Todwald. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429062101
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Blick, dann kam sie gleich zur Sache: »Herr Dr. Falkeis, nach meinen Informationen haben Sie bedauerlicherweise eine große Sorge, von der ich Sie gerne befreien möchte.«

      Sie legte gekonnt eine kurze Pause ein. Die Eheleute musterten sie wortlos.

      »Nach meiner Kenntnis ist Ihr neunzehnjähriger Sohn Alexander seit vier Jahren Dialysepatient. Mittlerweile befindet er sich bereits im Niereninsuffizienz-Stadium 5, leidet also bedauerlicherweise unter einer Nierenschwäche im Endstadium.«

      Frau Falkeis sah ihren Mann an. Man sah, es fiel ihr schwer, die gezeigte Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten.

      »Das ist richtig«, gab der Banker knapp zurück. »Wie Sie sehen, regt dieses Gespräch meine Frau sehr auf. Kommen Sie also zum Wesentlichen.«

      Roosen nickte. »Sehr gerne. Einflussreiche Menschen aus Ihrem geschäftlichen Umfeld sind an unsere Organisation herangetreten und haben uns ersucht, Ihnen unsere Dienstleistungen anzubieten. – Ihrem Sohn geht es zusehends schlechter und es ist Fakt, dass er dringend eine Spenderniere benötigt. Wie man uns informiert hat, haben Sie erfolglos versucht, Einfluss auf die Rangfolge der Warteliste von Euro-Transplant zu nehmen. Sie haben auch Ihre Fühler nach China ausgestreckt, wo man, wie man hört, sehr erfolgreich die Nieren von hingerichteten Straftätern verpflanzt. Aber Ihr Sohn ist für eine so lange Reise bereits zu schwach, das Risiko wäre exorbitant hoch.«

      Die Frau des Bankers stieß ein leises Stöhnen aus und in ihre Augen traten Tränen. Ihr Mann zog sie zu sich heran und strich ihr über die Hand. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich.

      »Das wissen wir alles! Kommen Sie endlich auf den Punkt!«

      Frau Roosen ließ sich nicht beirren. »Fakt ist, wir können Ihnen hier in Deutschland helfen. Was für Ihren Sohn ein deutlich minimiertes Risiko bedeuten würde.« Sie ließ ihre Worte wirken, dann fuhr sie fort: »Meine Organisation betreibt eine hocheffiziente Einrichtung für Nierentransplantationen. Unser medizinisches Personal ist ausgezeichnet. Wir haben alle Möglichkeiten, die auch eine öffentliche Klinik hat. Vielleicht noch bessere. Das Wichtigste aber: Unser Fundus an Spendern ist praktisch unbegrenzt.« Sie schwieg.

      »Das hätte ich gerne näher erläutert«, forderte Falkeis. »Sie werden verstehen, dass ich misstrauisch bin. Sie kommen in mein Haus und versprechen uns, das Leben unseres Sohnes zu retten. Aber mein Wunderglaube tendiert gegen null.«

      Roosen lächelte leicht. »Selbstverständlich kann ich das verstehen. Lassen Sie es mich einmal so sagen: Euro-Transplant ist für das gemeine Volk. Für die Eliten dieser Welt gibt es weitaus bessere und vor allen Dingen schnellere Alternativen … beispielsweise die Organisation, die ich vertrete.«

      Der Banker sah die Frau mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Sie sprechen von … illegalen Alternativen?«

      Roosen zuckte mit den Schultern. »Legal, illegal, wer bestimmt das? Für Menschen, die es sich leisten können, gibt es in vielen Bereichen des täglichen Lebens für alles Mögliche einen Markt, der Normalsterblichen verschlossen ist. Man nimmt diesen Menschen also nichts weg, falls Sie jetzt in moralischen Kategorien denken. Was mich bei den geschäftlichen Verbindungen Ihres Mannes allerdings verwundern würde, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten.«

      Der Banker sprang auf und lief erregt im Raum hin und her. Schließlich wandte er sich an seine Frau. »Nadine, würdest du uns bitte für einen Moment alleine lassen?« Er sah seine Frau auffordernd an.

      Frau Falkeis setzte sich kerzengerade auf. Ihr Gesicht bekam einen harten Zug. »Reinhold, ich denke nicht daran, den Raum zu verlassen. Hier geht es um das Leben unseres einzigen Kindes. Frau Roosen hat uns erklärt, dass es einen Ausweg aus der Spendermisere gibt. Dabei ist es mir verdammt noch einmal völlig egal, ob das legal oder illegal ist und was es kostet. Ich will mein Kind nicht verlieren!«

      Der Banker sah seine Frau verwundert an. In so einem Ton hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Sie atmete tief durch und bemühte sich um Mäßigung. »Bitte, du weißt, wie es um Alexander steht. Die üblichen Möglichkeiten sind erschöpft. Wir beide kommen nicht als Spender in Frage und die Warteliste ist lang. Frau Roosen zeigt uns einen Weg auf, der mir Hoffnung macht, und wir befinden uns nicht in der Situation, dieses Angebot einfach vom Tisch zu wischen, nur weil dahinter dunkle Kanäle aus deinem geschäftlichen Umfeld stecken. Es geht um das Leben unseres einzigen Sohnes und ich bin bereit dafür alles zu tun!« Sie sprach mit einer Bestimmtheit, die Roosen ihr gar nicht zugetraut hätte. Sie wusste, damit war die Angelegenheit eigentlich schon entschieden.

