Der Schoppenfetzer und die Rache des Winzers. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429064662
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nickt knapp, dann verlässt er das Einsatzfahrzeug. Es würde noch einige Zeit dauern, bis alle seine Männer eingetroffen waren und er sie verteilen konnte.

      Der SEK-Leiter betätigt die Türglocke, die einen blechernen Ton von sich gibt. Auf dem Türschild steht „Meckenberger“. Das Haus ist dreistöckig und diese Wohnung hat mehrere Fenster, die einen freien Blick auf den Eingang der Bank ermöglichen. Hier muss er unbedingt einen seiner Männer unterbringen.

      Nach dem zweiten Läuten wird die Tür geöffnet und ein älterer Mann in kurzen Hosen und nur mit einem Unterhemd bekleidet mustert verwirrt den Mann im schwarzen Einsatzanzug mit der weißen Aufschrift POLIZEI. Nach dem Zustand seiner Frisur und seiner zerknautschten Miene zu urteilen hatte er offenbar gerade geschlafen. Vermutlich handelt es sich um einen der Bewohner, die die Polizei noch nicht von den Vorgängen vor ihrem Wohnhaus hatte unterrichten können.

      Der SEK-Mann hält seinen Dienstausweis in die Höhe. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, Herr Meckenberger. Polizei. In der Bank gegenüber läuft gerade eine Geiselnahme und wir befinden uns in einem Polizeieinsatz. Wir müssten dringend in Ihre Wohnung, da man von Ihren Fenstern aus einen direkten Blick auf den Tatort hat.“

      „Ja, aber …“ Der Mann war ziemlich verdattert und hatte sichtlich Mühe, diese Informationen zu verarbeiten.

      „Wohnen Sie allein hier?“, fragt der SEK-Leiter weiter.

      „Ja. Aber …“

      „Herr Meckenberger, es tut mir leid, dass wir Sie so überrumpeln müssen, aber es handelt sich hier um einen extremen Notfall. Menschenleben sind in Gefahr. Wir haben leider keine Zeit, lange zu diskutieren. Da Gefahr in Verzug ist, dürften wir notfalls auch gegen Ihren Willen in Ihre Wohnung. Haben Sie die Möglichkeit, in der Nachbarschaft unterzukommen, bis alles vorüber ist? Wir hoffen, dass sich die Angelegenheit bald klärt und wir Sie nicht lange belästigen müssen.“

      Der Mann tritt einen Schritt zur Seite und öffnet die Tür ganz. „Ich kann zu Kloses gehen. Die wohnen im Nachbarhaus. Aber was wollen Sie hier in meiner Wohnung machen?“

      Der SEK-Leiter trat in die Wohnung, dann erklärte er: „Keine Sorge, wir werden in Ihrer Wohnung lediglich einen Beamten postieren, der die Bank von hier aus im Auge behält.“ Er betritt die geräumige Küche und wirft einen Blick aus dem Fenster. „Von hier aus haben wir gute Sicht. Andere Räume werden wir nicht betreten.“

      Meckenberger hat sich mittlerweile ein Hemd übergezogen und scheint endlich völlig klar zu sein. „Benötigen Sie etwas?“, fragt er höflich.

      Demmler schüttelt den Kopf. „Vielen Dank! Am besten gehen Sie jetzt. Wenn alles vorüber ist, werden wir Sie verständigen. Ich rufe meinen Mann jetzt herein.“

      Der SEK-Mann geht zur Wohnungstür. Meckenberger greift sich einen Schlüsselbund vom Brett und folgt ihm. Als er dem schwarz gekleideten, maskierten Beamten begegnet, der die ganze Zeit, für ihn nicht sichtbar, neben der Eingangstür gewartet hatte, zuckt er leicht zusammen. Der Mann murmelt einen kurzen Gruß, dann tritt er in die Küche. Meckenberger mustert kurz den flachen schwarzen Hartschalenkoffer, den der Mann in der Hand trägt. Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, was der Koffer enthält.

      „Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen“, sagt Dremmler und komplimentiert Meckenberger zur Tür hinaus. „Wie gesagt, wir geben ihnen sofort Bescheid, wenn alles vorüber ist.“

      Er schließt aufatmend die Tür. Die beiden Beamten räumen wortlos das Fensterbrett von mehreren Blumenstöcken frei, dann öffnen sie das Fenster. Der Blick auf die Bank ist wirklich ideal.

      „Sie richten sich hier ein, Schütze 3“, weist der SEK-Chef den Schützen knapp an. „Dann melden Sie sich über Funk bei der Einsatzleitung. Weitere Anweisungen erhalten Sie von dort.“ Er nickt dem Mann zu, klopft ihm auf die Schulter, dann verlässt er die Wohnung.

