Hier kommt die zweite Formel ins Spiel, die ich dem amerikanischen Franziskaner Richard Rohr zu verdanken habe. Er hatte 1998 in einem Vortrag in Zürich die wesentliche Aussage der Bibel in einem Satz zusammengefasst: »You are not o.k., but that’s o.k.!« Gottes Liebe stellt keine Bedingungen. Er fragt weder nach der Vergangenheit noch nach der Leistung. Seine Sehnsucht ist der lebendige, aufrechte Mensch. Er möchte mich frei machen von allem, was mich am Leben hindert. Und er tut das nicht etwa, indem er einfach ignoriert, was alles nicht o.k. ist. Nein, er nimmt meinen jeweiligen Ausgangspunkt ernst mit allem, was verletzt, lebensfeindlich oder eben sündhaft ist. Und weil er mich – wie es Papst Franziskus so schön ausdrückt – auch als Sünder anschaut und dennoch o.k. findet, kann ich immer wieder neu meinen Weg mit ihm wagen, ohne an meinem dauernden Scheitern zu verzweifeln. Ja, Gott ist für mich die Erfahrung, dass da einer ist, der ja zu mir sagt, auch wenn ich einmal nein sage … ja selbst dann noch, wenn ich einfach nicht aufhören kann, nein zu sagen. Manche Naturwissenschaftler träumen von der letzten, einfachen Formel hinter aller Wirklichkeit, der Weltformel. Im Glauben habe ich sie gefunden: Gott ist Liebe.
Beat Altenbach SJ, Basel, geb. 1965
Mein Sein in seinem Sein
Als Kind begegnete mir Gott nur indirekt, durch die Bilder von Schutzengeln, die Brüderchen und Schwesterchen sicher über zerbrochene Holzbrücken über den tosenden Wildbach geleiten, oder als Herz-Jesu-Bildchen. Gott war einer, der mich beschützt, der für mich da ist und dem ich am Abend sagen durfte, wie gerne ich ihn habe, und den ich bat, auf mich aufzupassen, wenn ich schlafe. Die Kirche war der Ort, wo der liebe Gott wohnt, verborgen in einer goldenen Kiste über dem Hochaltar, in die niemand hineinsehen durfte. Deshalb gab es hinter der geöffneten Tür noch mal einen Vorhang, aber es gelang mir nie, einen Blick auf das Innere zu erhaschen. Wenn der Priester beim Gottesdienst mit dem Rücken zum Volk bei der Wandlung die Hostie hob, mussten alle nach unten blicken, und ich tat es so wie alle anderen. Gott war ein unnahbares Geheimnis.
Im Beichtunterricht zur Vorbereitung auf die Erstkommunion begegnete mir dann ein anderes Gottesbild: der allmächtige Vater, überall gegenwärtig, alles sehend (symbolisiert im Gottesauge über dem Hochaltar), vor dem es kein Entkommen gab. Er wusste alles: unsere geheimsten Gedanken; er wusste, wenn ich genascht hatte oder abgepflückte Blumen wegwarf, wenn ich gemein war oder gelogen hatte. Und er bestrafte mich, wenn ich auch nur gegen das kleinste seiner Gebote verstoßen hatte.
Das war ein Gottesbild, das mich lange begleitet und mir die Freude an Gott verdorben hatte. Es führte dazu, dass ich diesem Gott und seiner Kirche gegenüber eher ablehnend dastand. Wenn ich ihn rief, dann nur, wenn ich verzweifelt, einsam war, Hilfe brauchte. Aber in guten Zeiten wollte ich nichts von ihm hören, war er mir gleichgültig geworden. Nicht, dass ich nicht mehr an seine Existenz glaubte, aber er war mir nicht wichtig genug, um mich mit ihm zu beschäftigen.
Und dann, als es mir wieder einmal sehr schlecht ging, trat mir aus dieser Dunkelheit eine neue Wahrheit entgegen: ein liebender, ein verzeihender Gott, einer, dem ich trauen, vertrauen kann. Der mich so annimmt, wie ich bin, für den ich mich nicht verändern muss, um ihm zu gefallen. Aus dieser neu entdeckten »Liebe« wuchs eine neue Sehnsucht: mich ihm ganz in seinen Dienst zu stellen. Mein Leben änderte sich radikal. Ich trat in den Orden ein, um das zu leben und das weiterzugeben, was ich selber erfahren hatte, ein Geschenk, das ich teilen wollte.
Heute ist mein Gottesbild einfacher geworden, ja ich versuche alle Bilder, Gefühle, Vorstellungen auf ihn hin loszulassen. Gott ist Gott. Mein Sein in seinem Sein. Alles darf sein, auch ich in allem, so wie er mich geschaffen hat. Wenn Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann tritt er mir in jedem Menschen so entgegen, wie dieser ist, egal ob hässlich, schön, betrunken, voller Wut und Hass, hungrig, gleichgültig, satt, strahlend oder auch zweifelnd. In jedem Menschen kann ich seine Anwesenheit oder Abwesenheit spüren. Auch in meiner Angst oder Freude, ihnen zu begegnen. Durch Menschen spricht er zu mir, wenn er eine menschliche Stimme braucht. Oder ich spreche zu ihnen, wenn er ihnen etwas sagen will. Der Ort, wo Gott mir am nächsten ist, ist die Stille, in einer ganz einfachen, schlichten Gewissheit, dass er da ist. Nicht immer, aber immer wieder. Das genügt.