      »Ich sehe, dass Sie noch Abstimmungsbedarf haben«, erklärte sie mit verständnisvollem Unterton, wobei sie nur Nadine Falkeis anblickte. »Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit, sich die Angelegenheit zu überlegen. Danach erlischt diese Option und Sie werden nichts mehr von mir hören.«

      »Wie können wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen?«, fragte Nadine Falkeis. Der Banker stand hinter der Couch und starrte stumm vor sich hin.

      »Ich werde Sie kontaktieren«, gab Roosen zurück. »Ich denke, ich muss Sie nicht darauf aufmerksam machen, dass auf jeden Fall absolute Diskretion erwartet wird.« Den letzten Satz sagte sie mit einer solchen Eindringlichkeit, dass er fast schon bedrohlich klang. Sie erhob sich. »Ich finde alleine hinaus.« Festen Schrittes verließ sie das Haus.

      Zwei Straßen weiter bestieg sie ein Taxi, das dort auf sie gewartet hatte. Der Fahrer brachte sie zu einem öffentlichen Parkhaus in der Innenstadt. Dort stieg sie in einen Pkw. Nachdem sie hinter dem Steuer Platz genommen hatte, zog sie mit Schwung die blonde Perücke vom Kopf und ließ sie in einer Plastiktüte verschwinden. Mit zwei Handgriffen entfernte sie die beiden Wangenpolster aus dem Mund, die ihrem Gesicht eine etwas andere Form gegeben hatten. Die blauen Kontaktlinsen würde sie zuhause herausnehmen. Danach startete sie den Motor und verließ das Parkhaus. Ein paar Minuten später war sie auf der Autobahn und fuhr in Richtung Main-Spessart. Gut gelaunt summte sie ein Lied aus dem Autoradio mit.

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      Mark T. war seit drei Jahren Frührentner und ein passionierter Angler, der am Wochenende regelmäßig am Main seinem Hobby nachging. Sein Stammplatz lag gute zweihundert Meter oberhalb der Schleuse Himmelstadt am linksmainischen Ufer. Hier führte eine kleine Sandbank sanft in den Fluss, wodurch er nahe am Wasser sitzen konnte. Der Platz war von dichtem Gesträuch umgeben, das sich links und rechts am Ufer entlangzog. Auch heute, am Samstag, war Mark schon kurz nach Sonnenaufgang von Würzburg weggefahren, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Mark freute sich, weit und breit war kein anderer Petrijünger zu sehen. Mit Schwung warf er seine beiden Angelruten aus. Mark T. liebte es, am Wasser zu frühstücken. Nachdem seine Ruten ausgelegt waren, griff er zum Rucksack, holte eine Thermoskanne und ein in Alufolie eingepacktes belegtes Brot heraus und goss sich Kaffee in eine Tasse. Aromatisch duftender Dampf stieg in die Morgenkühle des beginnenden Sommertages auf. Vorsichtig nippte er an dem heißen Getränk, dann löste er die Folie vom Brot. Während er genüsslich kaute, wanderte sein Blick über die Böschung des diesseitigen Ufers. Ein Stück flussaufwärts entdeckte er einen Graureiher, der im seichten Gewässer am Rande des Mains stand und wie eine zu Stein erstarrte Statue auf Beute lauerte. Wahrscheinlich ist er erfolgreicher als ich, dachte Mark. Aber das war auch in Ordnung, schließlich musste der Vogel von seinem Fang leben.

      Ungefähr dreißig Meter von ihm entfernt wucherte der Uferbewuchs bis direkt an den Fluss und Zweige hingen über dem Wasser. Vielleicht eine Stelle, wo er seinen Köder auch einmal platzieren konnte. In diesem Augenblick kräuselte sich das Wasser und der Kopf einer schwimmenden Wasserratte war erkennbar. Mark verzog das Gesicht. Er hasste diese Viecher. Sie wurden von dem Unrat angezogen, den manche »Naturliebhaber« bei ihren nächtlichen Sauforgien am Main zurückließen. Mark stellte die Tasse ab, erhob sich von seinem Klappstuhl und trat näher ans Wasser, um den Bereich, in dem er die Ratte gesehen hatte, besser einsehen zu können.

      »Hab ich es mir doch gedacht«, murmelte er verärgert. Durch die Zweige des Uferbewuchses schimmerte es blau.