Nun gibt es allerdings eine Grauzone zwischen dem moralisch und dem physisch Bösen: Zum Beispiel steigt die Rate der Krebserkrankungen – ein physisch Böses – an, weil der Mensch in seiner Genussgier immer höheren Komfort fordert und dafür immer mehr und bedenkenlos – es geht ja ums Geschäft – krebserregende Stoffe erzeugt. Da ist auch moralisch Böses im physisch Bösen! Oder ein Jugendlicher wird gewalttätig, bei dem die Aggression zwar aus seelischer Verkümmerung entspringt, ein Anteil daran aber frei gewähltes Abreagieren von Frustration ist; auch hier verschlingen sich moralisch und physisch Böses, unabsehbar und unentwirrbar. Dass die Sprache physisches Übel ebenfalls »böse« nennt, bekommt so Recht.
Und umgekehrt: Die Kinder der Mafiabosse – moralisch böser Menschen – werden wieder Mafiabosse, weil sie durch kranke familiäre Strukturen ins Böse hineingezogen werden. Sie haben kaum eine Chance, dem Teufelskreis zu entkommen. Das Böse wird zu einer anonymen Macht, zu einer gleichsam physischen Größe, die Menschen – Kinder! – überfällt und vergewaltigt. Opfer des Bösen werden wieder zu Tätern des Bösen – von Freiheit ist nicht viel zu sehen. Die Kirche beschreibt das Phänomen mit dem wenig glücklichen Wort von der »Erbsünde«; sie ist weder (genetisches) Erbe noch (frei getane) Sünde, sondern vorpersonale und unausweichliche Macht oder »Struktur« des Bösen – dazu später mehr.
Die Grauzone zeigt, dass die Unterscheidung zwischen dem moralisch und dem physisch Bösen nicht absolut und nicht trennscharf ist, sie bleibt vorläufig. Dennoch wird sie im Fortgang des Buches hilfreich sein. Sie hält an, etwa die Frage nach dem Kreuz und die nach der Theodizee nicht zu schnell in eins zu werfen. Nur in dieser Differenziertheit ist die Frage, warum wir zu leiden haben, angemessen anzugehen. In den folgenden Kapiteln zwei bis vier geht es vorrangig um das moralisch Böse und um Opfer und Täter, Sünde und Schuld, Kreuz und Erlösung. In Kapitel fünf geht es dann mehr um das physisch Böse, also um die Theodizee, um den Glauben an den Gott der Auferstehung in einer vom Bösen durchwirkten und vom Tod umfangenen Welt, außerdem – selbstverständlich – um das gläubige und christliche Leben in dieser von Leid gezeichneten Welt. Ignatius und seine Zeit – übrigens auch die Reformation – stellten vor allem die Frage nach dem moralisch Bösen; daher liegt in den Exerzitien der Schwerpunkt darauf. Heute stellen wir viel mehr die Frage nach dem physisch Bösen. In jüngster Zeit allerdings, seit dem Bekanntwerden des häufigen sexuellen Missbrauchs durch Priester, scheint sich die Frage nach dem moralisch Bösen – einschließlich der nach der Sühne – wieder vorzudrängen. In ihrer Verschränkung gehören beide Fragen zusammen. Hier seien sie als die eine existentielle Frage nach dem Leiden gestellt.
Das moralisch Böse ist Tat des Menschen. Fragen sind, warum der Mensch Böses tut, wie er aus dem Teufelskreis des Bösen herauskommt und wie er die Schuld bezahlt. Das physisch Böse ist das Übel in der Natur oder in der Schöpfung. Fragen sind, warum Gott das zulässt und wie wir angesichts des Übels an einen gütigen und allmächtigen Gott glauben und mit ihm leben können.
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