Identifikation mit und politische Beteiligung im Aufenthaltsland scheinen also positiv mit äquivalenten Gefühlen und Aktivitäten im Herkunftsland verbunden. Ein zweiter Pass und Loyalität zum Heimatland gehen Hand in Hand, Loyalität gegenüber dem Aufenthaltsland einerseits und dem Heimatland andererseits ebenfalls. Entscheidender als der formale Status scheint für eine Demokratie daher die Frage zu sein, ob sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger generell zugehörig fühlen, ob sie sich für Politik interessieren und sich aktiv einbringen. Ist dies der Fall, tun sie es in der Regel sowohl in ihrem Aufenthalts- als auch in ihrem Herkunftsland. Die Studie bestätigt also eher die transnationale Perspektive als die traditionelle, die von einer Abnahme politischer Identität und Beteiligung bei Doppelbürgerschaft ausgeht.
Und wie steht es um die Förderung kosmopolitischer Einstellungen und Identitäten durch doppelte Staatsbürgerschaft? Die Umfrageergebnisse der Studie in der Schweiz mit Blick auf kosmopolitische Einstellungen wie Akzeptanz kultureller Diversität, Einwanderung und transnationale Rechte, Identifikation und Solidarität mit Europa oder als Weltbürger sowie globale Formen politischer Partizipation zeigen, dass Doppelbürgerinnen und Doppelbürger sowie Ausländerinnen und Ausländer eher kosmopolitische Einstellungen aufweisen als Schweizerinnen und Schweizer mit nur einem Pass. Im Hinblick auf universale Identitäten und Solidarität unterscheiden sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger nicht signifikant von Einfachbürgern, doch beteiligen sich jene mit zwei Pässen signifikant mehr an globaler Politik als Einfachbürger. Doppelbürger scheinen also nicht in jeder Hinsicht eine kosmopolitische Avantgarde zu sein. Als bisweilen vermehrt global aktive Bürger tragen sie jedoch durchaus zu kosmopolitischer Bürgerschaft bei.
GEWINNE FÜR DIE SCHWEIZ
Die wenigsten Länder gewähren Ausländerinnen und Ausländern das (nationale) Wahlrecht. Einbürgerung ist insofern die einzige Möglichkeit, um die Unterschiede bezüglich politischer Mitbestimmung zwischen der ansässigen und der wahlberechtigten Bevölkerung eines Landes zu nivellieren. Mit einem Ausländeranteil von 24,3 Prozent sind die Unterschiede in der Schweiz im internationalen Vergleich besonders hoch.20 Einbürgerungshürden sollten so weit wie möglich abgebaut werden, statt sie durch Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft weiter zu erhöhen. Denn die Schweiz, so haben die Studien gezeigt, gewinnt durch die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft mehr als sie verliert: auf nationaler Ebene, indem sie politische Identifikation und Beteiligung der Eingewanderten sowie deren Integration insgesamt befördert, und aus transnationaler Sicht, indem Mehrfachzugehörigkeiten das Bewusstsein für globale Zusammenhänge erhöhen und dies wiederum in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess auf nationaler Ebene eingespiesen wird.
Der Generalverdacht gegenüber Doppelbürgern, sie seien weniger loyal, lässt sich also zumindest bezogen auf die Schweiz klar zurückweisen. Die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft führt nicht zu halbierten, sondern zu gestärkten Loyalitäten, jedenfalls bei denjenigen Personen, die politische Loyalität und demokratisches Engagement zeigen. Transnationale Loyalitäten sind nicht nur möglich, sondern können sich sogar gegenseitig verstärken und sind darüber hinaus in der Regel mit kosmopolitischen Loyalitäten verbunden. Die Pluralisierung von Bürgerschaftsrechten, -identitäten und -praktiken verlangt zumindest Schweizerinnen und Schweizern keine Entweder-Oder-Entscheidung ab. Da doppelte Staatsbürgerschaft die legale Vorbedingung für gleichzeitiges Engagement in zwei Ländern ist, hat sie zu Recht eine zentrale Funktion für transnationale Bürgerschaft und Demokratie.
Die Studien zeigen allerdings auch, dass zu hohe Erwartungen an normative Regelungen nicht angebracht sind. Der formale Status ist lediglich ein Faktor, der Loyalitäten und politisches Engagement beeinflusst. Zudem sind Doppelbürger nicht per se Kosmopoliten im Sinne universell denkender Weltbürger. Sie weisen jedoch wie generell Migrierende durchaus Züge einer kosmopolitischen Avantgarde auf und leisten damit einen Beitrag zur Demokratisierung unserer zunehmend interdependenten Welt.
Andrea Schlenker ist promovierte Politologin und hat 2015 an der Universität Luzern mit einer Forschungsarbeit über Staatsbürgerschaft im 21. Jahrhundert habilitiert. Heute leitet sie das Referat «Migration und Integration» beim Deutschen Caritasverband.
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