      Schütze 3 mustert kurz die Kücheneinrichtung, dann öffnet er seinen Gewehrkoffer und hebt das Heckler&Koch-Präzisionsgewehr heraus. Aus dem Rucksack holt er mehrere kleine Sandsäcke, die er auf dem Fensterbrett positioniert. Dann schnappt er sich einen Küchenstuhl, legt den Gewehrlauf auf die Sandsäcke und visiert durch das Zielfernrohr. Der eingebaute Laserentfernungsmesser zeigt eine Distanz von 72 Metern bis zum Eingang der Bank an. Eine gute Entfernung für einen präzisen Schuss. Irgendwie ist er mit seiner Auflagemöglichkeit noch nicht zufrieden. Er überlegt kurz, dann schiebt er den kleinen Küchentisch vor das Fenster. Erneut positioniert er sich. Jetzt passt es, weil er beide Arme auflegen kann. Als er nochmals durch das Zielglas blickt und dabei den ersten Buchstaben des Firmenschilds des Bankgebäudes anvisiert, steht das Fadenkreuz des Zielfernrohrs absolut ruhig.

      Schütze 3 lehnt sich zurück und betätigt den Rufknopf seiner Sprecheinrichtung. Als sich die Einsatzleitung meldet, erklärte der Beamte: „Hier Schütze 3. Ich bin auf Position und habe freie Sicht auf den Eingang der Bank, auf das danebenliegende Schaufenster und auf die Straße davor. Gute Schussentfernung. Problematisch könnten einige parkende Pkws auf dem Gehsteig vor der Bank sein. Sie schränken das Schussfeld ein.“

      „Danke, Schütze 3“, kam umgehend die Antwort der Einsatzleitung. „Weitere Befehle abwarten.“

      Schütze 3 holt aus seinem Rucksack eine Packung mit Patronen und lädt sein Gewehr. Bei den Patronen handelt es sich um eine Spezialanfertigung, die nur Präzisionsschützen der SEKs der Polizei zur Verfügung stehen. Die Geschosse sind so aufgebaut, dass sie sich sofort nach dem Auftreffen auf einen Körper zerlegen. Sie erzeugen damit eine hohe Schockwirkung, ein Durchschuss ist dabei aber so gut wie ausgeschlossen. Nachdem er die Waffe wieder gesichert hat, bereitet er sich innerlich auf eine lange Wartezeit vor. Er hat schon häufig derartige Situationen erlebt. Die meiste Zeit saß man untätig herum und verfolgte den Funkverkehr. Ihm ist klar, dass dort unten ein Nervenkrieg stattfindet, in dem er unter Umständen die letzte Instanz sein wird. Schütze 3 zieht sich die Kapuze vom Kopf und legt sie auf den Tisch. Präzisionsschützen tragen, ebenso wie ihre Kollegen des SEK, bei einem Einsatz grundsätzlich Gesichtsmasken, um ihre Anonymität zu wahren. Es wäre fatal, wenn die Presse von den Mitgliedern der Spezialkräfte Bilder veröffentlichen würde. Damit wäre die Sicherheit der Männer und ihrer Familien nicht mehr gewährleistet.

      Schütze 3 lehnt sich zurück. Das leichte Beruhigungsmittel, das er kurz vor dem Einsatz eingenommen hatte, beginnt zu wirken. Es trägt dazu bei, dass sich sein Blutdruck senkt und sich die Anspannung des Einsatzes nicht auf den Herzschlag auswirkt. Ruhe ist eine wesentliche Voraussetzung für einen präzisen Schuss. Er spürt, wie sein Atem gleichmäßiger wird.

      Mit geschlossenen Augen verfolgt Schütze 3 den Funkverkehr aus dem Einsatzwagen, soweit er über den für alle Einsatzkräfte zugänglichen Kanal geführt wird. Die Auseinandersetzung mit dem Straftäter kann er natürlich nicht hören, da sie über das Telefon stattfindet. Wichtig ist, dass der Kontakt zum Geiselnehmer nicht abbricht. Meist sind Geiselnahmen ein reiner Nervenkrieg, bei dem es in erster Linie darum geht, die Geiseln zu retten. Solange sich die Täter gesprächsbereit zeigen, ist eine Eskalation weniger wahrscheinlich.

      Es sind fast zwei Stunden vergangen, als plötzlich gegenüber in der Bank ein Schuss fällt. Schütze 3 richtet sich blitzschnell auf, ergreift sein Gewehr und geht in Anschlag. Von einer Sekunde auf die andere ist er bereit. Da meldet sich auch schon die Stimme des Einsatzleiters über Funk.

      „An alle Sondereinsatzkräfte. Der Täter hat soeben nach eigenen Angaben seine Drohung wahr gemacht und eine Geisel erschossen. Er wird jetzt rauskommen und will mit einem Polizeifahrzeug, das wir bereitstellen müssen, fliehen. Die restlichen Geiseln will er mitnehmen. Er behauptet, dabei eine Handgranate in Händen zu halten, und droht, sie zu zünden und alle Geiseln zu töten, wenn wir uns nicht zurückziehen. Die Sondereinsatzkräfte am Boden gehen daher sofort außer Sichtweite. Sollte der Täter mit den Geiseln wegfahren, kann er dies ungehindert tun. An die Schützen, insbesondere an Schütze 3: Halten Sie sich bereit.“

      Schütze 3 weiß, was das bedeutet, und konzentriert sich. Alle störenden Gedanken schaltet er aus.

      Es dauert nur wenige Minuten, dann fährt ein neutraler Kleinbus vor den Eingang