Zwischen Zuversicht und Zweifel. Albert Damblon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Damblon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783429061630
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vierzig Jahren? Ich habe mich intensiv auf die meisten Osternächte vorbereitet. Hat mir die Arbeit genützt, um an Ostern zu glauben? Was bringt es, Ostern zu predigen, was bringt es, Ostern Predigten zu hören?

      „Genau! Was hätte es mir gebracht, dir Osternacht für Osternacht zuzuhören?“

      Gekritzelte Auferstehung

      Ich war fertig. Nein, nicht mit den Nerven, im Gegenteil, ich war fertig, um endlich anzufangen. Das Theologiestudium und das praktische Jahr im Priesterseminar hatte ich beendet. Endlich fertig mit 26 Jahren. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, sich mehr Zeit für das Studium zu nehmen, um das Leben richtig zu lernen. Aber was heißt Leben lernen, ich meinte es zu beherrschen. Also trat ich am 17. März 1973 meine erste Stelle als Kaplan am Rand einer niederrheinischen Großstadt an. Mein Vorgänger lebte noch in der Dienstwohnung, sodass an einen Umzug nicht zu denken war. Sowieso musste zuerst renoviert werden. In der Dachstube des geistlichen Studienrats kam ich unter. Es machte mir nichts aus, weil es endlich losging. Jugend, Alte, Kinder, Gottesdienste – alles, was ich mir einmal gewünscht hatte, war plötzlich Wirklichkeit. Ich fing unbescheiden an. Denn tief in mir drin hatte ich die Fantasie, alles besser zu machen als meine Vorgänger. Was sollte falsche Demut. Nur weil ich anfing, sollte sich das Blatt in der Kirchengeschichte wenden.

      Darüber vergaß ich die Fastenzeit. Ostern war nah, nur ein paar Wochen entfernt. Trotzdem stürmte so viel Neues auf mich ein, dass Ostern für mich persönlich weit weg war. Die Jugendlichen rannten mir die Tür der Dachkammer ein, der neue Kaplan musste getestet werden. Trinkt er wie der Alte? Ist er genauso ein Langschläfer? Jugendliche vergleichen. An den Alten hatten sie sich gewöhnt, der Neue musste sie erst noch gewinnen. Ich wollte gewinnen. Vor Ostern sammelte die katholische Jugend jedes Jahr Altpapier. Die Papierpreise waren in diesem Jahr günstig, sodass die Aktion auf jeden Fall durchgeführt werden sollte. Der Einsatz lohnte sich. Wie mir die Jugendlichen erzählten, ging für die Sammlung ein ganzer Samstag drauf. Mein Vorgänger hatte sie immer mitgemacht. Er stand oben auf dem Anhänger eines Schleppers und fing die schweren Papierbündel auf. Ich sah mich dort oben und ahnte vor allen Dingen, was an Arbeit auf mich zukam. Meine Armmuskulatur war schreibtischtrainiert, von Altpapier hatte sie keine Ahnung. Und Schnappen musste sie können, keinen Ball, sondern einen Stapel alter Zeitungen und Prospekte. Geworfenes Papier wiegt schwer.

      Irgendwie ergab es sich, dass der letzte Bauer am Stadtrand seine Traktoren nur am Karsamstag verleihen konnte. Einen Tag vor Ostern standen sie unbenutzt im Hof. Vielleicht hatte der Bauer die Grabesruhe Jesu Christi begriffen, ich war nicht im Rhythmus des Kirchenjahres angekommen. Karsamstag war in meinem Denken noch kein herausgehobener Tag. An die Vorbereitung meiner ersten Osterpredigt dachte ich überhaupt nicht. Es blieb mir keine Wahl. Ich musste mitmachen, weil der Vorgänger ebenfalls mitgemacht hatte. Wer neu anfing, machte alt weiter. Traditionen bleiben im Recht. Die Theologie des Kirchenjahres war in meinem Kopf endgültig abgehakt, die sogenannte Praxis hatte das Kommando.

      Was nutzte die abstrakte Dogmatik, die ich lange verdächtigt hatte, zu dürr zu sein, um mein Leben zu beflügeln. Zwar hatte mir mein Predigtlehrer eingebläut, wie wichtig die Vorbereitung der Osterpredigt sei, aber beim ersten Mal drückte ich mich davor. Genauso wenig störte mich die sogenannte Grabesruhe. Eine Altpapiersammlung hatte damit wenig zu tun. Während ich das Papier stapelte, ging mir auf, dass ich die Sammlung am Karsamstag hätte absagen müssen. Aber welcher Anfänger traut sich eine solche Entscheidung zu! Die Papiersammlung hatte doch immer kurz vor Ostern stattgefunden. Hoch auf dem Wagen wurde gelacht, gestöhnt und geschuftet. Obwohl das Wetter österlich kühl war, schwitzte ich. Wahrscheinlich wäre eine Vorbereitung der Osterpredigt weniger schweißtreibend gewesen. Mit hochrotem Kopf hatte ich sie vergessen. Weder die schwarzen Ränder der Todesanzeigen noch die Unfallberichte in den Zeitungen erinnerten mich daran. Einem 26-Jährigen konnte der Tod gestohlen bleiben. Spätnachmittags, gegen halb sechs, war der letzte Packen aufgeladen. Das Ergebnis war hervorragend. Einen Tag vor Ostern wollten die Leute ihren Müll wegbekommen. Zumindest die Keller sollten frei sein, wenn es schon der Kopf nicht war.

