Das Wiederkäuen von allgemeinen Läuferweisheiten und Lauf-Infos erspare ich Dir und mir. So sollst Du hier nicht zum x-ten Mal nachlesen, wie das noch mal gleich mit Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel funktioniert. Um bei diesem Beispiel-Thema zu bleiben: Es gibt auch im Laufbereich nützliches und unnützes Wissen. Dass Du weißt, dass die Energiewährung der Zellen ATP ist (und vielleicht auch noch die chemische Formel dafür kennst und was genau biochemisch abläuft, während Du läufst), macht Dich aber auch keinen Zentimeter schneller als Deinen auf diesem Gebiet völlig ahnungslosen Mitläufer. Dass Du aber für lange Ausdauerleistungen auf einen gut geölten Fettstoffwechsel angewiesen bist, und wie Du den am besten in der Vorbereitung auf einen oder mehrere Ultra-Wettkämpfe ankurbeln kannst, ohne in eine andere Stoffwechsel- oder Mental-Falle zu tappen, ist schon relevanter zu wissen.
Warum der Untertitel »Für alle, die es wirklich wissen wollen«?
Damit dieses Buch nicht von eigentlich Uninteressierten gekauft oder gelesen wird.
Naja, jetzt, wo ich alles fertig geschrieben habe und die ganze Mühe mit Verlag etc. hinter mich gebracht habe, möchte ich schon, dass es von vielen Leuten gekauft wird – aber Hauptsache für mich bleibt, dass es gerne und mit Interesse gelesen wird. Deswegen hab ich versucht, es extra so zu schreiben, dass die Leute, die wirklich etwas über das Ultralaufen, vor allem auch etwas Ultra-spezifisches zur Wettkampfgestaltung und Trainingsplanung wissen wollen, gut bedient werden. Einige wenige Fragen hab ich mir ausgedacht, aber die allermeisten Fragen stammen von Ultraläufern oder Ultralauf-Interessierten wie Dir, die mich direkt damit konfrontiert haben: über e-mails, Telefonate, im Gespräch vor, nach und teilweise sogar während diverser Ultrawettkämpfe. Viele der Fragen und verwendeten Beispiele in den Antworten stammen bzw. handeln von Mitgliedern der deutschen Ultramarathon-Nationalteams der letzten drei, vier Jahre, die bei Welt- und Europameisterschaften in der Regel deutlich besser abschneiden und auch in den Weltjahresbestenlisten wesentlich besser platziert sind als ihre Landsleute auf den Distanzen Marathon und abwärts.
Wie sollte man dieses Buch lesen?
Entweder ganz klassisch von vorne bis hinten oder ganz selektiv.
Im Kürzüberblick findest Du alle Fragen kapitelweise aufgelistet – such Dir raus, was Dich besonders interessiert oder Du noch mal nachschlagen möchtest.
Warum ist das Buch als reines Frage-Antwort-Spiel aufgebaut?
Weil ich glaube, dass ich mich so am besten auf das konzentrieren kann, was Du wirklich wissen willst.
Allerdings habe ich ein großes Vorbild: ein Buch, das mir vor 30 Jahren in den USA sofort ins Auge stach: Tom Oslers »Serious Runner’s Handbook«. Das war ganz ähnlich als Frage-Antwort-Spiel aufgebaut, hatte Langstreckenlaufen im Allgemeinen zum Inhalt – mit aber immerhin gut 20 Fragen zu Ultramarathons, wenn auch mehr zur Historie und mit inzwischen eher überlebten Empfehlungen.
In einem Buch kann niemand dem Autor widersprechen, was natürlich mal ganz angenehm sein kann … Selbstverständlich bin ich von dem überzeugt, was ich hier als Antworten auf Fragen gegeben habe. Ziemlich oft liege ich überhaupt nicht auf einer Linie mit den normalen Laufweisheiten, besonders bei Punkten, bei denen die Besonderheiten des Ultralaufens gegenüber den kürzeren Laufdistanzen wichtig sind. Mit meinen Antworten möchte ich aber keinen Anspruch auf die einzige und ewige Wahrheit stellen; bei manchen habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es auch ganz andere Sichtweisen gibt. Grundsätzlich will ich Anregungen zum eigenen Nachdenken und Ausprobieren geben, denn grau ist alle Theorie und »Entscheidend is auffen Platz«!
Ultra-Allgemeines
Was sind Ultraläufe?
