Gottes Begleitung für den Menschen und die Menschheitsfamilie gipfelt in der Menschwerdung Jesu. Gott schätzt und liebt den Menschen so sehr, dass er sich in Menschengestalt offenbart, sich mit Menschen, mit jedem, gerade auch mit den Ärmsten und Verachteten, identifiziert, wie Jesus in der Gerichtsrede bei Mt 25,31–46 für viele provozierend feststellt. Jesus redet nicht von Solidarität, er lebt sie, ohne großes Aufheben. Gott ist da. Seine Menschenfreundlichkeit wird verletzlich wie ein kleines Kind, verletzlich wie die Liebe. Gleichzeitig beruft Jesus Menschen, die er bei sich haben will. Ihm ist die erlebte Wegbegleitung in Gemeinschaft wichtig. Die Jüngerinnen und Jünger sollen erleben, was es heißt, zu ihm zu gehören. Sie erleben Erfolg und Ablehnung, Höhen und Tiefen. Jesus selbst wünscht und braucht die Begleitung seiner Freunde in der Todesangst vor seiner Auslieferung.
Für Franziskus und Klara von Assisi spielt die Gemeinschaft eine große Rolle. Beide orientieren sich am Evangelium. Es ist Leben und Regel für ihre persönliche Lebensgestaltung wie auch für ihre Gemeinschaften. Die franziskanische Schwestern- und Brudergemeinschaft ist so sehr durch das Hören konstituiert, dass im Verständnis von Franziskus einer, der ohne Wissen und Einverständnis der Schwestern oder Brüder etwas tut, „außerhalb des Gehorsams“ steht. Die Gemeinschaft ist für das franziskanische Ideal wesentlich. Sie ist der notwendige Lebensraum des Einzelnen, indem sie ihm ermöglicht zu hören. Ebenso wenig wie die Gemeinschaft sind Gefährten und Begleiterinnen ersetzbar. Selbst wenn einen Bruder die Sehnsucht zu Franziskus treibt, wird er von ihm dann gerügt, wenn er den Weg allein gegangen ist. Darum befiehlt Franziskus den Brüdern, dass sie immer mindestens zu zweit gehen, gemäß dem Evangelium (vgl. Lk 10,1). Auch in den Einsiedeleien wünschte er nie allein zu sein. Immer muss einer da sein, mit dem er beten kann, dem er zuhören darf, der ihm den Willen Gottes und der Gemeinschaft vermittelt. Klara, so berichten die Schwestern im Heiligsprechungsprozess, war von ihrem Weg überzeugt und sah ihn auch als Möglichkeit für andere Frauen. Ob eine Frau für diesen Weg geeignet ist oder nicht, entscheidet nicht sie allein, sondern mit ihr die Gemeinschaft. Klara selbst war eine mutige Begleiterin. Sie konnte sanft ermutigen, aber auch zurechtweisen. Für sie erfordert das Leben in einer geistlichen Gemeinschaft Klarheit und das Leben nach dem Evangelium eine konsequente Entschiedenheit.
Begleitung im Gebet
Nicht immer braucht Begleitung das Gespräch. Der Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung Raum zu geben, geschieht tagtäglich im Gebet. Einzelpersonen, Gemeinden und Ordensgemeinschaften begleiten im Gebet das Geschehen von Kirche und Welt.
Von einer älteren Mitschwester, die jahrzehntelang als Erzieherin tätig war, erfuhr ich, dass sie jeden Tag für ihre ehemaligen Kindergartenkinder betet. Diese Menschen, inzwischen selbst Mütter, Väter, Großeltern, hatten von dieser betenden Begleitung über Jahre hinweg keine Ahnung. Sie geschah im Stillen und hatte doch ihre Segenskraft und ihre Verbindlichkeit.
Wie stützend und tröstend ist solch eine Zusage: „Ich denk an dich. Ich bete für dich.“ Das gilt besonders vor wichtigen Prüfungen, Entscheidungen, bei Krankheit, in schwierigen Lebenssituationen und beim Abschied.
Begleitung durch Zeichen
Spürbar werden solche Zusagen und Wegbegleitungen immer wieder durch konkrete Zeichen. Den Auftrag „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19 par. 1 Kor 11,24f), die Aufforderung, sich zu erinnern, gibt Jesus an die Jünger in sinnlichen Zeichen weiter: in der Fußwaschung, im gemeinsamen Mahl. Ähnliches tut Franziskus. Für Bruder Leo ist der Segen, den Franziskus ihm aufschreibt, so wichtig, dass ihn das Segensdokument zeit seines Lebens auf allen Wegen begleitet.
Bei aller Weiterentwicklung der modernen Kommunikationsmittel lebt im Menschen die Sehnsucht durch begleitende Zeichen: Die Bibel bei der Eheschließung zu bekommen, die Muschel vom letzten Urlaub oder die SMS eines Freundes sind Zeichen der Wegbegleitung. Sie lassen spüren: „Du bist nicht allein“, und machen die Präsenz des anderen im Alltag gegenwärtig.
Begleitende Orte
Es mag befremdlich klingen, wenn auch Orte als Form der Begleitung benannt werden. Meine Erfahrung ist, dass Orte für Menschen ganz wichtig sind – als Hilfen und „Tankstellen“. Ich frage mich selbst oft: Wo ist für mich der „Jakobsbrunnen“? Der Ort, wo Begegnung stattfindet, wo ich angesprochen werde, verstanden? Wo ist der Ort der Wahrheit für mich?
Für Franziskus sind beispielsweise Höhlen heilige Orte, die ihn auf seinem Lebensweg begleiten. Für uns heute gibt es auch solche geistlichen Orte, etwa Klöster, Kirchen und Wallfahrtsorte, aber auch der eigene Garten, die Natur, Landschaften, Gebäude oder Städte, die der eigenen Sehnsucht, dem eigenen Suchen einen Raum geben, die Erinnerungen und stärkende Gefühle wecken.
Für geistlich suchende Menschen besteht eine Aufgabe darin, im Alltag Akzente der Begleitung zu suchen und zu setzen, die Leben ermöglichen und fördern. Die spirituelle Kraft, die in jedem Menschen steckt, will entdeckt, gelockt und entwickelt werden.
So ist es auch das Ziel dieses Buches, die begleitende Kraft des Alltäglichen zu entdecken und in Anspruch zu nehmen.
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