Neuer Mut zur Zärtlichkeit. Hermann Kügler

wegzusehen und besser zu reagieren als in der Vergangenheit.

      5. Transparente Machtverhältnisse: Macht kann schöpferisch sein, aber auch lebensfeindlich. Ohne Macht kann man nichts bewirken. Institutionen verfügen über Macht und verleihen Macht. Die Schule verleiht dem Lehrer Macht über Schüler. Die Kirche verleiht dem Priester Vollmachten. Institutionen verfügen über Macht, die sie an ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen übertragen. Die Macht der Institution strahlt auf ihre Repräsentanten und Mitglieder ab. Daraus können Anmaßungen entstehen, die sich in der Zugehörigkeit zu der Institution begründen. Kinder und Jugendliche müssen lernen, kirchliche Machtverhältnisse daraufhin zu befragen, ob sie das Leben in seiner Ausrichtung auf Gott und die Mitmenschen fördern oder behindern. Und solches kann eine kirchliche Einrichtung fördern – oder eben nicht.

      Allerdings haben diese Verbesserungen ihren Preis. In allen Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, wie die Schule und die Kirche, geht es um eine jeweils gute Balance von optimaler Nähe und optimaler Distanz. Nicht unproblematisch scheint, dass in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit die Verantwortlichen derzeit eher die »optimale Distanz« suchen und dabei die Suche nach der »optimalen Nähe« zu kurz kommt. Die Sorge nach den Missbrauchsfällen um das Wohl von Minderjährigen darf nicht dazu führen, dass menschliche Nähe unmöglich wird.

      Das wichtigste »Medium« in der Seelsorge ist die zwischenmenschliche Beziehung. Spirituelles Leben gelingt, wenn Entwicklung und Lernen in einem Raum des Schutzes und des Vertrauens möglich wird, und dafür braucht es menschliche Nähe. Während Lehrerinnen und Lehrer im »Zwangssystem« Schule eher die optimale – nicht maximale! – Distanz suchen und gewährleisten müssen, geht es im »Freiwilligensystem« Kirche eher um die optimale Nähe.