Jeder Lauf, der am Stück die klassische Marathondistanz von 42,2 km (oder 42,195 für die Enthusiasten) deutlich überschreitet.
Ich bin froh, dass ich hier nicht präziser definieren muss, z. B. ob 42,5 oder erst 43 oder gar erst über 50 km »deutlich« über den 42,2 km liegen – das ist dann eher ein Thema für Statistiker. Ultraläufe sind so lang, dass ein übliches Marathonratgeberbuch in einigen Aspekten einfach nicht mehr passt. Und für jeden einzelnen Läufer ist dieses »deutlich« auch ganz unterschiedlich lang; würde mal sagen, bei flachen Strecken empfinden die meisten Ultras so etwa 3 bis 13 km länger als Marathon als spürbar länger.
In diesem kleinen Ultrakompass wird es um Ultraläufe bis zu 24 h gehen, denn bis zu dieser Länge habe ich eigene Erfahrung, vor allem als Läufer, aber auch als Trainer und Betreuer. Für noch längere Kanten fehlt mir diese – daher auch keine Empfehlungen zu 48-h- oder 7-Tagesrennen. Wohl aber noch zu Etappenrennen, bei denen Tag für Tag eine mittlere Ultradistanz von meist ca. 50–80 km zurückgelegt wird.
Wer kann und sollte Ultra laufen?
Alle Menschen, denen das lange Laufen an sich Spaß bereitet, die sich freuen, wenn sie läuferisch unterwegs sind.
Ultras sollten von denjenigen gemieden werden, die sich an ihrer Lauferei nur wirklich freuen, wenn sie unter der Dusche zufrieden »so, das hätten wir mal wieder geschafft« sagen können oder was zum Facebook-Posten darin sehen und auf der Strecke unterwegs laufend nur an die Dusche danach oder die Verbreitung ihrer Ruhmestaten denken. So gestrickte Leute schaffen durchaus auch Ultradistanzen, sind aber zu wenig von innen her motiviert und werden bei den unausweichlichen Frustrationen, die beim Ultralauf einfach dazugehören, ziemlich bald die Segel streichen.
Wer also das Unterwegs-Sein mindestens genau so schätzt wie das Ankommen, besitzt schon eine wichtige Eigenschaft zum erfüllten Ultralaufen. Sportlich erfolgreich in Ultra-Wettkämpfen werden diejenigen, die schon auf den Unterdistanzen eine deutliche Tendenz zu Ausdauer statt Grundschnelligkeit zeigen. Die also im 10-km-Lauf von Leuten geschlagen werden, denen sie im Halbmarathon schon Paroli bieten und denen sie im Marathon Minuten abnehmen. Wem beim Marathontraining besonders die langen Einheiten Spaß machen, der sollte sich ruhig mal im Ultra versuchen. Wer dagegen schon beim Marathontraining bei den langen Einheiten schummelt und lieber die nächste ruhige Einheit schneller macht (um schneller unter der Dusche zu sein), wird es schwer haben, richtig Freude am Ultralaufen zu finden.
Neben diesen mentalen Faktoren gehören natürlich auch ein paar körperliche Voraussetzungen dazu. Aber hier darf ich doch annehmen, dass die meisten Ultraläufer oder potentiellen Ultras zunächst über die Marathondistanz abgeklärt haben, dass sie die notwendige Robustheit des Herz-Kreislaufsystems, des Bewegungsapparats und auch des Magen-Darm-Trakts besitzen. Besonders der letzte Punkt wird bei Ultraläufen nicht nur länger, sondern auch anders strapaziert: Als Ultraläufer musst Du ab einer gewissen Streckenlänge während des Laufens essen und unter der Belastung das Gegessene auch verstoffwechseln. Das heißt, die Verdauung und Aufnahme der Nahrungsbestandteile ins Blut und von da aus in das Gehirn und die Muskeln muss »laufen«.
Gibt es Unterschiede in den Ultralaufleistungen von Frauen und Männern?
Ja, Frauen brauchen durchschnittlich ungefähr 10% länger als Männer.
Dabei kann es in einem einzelnen Rennen durchaus vorkommen, dass eine Frau die Beste von allen Angetretenen ist. Nicole Benning hat z. B. mal ein 100-km-Rennen in Spanien vor allen Männern gewonnen. Das lag natürlich daran, dass Nicole damals auf Nationalteam-Niveau war und das überschaubare