Anton Altnöder SJ, Nürnberg, geb. 1950
Gott des Alltags
Gott ist für mich derjenige, der mich bewegt hat, diesen Beitrag zu schreiben. Sonst hätte ich über Gott gar nichts zu sagen. Aber sobald Gott selbst sich meiner Vernunft, meines Herzens und meiner Hände bedient, habe ich sehr wohl etwas über ihn zu sagen. Deshalb soll hier die Rede nicht von Gott sein, sondern mit Gott. Wenn ich also überhaupt etwas über Gott zu reden vermag, dann nur in der Form des Dialogs.
Gott ist stets erwartungsvoll. Er ist immer interessiert, etwas über mich und mein Leben zu erfahren. Es klingt ein wenig paradox, aber gewiss. Gott freut sich über jede freudige Geschichte, die ich ihm »erzähle«, als ob er sie zum ersten Mal hörte. Wenn ich voll Kummer mit meinen Klagen vor ihn trete, dann zeigt er sich zutiefst bewegt. Wenn ich schwach und schweigsam seine Gegenwart suche, dann ist er da, mir seinen stillen Beistand zu leisten. Gott ist mir also zunächst ein ganz zarter, feinfühliger Freund. Gott, der erhabene und alles Verstehen und Vorstellen übersteigende Schöpfer des Universums, macht sich für meine Bedürfnisse vollkommen verfügbar. Diese meine Bedürfnisse werden fast immer einwandfrei erfüllt. Und zugleich fast immer in einer Art und Weise, wie ich mir das selbst nie ausdenken könnte. Dann bleibt mir am Ende des Tages nur noch ein großes mit Dankbarkeit erfülltes Staunen.
Gott ist aber nicht nur ein Empfänger, der nur auf meine Initiativen reagiert, sondern vielmehr ein ganz aktiver Geber. Er ist überhaupt die Motivationsquelle, die mich bewegt, eine Initiative aufzugreifen und ihn zu suchen. Er sucht mich also, indem er versucht, mich zum Suchen nach ihm zu bewegen. Das fällt ihm nicht immer sehr leicht, weil ich manchmal ganz schön stur sein kann. Aber er ist doch Gott, er schafft das.
Gott ist gegenwärtig. Das bedeutet für mich, dass er sich in meinem Leben finden lässt. Eine große Motivation, warum ich ein Jesuit geworden bin, war, mein Leben zu verleugnen und dafür nur Gott zu suchen. Aber mit der Zeit hat mich diese Suche nach Gott in mein Leben zurückgeführt, wenn auch mit ganz anderen Augen. Gott hat mir gezeigt, dass er mir in der Wirklichkeit begegnen möchte, und deshalb suche ich jeden Abend diese Wirklichkeit, wenn ich die Hände zusammenfalte und einen Rückblick auf den vergangenen Tag werfe. Dort zeigen sich mir Gespräche, Begegnungen, Erkenntnisse, Gefühle, Stimmungen usw., die eine bestimmte Botschaft über mich selbst und über Gott in sich bergen. Diese Botschaften sind Ermutigungen oder Bestätigungen, die mich in diese oder jene Richtung zu bewegen bzw. die schon eingeschlagene Richtung zu bewahren versuchen. Mittlerweile gibt es jeden Tag eine solche Fülle an Botschaften, die von Gott geschenkt werden, dass ich, ganz überwältigt, meine Hände wieder entfalte und alle diese empfangenen Ermutigungen und Bestätigungen zurück in seine Barmherzigkeit vertrauensvoll versenke. Mich tröstet dann sein Wort: »Was ich in dir angefangen habe, werde ich auch vollenden.« Und dieses Wort richtet sich auch an jeden, der diese Zeilen liest.
Lukas Ambraziejus SJ, München, geb. 1995
Der Gott meiner Freiheit und Verantwortung
»Es standen mir mehrmals die Tränen in den Augen die letzten Tage. Ich bin einiges gewohnt und kenne viel, aber dies stößt wirklich an meine psychischen Kräfte. Was alles möglich ist in dieser Welt, überschreitet meine Denkkapazität. Menschen werden hier mit Füßen getreten, die MINUSCA schaut weg, und Menschenrechtsverletzungen werden noch nicht einmal dokumentiert, weil der Zugang zu den umkämpften Gebieten es nicht zulässt, Dörfer alle abgebrannt werden, die alten Menschen, die nicht mehr gehen können, werden in ihren eigenen Hütten verbrannt. Eine Katastrophe, die man sich nicht vorstellen kann. Sag mir bitte, wo ist unser Herrgott.«
Diese Frage stellt eine humanitäre Arbeiterin in der Zentralafrikanischen Republik in ihrer E-Mail an mich. Eine oft gestellte und schwer zu beantwortende Frage. Es ist weniger die Frage, wer Gott ist, sondern wo Gott ist. Vielleicht ist es besser, zu dieser Frage, die ein verzweifelter Schrei der leidenden Menschheit ist,