Günter Huth
Der Schoppenfetzer
und das Maulaff-Mysterium
Günter Huth wurde 1949 in Würzburg geboren und lebt seitdem in seiner Geburtsstadt. Er kann sich nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben. Von Beruf ist er Rechtspfleger (Fachjurist). Günter Huth ist verheiratet und hat drei Kinder. Seit 1975 schreibt er in erster Linie Kinder- und Jugendbücher sowie Sachbücher aus dem Hunde- und Jagdbereich. Außerdem hat er bisher Hunderte Kurzerzählungen veröffentlicht. In den letzten Jahren hat sich Günter Huth vermehrt dem Genre „Krimi“ zugewandt und bereits einige Kriminalerzählungen veröffentlicht. 2003 kam ihm die Idee für einen Würzburger Regionalkrimi. „Der Schoppenfetzer“ war geboren. 2013 erschien sein Thriller „Blutiger Spessart“, mit dem er eine weitere Reihe eröffnete, die eine neue Facette seines Schaffens als Kriminalautor zeigt. Der Autor ist Mitglied der Kriminalschriftstellervereinigung Das Syndikat.
Die Handlung und die handelnden Personen dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Günter Huth
Der Schoppenfetzer
und das Maulaff-
Mysterium
Der vierzehnte Fall des Würzburger
Weingenießers Erich Rottmann
Buchverlag
Peter Hellmund
im Echter Verlag
Günter Huth
Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium
© Echter Verlag, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltet von Peter Hellmund
Gedruckt und gebunden von Pressel, Remshalden
Portraitfoto von Rico Neitzel - Büro 71a, Würzburg
Zweite Auflage 2018
ISBN 978-3-429-05346-8 (Print)
ISBN 978-3-429-05006-1 (PDF)
ISBN 978-3-429-06417-4 (ePub)
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
Würzburg 1945
Würzburg, am Abend des 16. März 1945
Heinrich Schneider, der für die Maulhardgasse zuständige Blockwart, öffnete mit zitternder Hand die schmale Tür im Flur, die in die Besenkammer seiner Parterrewohnung führte. Drei auf seinen Rücken gerichtete Maschinenpistolenläufe trieben ihm kalten Angstschweiß auf die Stirn. Die unter ihren Stahlhelmen kalt hervorblickenden Augen der drei Soldaten und die Waffen in ihren Händen ließen keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen. Es handelte sich um ein Kommando der gefürchteten „Kettenhunde“ – Mitglieder der Feldgendarmerie, die über der Uniform eine Kette um den Hals trugen, an der ein Metallschild mit der Prägung „Feldgendarmerie“ befestigt war. Die Gendarmen waren von den Soldaten gefürchtet und gehasst.
An der hinteren Wand der Kammer stand ein Blechspind. Der Führer des Feldgendarmeriekommandos, ein junger, groß gewachsener Hauptfeldwebel, verpasste Heinrich Schneider mit dem Ellbogen einen harten Stoß in den Rücken, der ihn nach vorn taumeln ließ.
„Los! Mach voran!“ Er war sichtlich nervös. Draußen hörte man das Heulen der Sirenen, die seit geraumer Zeit allgemeine Luftwarnung signalisierten. Eigentlich wäre es jetzt Heinrich Schneiders Aufgabe gewesen, mit Hilfe der ihm unterstellten Blockhelfer dafür zu sorgen, dass sich die Volksgenossen in die Luftschutzkeller begaben. Stattdessen waren vor wenigen Minuten die drei Feldgendarmen überfallartig in seine Wohnung eingedrungen. Sie konfrontierten ihn mit dem Vorwurf, einem Fahnenflüchtigen Unterschlupf zu gewähren. Seinen verzweifelten Versuch, sich unwissend zu zeigen, unterband der Unteroffizier sofort mit einem harten Schlag des Klappkolbens der Maschinenpistole in die Nieren, der ihm abrupt die Luft raubte.
„Du weißt, dass auf Wehrkraftzersetzung die Todesstrafe steht“, machte ihm der Hauptfeldwebel klar. „Falls du jetzt keine Zicken machst, lässt dich das Standgericht vielleicht mit ‚lebenslänglich‘ davonkommen.“ Die rote Narbe, die über einen Teil seiner linken Wange lief, gab seinem Gesicht etwas Fratzenhaftes.
