Viele Fragen – eine Antwort
Glauben Sie, dass Alkoholismus eine Krankheit ist?
Wenn ein Mensch sich in Anbetracht hoher Arbeitsbelastung, fehlender Berufsmotivation, schlechten Betriebsklimas und enormer Überforderung betrinkt, nicht nur am Wochenende, nicht nur sonntagabends oder nach Feierabend, sondern bereits während der Arbeitszeit – glauben Sie, dass Abstinenz und ein paar Medikamente gegen Stimmungstiefs wirklich eine Therapie darstellen, die diesem Menschen dauerhaft hilft? Und wäre es diese Form der Behandlung darüber hinaus wert, die Krankenkassen, in die wir alle einzahlen, mit rund 10.000 Euro zu belasten?
Glauben Sie, dass ein Mensch, der aus tiefstem Herzen glücklich, organisch kerngesund, partnerschaftlich erfüllt und beruflich erfolgreich ist, abhängiger Alkoholiker werden kann – und das, nur weil er über ein paar Jahre der körperlichen Aufnahme von Alkohol ausgesetzt war?
Glauben Sie, dass ein Küfer, der regelmäßig Wein abschmeckt, oder ein Brauereiaußendienstler, der zu Geschäftsabschlüssen seine Biermarke dem Kunden gegenüber vertritt und ein Glas mittrinkt, zwangsläufig eines Tages Schmerzen und Krämpfe bekommt, wenn er sich nicht bis spätestens zur Mittagszeit zwei Promille angetrunken hat?
Ich glaube es nicht nur nicht, sondern ich weiß es: Alkoholismus ist keine Krankheit, sondern eine spezielle Kompensation von Angst! Warum Menschen zu Trinkern werden, ist keine Folge eines Unfalls, einer Infektion und erst recht nicht die Folge von gelegentlichem Kontakt mit Alkohol. Den Alkohol einfach aus dem Körper wegzulassen verhindert zwar alkoholbedingte Organschädigungen, befreit einen Menschen aber nicht von der Ursache der Sucht.
Aus diesem Grunde habe ich im ersten Psychocoach-Ratgeber[1] versucht, Folgendes deutlich zu machen: Wir müssen zunächst einmal genau definieren, was eine Sucht überhaupt ist, um sie sachgerecht behandeln zu können. Wenn Einigkeit darüber herrscht, dass eine Zwangshandlung keinerlei körperliche Ursachen hat, sondern auf der Ebene der Verhaltensmotivation zu finden ist, wird klar, dass wir beim Auslöser für das Trinken nach dem Entzug tatsächlich nicht von einem medizinischen Problem sprechen, sondern von einem rein psychologischen. Bei einer Zwangshandlung braucht der Entwöhnungsbereite weder Medikamente noch monatelange Trainings noch Willensstärke oder Disziplin. Er braucht lediglich eine Erkenntnis, um nicht mehr rauchen oder trinken zu müssen. Diese Erkenntnis kann innerhalb weniger Stunden durch ein aufklärendes Gespräch vermittelt werden. Um also zu verstehen, wie aus dem „Muss“ zum Trinken ein „Kann“ werden kann, prüfen Sie bitte mit wissenschaftlicher Aufgeschlossenheit, ob die bisherigen Ansätze zur Suchttherapie tatsächlich das Wesen des Leidens exakt treffen. Klären wir zunächst einmal ein paar notwendige grundsätzliche Dinge.
Zur wissenschaftlichen Vorgehensweise in diesem Buch
Hin und wieder höre ich den Vorwurf, meine Behauptungen seien wissenschaftlich nicht genug fundiert. Ich würde die Fakten, die meinen Hypothesen zugrunde liegen, nicht durch Studien überprüfen.
Nun, zum einen gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, als unter Laborbedingungen wissenschaftlich zu forschen. So integriert beispielsweise die teilnehmende Beobachtung den Experimentator ins Geschehen, damit er nicht als beeinflussender Fremdkörper die Forschungsergebnisse verzerrt. Nach diesem Verfahren arbeitete beispielsweise die Schweizer Naturforscher-Familie Christophe und Hedwige Boesch, die mit ihren Kindern insgesamt zwölf Jahre lang wie Tarzan im Tai-Nationalpark an der Elfenbeinküste unter Schimpansen lebte, um das Sozialverhalten dieser Tiere zu studieren. Erst nach fünf Jahren verhielten sich die Affen so, als wären die anwesenden Menschen ihresgleichen, und ließen sich in ihrem natürlichen Verhalten erforschen. Dies wäre unter Laborbedingungen schlichtweg nicht möglich gewesen.
