Damit nun sind die transzendentalen Eigenschaften des Seins im Sinne klassischer Metaphysik eingeholt, erscheinen jedoch in einem entscheidend anderen Verhältnis zueinander. „Die Transzendentalien sind keine Kategorien, die als endliche Gehalte gegeneinander de-finiert werden können; sie sind durchgehende Bestimmungen des Seins als solchen und liegen deshalb ineinander.“160 Damit aber ist zugleich gesagt, dass sie auch nur mit- und durcheinander zu begreifen sind. „Der Transzendentaliensatz relativiert den seit Beginn der abendländischen Philosophie sich mehr oder weniger ausdrücklich behauptenden, seit der Neuzeit geradezu verabsolutierten ‚Primatsanspruch‘ der begrifflichen Erkenntnis und gibt ein mehrdimensionales, gleichursprüngliches Gefüge von Grundvollzügen frei.“161 Das Sein ist demnach auch im Hinblick auf seine materiale Struktur der menschlichen Vernunft nicht verfügbar.
Dieser Befund vertieft sich noch einmal mit Blick auf das bereits über die formale Struktur Gesagte. Die Einheit des Da-Seins, so wird man von dort her sagen müssen, steht in unauflösbarer Spannung zur Einheit des je einzelnen So-Seins. Einheit als transzendentale Eigenschaft des Seins ist also „nicht platte, univoke Identität, sondern bewegte Einheit des ‚Zwischenraums‘ zwischen Dasein und Sosein“162, und als solche nicht auf einen abstrakten Begriff rückführbar. Weil nun aber die Transzendentalien einander gegenseitig innerlich sind, ist evident, „daß durch alle drei transzendenten Modi eine grundlegende Polarität hindurchgeht, … (die) sich von der alles durchziehenden Polarität der Einheit herleitet“163.
Hier spätestens zeigt sich die unlösbare Verflechtung von formaler und materialer Struktur des Seins im Sinne Balthasars. Deshalb sei an dieser Stelle der Versuch unternommen, die beiden Linien, die mit Blick auf Balthasars Neuinterpretation der Lehre von der Realdistinktion einerseits und der klassischen Transzendentalienlehre andererseits bis hierher gezogen wurden, zusammenzuführen und von diesem vorläufigen Befund her einen dritten wesentlichen Konstruktionspunkt seines Seinsverständnisses in den Blick zu nehmen:
In der konkreten Begegnung mit anderem Seienden wird dem Menschen wahrhaftige Erfahrung des Seins zuteil, in der das Sein sich ihm notwendig als weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht auf eine in sich geschlossene Einheit rückführbares Mysterium erschließt. „Und nun stellt sich unabweisbar vom Phänomen der nicht-einen Einheit her die Frage nach der einen, in sich identischen Einheit“164, in der die im Sein notwendig auseinanderfallenden Polaritäten und Dimensionen eingeborgen sind; die Frage also nach dem absoluten Sein, nach Gott. In diesem Sinne sieht sich der Mensch, wie eingangs gesagt, in der Begegnung mit dem Seienden angesichts der Unbegreiflichkeit des Seins auf Gott verwiesen. Im Sein besteht demnach eine Verbindung zwischen Gott und Mensch; im Sein wird der Mensch für Gott ansprechbar. „Es ist zwar richtig, daß … das nackte Gottsein und das nackte Geschöpfsein ohne Ähnlichkeit, vielmehr reine Entgegensetzung sind. (…) Aber schon in der ersten Entgegensetzung ist notwendig von Gottsein und Geschöpfsein die Rede, und somit von einer Ähnlichkeit des Geschöpfs mit dem je unähnlichen Gott“165, die ihm in seiner Natur immer schon gegeben ist. Balthasar erkennt darin „das Geheimnis der Weltimmanenz des welttranszendenten Gottes, das man mit der Formel der Analogia Entis … anvisieren kann.“166 Wenn eingangs von einem natürlichen Wissen um Gott als minimaler Voraussetzung für das Verstehen-Können der göttlichen Offenbarung die Rede war, so wird man jetzt also sagen können, „dieses Minimum ist grundgelegt in der Analogia entis.“167 Im Gedanken der Seinsanalogie liegt also letzten Endes der Schlüssel zum Verständnis des balthasarschen Konzepts unterscheidend christlicher Metaphysik.