      Bis zur Osternachtfeier blieb wenig Zeit. Sie reichte unmöglich, um eine Osterpredigt vorzubereiten. Nachdem ich mich geduscht hatte, überflog ich die Osternachtliturgie. Mein Pfarrer hatte mir den Entwurf bereits am Palmsonntag in den Briefkasten geworfen. Ich wollte wenigstens wissen, wann ich liturgisch an der Reihe war. Sonst hätte ich vielleicht nach dem anstrengenden Tag meinen Einsatz verschlafen. Als ich dann nach der Feier am Osterfeuer stand, fielen mir fast die Augen zu. Meine „Frohe Ostern“ klangen lahm und ohne Freude. Endlich, nach Mitternacht, saß ich am Schreibtisch. Morgen früh musste ich im Osterhochamt predigen, koste es, was es wolle. In den Prüfungen an der Universität wusste ich viel über Ostern, aber in jener Nacht am Schreibtisch rührte sich nichts. In meinem Hirn herrschte Totenstarre. Kein Stein wurde weggewälzt. Alles blieb verschlossen. Als mein Kopf schwer auf den Schreibtisch fiel, schreckte ich auf. Zwei Uhr und 45 Minuten, noch kein Wort auf dem Papier, das nächstes Jahr vielleicht auch auf dem Anhänger landen wird. Ich musste Worte und Sätze erwecken, damit meine Hörerschaft zum Leben erweckt wurde – so überheblich dachte ich noch in jener Nacht. Da mich persönlich kein Tod belagerte, fehlte mir auch die Hoffnung zum Leben. So verfehlt jede Predigt ihr Ziel.

      Irgendwann tauchten die ersten Worte auf. Bis heute erschreckt mich der Stichwortzettel meiner damaligen Osterpredigt. Nur handgeschriebenes Gekritzel! Ohne Struktur und Übersichtlichkeit verkam Ostern auf diesem Schmierpapier zu hoffnungslosen Schriftzeichen. Es wundert mich, dass ich dieses Blättchen bis heute verwahrt habe. Wenn ich ehrlich wäre, gehörte es in das Altpapier. Gerade kann ich die Stichworte: endgültig, absolut, glücklich entziffern. Dabei vermitteln bloße Steigerungen keine Wahrheit. Superlative wirken wie Floskeln. Wie wenig achtete ich meine Hörerinnen und Hörer! Ein paar sprachliche Taschenspielertricks, die Fragen und Zweifel umgehend. Am Ende meines ersten Osterfestes wusste ich: Mit Aufstehen, dem Aufstand zum Leben und für das Leben hatte meine erste Osterpredigt wenig zu tun. Damals erst begann meine Geschichte mit Ostern, die ich in Kindertagen und in Studienzeiten verschlafen hatte.

       Aufstehen

       „Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein.“ (Joh 20,5)

      Schauen Sie sich im Fernsehen Boxkämpfe an? Plötzlich ein fester Schlag mit der rechten Faust, der Getroffene fällt zu Boden. Der Ringrichter eilt herzu und zählt. Aber er kommt nur bis acht. Der Getroffene wird nicht ausgezählt. Er steht mühevoll wieder auf und kämpft weiter. Ob er so reaktionsfähig ist wie vor dem Schlag, das bleibt die Frage. Ist das die Auferstehung eines Boxers?

      Ihr Kind liegt mit einer schweren Grippe danieder. Wann es aufstehen darf, entscheidet der Arzt. Nach drei Tagen spielt es wieder wie vorher. Ist das Auferstehung?

      Unsere Sprache vergleicht die Auferstehung Jesu mit dem Aufstehen eines Boxers oder eines Kranken. Sie versteht vieles unter dem Begriff „aufstehen“ und mengt es zusammen. Von daher ist für unsere Ohren Auferstehung missverständlich. Unser Osterbekenntnis klebt an dem einen Wort: aufstehen. Umgangssprachlich meint aufstehen den Übergang von einer liegenden zu einer stehenden Haltung. Der Mensch, der sich stellt, steht auf.

      Zu einfach für Ostern. Das Aufstehen eines Boxers und die Auferstehung Jesu Christi sind zwei grundverschiedene Ereignisse, die unsere Sprache jeweils anders benennen müsste. Es reicht nicht, eine Silbe wegzulassen. Das Neue Testament versucht es mit anderen Begriffen. Es spricht von Erhöhung, Herrlichkeit und Verwandlung. In der deutschen Sprache haben die Begriffe nicht gezogen. Es bleibt dabei, dass Ostern das Fest der Auferstehung Jesu Christi ist. Damit weckt unsere Muttersprache die häufigste Fantasie: Ein Mensch, der in einem dreitägigen Todesschlaf geruht hat, ist aufgestanden, um in das normale Leben zurückzukehren. So außergewöhnlich dies wäre, es lohnte sich nicht, dafür Ostern zu feiern. Da die menschliche Ordnung bzw. Unordnung nicht durchbrochen worden wäre, hätte sich nichts Wesentliches ereignet. Der wieder aufgestandene Christus hätte ein zweites Mal sterben müssen. Und der zweite Tod wäre endgültig gewesen. Nichts hätte sich geändert, damit nachfolgende Generationen Hoffnung schöpfen könnten.