Ein Stift am Munde! Eine Geste von Einhalt, Unterbrechung, von Pause. Es wird gewartet, man gibt sich Zeit, damit sich die Gedanken, die wir suchen, einstellen können. Aber auch Gefühle und Emotionen, die an der Wurzel unserer Gedanken sind, müssen inneren Raum haben, damit sie geklärt werden. Wo sie Zeit bekommen, wird es allgemein ruhiger, der Zorn wird gedämpft und das Blut beginnt ruhiger zu fließen. – Aus solchen Erfahrungen mag die Bemerkung von Max Frisch stammen, mit der er sein schriftstellerisches Tun zusammenfasst: »Das war eigentlich immer schon so, dass ich schreibend erst meine Erfahrungen entdeckte.«
Ein Wort auf der Zunge
Nicht immer jedoch hat der Schreibende die nötige Geduld, mit dem Stift am Mund auf die Gedanken zu warten. Oft sind die Gefühle so hitzig und streitbar, dass sie aufs Papier drängen. Sie stürzen wie eine Flut nach außen, müssen niedergeschrieben werden, egal, ob dies schön oder durcheinander gerät. Unausgegoren und ungeordnet fließen sie aufs Papier, breiten sich dort aus und werden sichtbar – Montaigne muss seiner Feder freien Lauf lassen, wenn etwas Schönes entstehen soll: »Diejenigen Briefe, die mir die meiste Mühe kosten, taugen am wenigsten. Sobald ich langsam schreibe, so ist dies ein Zeichen, dass ich meine Gedanken nicht drauf habe; ich fange gern an, ohne vorher zu wissen, was ich schreiben will. Die ersten Gedanken bringen die nächsten hervor.«6
Wie immer wir schreiben, ob schnell oder langsam, wir suchen nach Worten, warten darauf, dass sie sich bilden. Wir erspähen unser Inneres, hoffen auf Licht, Klärung, Sinn. Dass aus dem Durcheinander Ordnung entsteht, vage Gefühle sich in Worten fassen lassen.
Wo wir ausdrücklich Briefe auf das Papier bringen, da erspähen wir nicht bloß unser Inneres, sondern auch das des Adressaten. Die Erkundung des eigenen Selbst weitet sich zu einem Dialog. Briefe sind Gespräche. Sie vermögen diese nicht zu ersetzen, erreichen nie oder nur ganz selten diese Unmittelbarkeit, wie sie spontanem Austausch eigen ist. Sie können das Aug in Aug nicht ersetzen, bleiben ein Notbehelf. Goethe sagt es einmal mehr auf schöne und präzise Weise: »Das Papier ist eine kalte Zuflucht gegen deine Arme.«7
Dennoch hat der Brief wiederum Vorteile, die dem Gespräch abgehen. Nicht nur kann der Brief das Gespräch nicht ersetzen, es gibt auch Dinge, die für die Spontaneität eines Gespräches ungeeignet sind und im Brief besseren Platz finden. Probleme, die man sich mündlich nicht anzusprechen traut, sei es aus Rücksicht oder Scheu oder einfach weil die Situation nicht passt, die jedoch im Brief ruhig Platz finden. Dieser hat eine Vertrautheit, die in der direkten Begegnung nicht immer gegeben ist. Es gibt Worte, Mitteilungen, die einen besonderen Rahmen brauchen, um gesagt werden zu können.
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