2.1.2.2.3 Analogie des Seins
„Die Rede von der Analogie als analogia entis ist im deutschen Sprachraum vor allem mit dem Werk Przywaras und der von ihm eingeführten Verbindung mit der bekannten Aussage des IV. Lateranense verbunden.“168 Die Formel von der ‚Analogia entis‘ umfasst das Zusammenspiel zweier zunächst einmal grundsätzlich zu unterscheidender Relationen, nämlich einer immanenten und einer transzendenten Analogie.
In unverkennbarer Nähe zur thomanischen Lehre von der Realdistinktion nimmt Przywara seinen Ausgangspunkt in der Kennzeichnung der Grundstruktur des kreatürlichen Seins und aller seiner Vollzüge als immanente Analogie im Sinne einer dynamischen Bewegung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, die über ihre Ausrichtung auf eine angestrebte Mitte hinaus von vorneherein unausweichlich ein ihr vorgegebenes, übergeordnetes Ziel in sich trägt.169 Eine solche Bewegung sieht er im Sinn des Wortes ‚Analogie‘ umschrieben170. Das Präfix ‚ana‘ kann mehrere Bedeutungen haben. Zum einen bedeutet es als ‚ana‘ ‚über, nach, gemäß‘. Es changiert aber immer mit ‚ano‘ im Sinne von ‚oben, hinauf‘ und kann schließlich auch ‚wieder‘ meinen. Die Bedeutung der Vorsilbe umschließt also letztlich ein Koordinatenkreuz aus einer Waagerechten, mit einer zwischen einander auf einer Ebene gegenüberliegenden Data hin und her schwingenden Bewegung und einer Senkrechten, die die Ausrichtung der Bewegung vorgibt.
Auch die Bedeutungsdimensionen des zweiten Wortteils bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen. ‚Logos‘ kann sowohl ‚Wort‘ meinen, wobei dasjenige, das mit diesem Wort bezeichnet wird, in den Hintergrund rückt, als auch ‚Sinn‘, sodass das Wort nur als Träger in den Blick kommt. „Werden Präfix und Verbum in dem Wort ‚Analogie‘ zusammen betrachtet, so ergibt sich ein äußerst dynamischer Wortsinn, der in jedem seiner ursprünglichen Teile Ausdruck der kreatürlichen Struktur einer Bewegung zwischen Vor und Zurück bei Einheit und Differenz ist und überdies zentral auf einen über diesen rhythmischen Prozeß sich bildenden Sinnzusammenhang verweist“171, der die kreatürliche Bewegung als Ursprung und Ziel begründet.
In ihrer Ausrichtung auf ein ihr transzendentes Ziel verweist nun diese erste Relation über sich hinaus auf eine zweite, die in theologischer Interpretation des Entwurfs als die Beziehung zwischen dem kontingenten geschöpflichen Sein und dem absoluten Sein Gottes verstanden und näherhin als transzendente Analogie beschrieben wird. Demnach steht in analogem Bezug zur transzendierenden Bewegung des Kreatürlichen auf Gott hin eine immanierende Bewegung Gottes in die Schöpfung hinein. „Auf der Senkrechten (ist) das Transzendieren auf Gott hin [über-hinaus] eingebettet in die göttliche Heilsinitiative [von-oben-hinunter], und beides zusammen trägt die waagerechte Entsprechung [hin-und-zurück].“172
Nun ist aber Analogie als alles kreatürliche Seiende durchwaltende Grundstruktur ausgewiesen worden. „Indem sie in allen Bereichen der Geschöpflichkeit erfaßt werden kann und darin jeglicher Differenzierung vorausliegt, entspricht sie demjenigen, was mit ‚Sein‘ angesprochen ist.“173 Analogie und Sein sind konvertibel. In der Konsequenz heißt das: Weil der Bezug zwischen Gott und Geschöpf die äußerste denkbare Analogie ist, so ist damit auch das äußerste Verständnis von Sein erreicht. „Für Przywara ist also die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf selber Sein, wobei hierfür gilt, daß beide Seiten in dem Punkt, in welchem