Blick auf die sozialwissenschaftliche Diskussion um die Zeitinstitution Sonntag, Samstag und Wochenende als Bestandteile kollektiven Zeitwohlstands, in: Roth, Ursula / Schöttler, Heinz-Günther / Ulrich, Gerhard (Hg.), Sonntäglich. Zugänge zum Verständnis von Sonntag, Sonntagskultur und Sonntagspredigt (ÖSP 4), München 2003, 116-133; hier: 129. Literaturangaben werden in der Arbeit beim ersten Mal in voller Länge, im Anschluss daran mit Kurztitel genannt. Insofern in der Arbeit von der Gottesdienst feiernden Gemeinde und den Laien als Vorstehern von Wort-Gottes-Feiern die Rede ist, beziehen sich die Bezeichnungen jeweils auf beide Geschlechter.
2 Vgl. Gerhards, Albert, Deuten und Bedeuten. Zum Wechselspiel von Predigt und Sonntäglicher Eucharistiefeier, in: Roth, U. / Schöttler, H.-G. / Ulrich, G. (Hg.), Sonntäglich, 159-168; hier: 164.
3 Vgl. Altermatt, Urs / Metzger, Franziska, „Gedenke des Sabbats“. Erosion der kirchlichen Sonntagskultur, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Am siebten Tag. Geschichte des Sonntags. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn, 25. Oktober 2002 bis 21. April 2003 und im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, 17. Juni bis 12. Oktober 2003, St. Augustin 2002, 42-49.
4 Vgl. Hochschild, Michael, Die Sonntagsgesellschaft, in: Roth, U. / Schöttler, H.-G. / Ulrich, G. (Hg.), Sonntäglich, 93-106; hier: 94.
5 Vgl. Herrmann-Stojanov, I., Die Entwicklung des Sonntags, 119.
6 Vgl. Apostolisches Schreiben Dies Domini Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen über die Heiligung des Sonntags. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VApS 133), Bonn 1998.
7 Vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. November 1996. - Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland gegen Rat der Europäischen Union. - Richtlinie 93/104/EG des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - Nichtigkeitsklage - Rechtssache C-84/94.
8 Vgl. Allianz für den freien Sonntag – 10 Jahre, in: Dossier. Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie Österreichs 9 (2011), 33.
9 Zu erwähnen ist hier insbesondere die gemeinsame Klage der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Hamburg vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009.
10 Vgl. Orth, Stefan, Einhalt. Bundesverfassungsgericht verteidigt Sonntagsschutz vor wirtschaftlichen Interessen, in: HerKorr 64 (2010), 4; Prantl, Heribert, Sonett für den Sonntag, in: Süddeutsche Zeitung vom 02.12.2009, 4; Heithecker, Marcus, Karlsruhe setzt Sonntagsverkauf enge Grenzen. Berlins Gesetz verfassungswidrig: Begründung für Öffnung im Advent fehlt – Beschwerde der Kirchen erfolgreich, in: Die Welt vom 02.12.2009, 1; Knapp, Ursula, Shopping-Lust reicht nicht. Sonntags-Öffnung braucht wichtigen Grund, in: Frankfurter Rundschau vom 02.12.2009, 2; Karlsruhe stärkt Sonntag im Advent, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.12.2009, 1f.; Kriener, Manfred, Ein Feiertag auch für Atheisten, in: Die Tageszeitung vom 02.12.2009, 1; Ladenschluss. Verkaufsoffene Sonntage: Das Bundesverfassungsgericht gibt Klagen der Kirchen teilweise recht. Berlin muss zurückstecken, in: Die Tageszeitung vom 02.12.2009, 1.
11 Vgl. Museum der Arbeit (Hg.), Sonntag! Kulturgeschichte eines besonderen Tages, Hamburg 2001; vgl. Am siebten Tag.
12 Vgl. Weiler, Rudolf, Der Tag des Herrn. Kulturgeschichte des Sonntags, Wien [u.a.] 1998; zu nennen sind hier bspw. Holly, Johannes, Sonntagsheiligung: „Tag des Herrn“, Gebot der Kirche, in: Weiler, Rudolf (Hg.), Der Tag des Herrn, 41-93; Schnarrer, Johannes Michael, Die Versuche, den Sonntag abzuschaffen: Gegenkalender und Freizeitindustrie, in: Weiler, Rudolf (Hg.), Der Tag des Herrn, 147-174; Schnarrer, Johannes Michael, Die Gewerkschaften und der Kampf um die Sonntagsruhe, in: Weiler, Rudolf (Hg.), Der Tag des Herrn, 225-244.
13 Aus der Fülle der Beiträge seien hier zwei Publikationen genannt: Altermatt, Urs, Von der kirchlichen zur pluralen