Heinrich Schneider war kein tapferer Mensch. Ihm war klar, dass ihm diese Soldaten so lange zusetzen würden, bis er einknickte. Er wusste, dass er nicht fähig war, schwere Schmerzen zu ertragen. Innerlich bat er seinen Bruder um Verzeihung, dann hatte er die drei zu der Abstellkammer geführt. Hastig räumte er einen Besen und einen Zinkeimer zur Seite, damit er die Tür des Blechschranks öffnen konnte. Als das Heulen der allgemeinen Luftwarnung verstummte, hielt er inne. Eine bedrohliche Stille lastete über der Szene.
20.07 Uhr
„Weitermachen!“, trieb ihn der Soldat an. Da begannen die Sirenen erneut. Es ertönte ein kurzer Alarmstoß mit nachfolgenden zweimaligen Dauertönen. Fliegeralarm! Das bedeutete eine Verschärfung der allgemeinen Gefahrenlage! Es mussten feindliche Bomber in einen Radius von hundert Kilometer rund um Würzburg eingedrungen sein. Mit der Folge, dass der Gauleiter für die Bevölkerung Vollalarm angeordnet hatte. Für die gesamte Zivilbevölkerung bedeutete dies, sich umgehend in die Luftschutzbunker zu begeben.
Die drei Feldgendarmen sahen sich beunruhigt an.
„Verdammt, mach voran!“, schrie der Hauptfeldwebel und gab Heinrich Schneider neuerlich einen Stoß. Die Männer wollten ihren Auftrag möglichst schnell hinter sich bringen.
Mit flatternden Fingern öffnete Schneider die Tür des unverschlossenen Spinds. Auf den ersten Blick sah man mehrere Fächer, in denen allerlei Utensilien lagerten. Schnell warf er die Gegenstände heraus und entfernte die nur lose aufliegenden Fachböden. Mit den Fingerknöcheln klopfte er in einem bestimmten Rhythmus gegen die metallene Rückwand.
„Michael, hör mir jetzt gut zu“, sagte Oskar Schneider mit drängender Stimme. Im Schein mehrerer Kerzen kniete er vor seinem achtjährigen Sohn und hielt das Gesicht seines Kindes in beiden Händen. „Onkel Heinrich hat ein anderes Klopfzeichen gegeben als sonst. Das bedeutet, dass draußen wahrscheinlich Soldaten stehen, um mich mitzunehmen.“
Der blonde Junge sah seinen Vater mit großen Augen an. Er spürte die Angst seines Vaters und sie übertrug sich auf ihn.
„Papa …“ sagte er leise, aber sein Vater unterbrach ihn.
„Sie werden dir sicher nichts tun. Pass auf, ich stecke dir diese Zeichnung in deinen Mantel.“ Er hielt ein gefaltetes Blatt Packpapier in die Höhe und zeigte es seinem Jungen, dann steckte er es ihm in die Manteltasche. „Sprich zu niemandem darüber. Gib es nicht aus der Hand. Wenn du einmal größer bist, wird dir der Inhalt hoffentlich helfen …“ Seine Stimme versagte. Er nahm seinen Sohn in die Arme und drückte ihn fest. „Vergiss nicht, dass dich dein Papa ganz lieb hat.“
Entschlossen fasste er dann den Jungen bei der Hand und stieg mit ihm eine steile Steintreppe hinauf. Er klopfte gegen die Rückwand des Spinds, der hier den Weg verstellte.
Heinrich Schneider hörte das kurze Klopfzeichen, welches etwas später seinem Klopfen antwortete, und senkte verzweifelt den Kopf. Gott möge mir verzeihen, dachte er kurz, während sich die Soldaten an seiner Seite bereit machten. Es gab ein kratzendes Geräusch, als die Rückwand des Spinds von hinten mit einem Ruck entfernt wurde. Die bleichen, ängstlichen Gesichter eines mittelalten Mannes in Zivilkleidung und eines Jungen blickten ihnen entgegen. Sie standen auf dem obersten Absatz einer schmalen Steintreppe, die von hier hinunter in den historischen Weinkeller der Weinstube Maulaffenbäck