Zum anderen arbeite ich nolens volens erfolgsorientiert. Ich kann mir nicht den bequemen Luxus leisten, eine Beratung anzubieten, die mit Glück vielleicht etwas Linderung bringt und ansonsten sowieso von der Krankenkasse bezahlt wird. Nein, der Erfolg meiner Beratung wird am Erfolg meiner Kunden gemessen. Um diesen Erfolg auch zu erzielen, begleiten wir in unserem Institut unsere Kunden so lange, bis sie selbst ganz subjektiv das Gefühl haben, keine Hilfe mehr zu brauchen. Somit bekommen wir auch nach Jahren noch heraus, ob unser Coachingziel erreicht ist oder nicht.
Zudem bin ich von Haus aus Sozialwissenschaftler – und damit jemand, der nicht im weißen Kittel mit Spritze und Stoppuhr bewaffnet Ratten und Mäuse untersucht, sondern klinisch arbeitet, also direkt am menschlichen Geschehen empirische Feldforschung betreibt. „Empirisch“ bedeutet hier „erfahrungsgemäß“: Erkenntnisse werden hier aufgrund von Erfahrungen und nicht aufgrund von theoretischen Überlegungen gewonnen. Das impliziert aber, dass die Erfahrungen möglichst übertragbar sein sollten, um Allgemeingültigkeit zu gewährleisten. Dabei wäre es sehr fahrlässig, die Individualität des Menschen außer Acht zu lassen – nicht jeder Mensch reagiert in derselben Situation gleich. Doch wenn jeder Mensch meine Thesen an sich selbst überprüfen und beweisen kann, welchen Zweck sollten dann noch isolierte Laborbedingungen haben?
Die Forschung unter Laborbedingungen versucht per se störende Faktoren, wie etwa den Einfluss des Forschers, auszuschließen und den Forschungsgegenstand aufs Extremste zu reduzieren. Bei Doppelblindstudien zur Erforschung des Placebo-Effektes sehen wir beispielsweise, dass weder der Proband noch der Arzt wissen, ob das zu verabreichende Medikament nun Placebo oder Medikament ist. Dabei geht es doch genau darum zu vermeiden, dass die Überzeugung des Arztes sich auf den Heilerfolg des Patienten auswirken kann. Wenn ein Arzt nun nicht weiß, ob ein Medikament wirkt oder nicht, beeinträchtigt er damit die therapeutische Wirkung. Diese Art von Forschung hat somit derart wenig mit der vielschichtigen Realität zu tun, dass ich von einer direkten Übertragung ihrer Ergebnisse auf menschliche Alltagssituationen im Allgemeinen abrate.
Beispielsweise hat die Berliner Tierärztin Dr. G. K. Pirk zu beweisen versucht, dass Alkohol unabhängig von Sozialfaktoren zur Sucht verleite, und dabei allen Ernstes behauptet, man könne auch bei Ratten feststellen, dass sie so lange freiwillig Alkohol konsumieren, bis sie davon abhängig werden. Frau Dr. Pirk hat dabei den Tieren Alkohol in einer Flüssigkeit mit süßem Geschmack vorgesetzt. Die Ratten konsumierten also die Testflüssigkeit vermutlich nicht wegen des Alkohols, sondern wegen des hohen Zuckergehaltes. Hierzu sollte man wissen, dass jedes Säugetiergehirn derart positiv auf Glukose reagiert, dass es durchaus Toxine in Kauf nehmen kann, nur um an den begehrten „Süßstoff“ heranzukommen. Ob eine Ratte tatsächlich ohne menschliches Eingreifen puren, hochprozentigen Schnaps bis zur Abhängigkeit schlabbern würde, wage ich stark anzuzweifeln, sonst wären die Tiere mit Sicherheit zuhauf in den Tanks der großen Brennereien zu finden, so wie man in der Vergangenheit immer wieder Ratten fand, die sich Zugang zu unseren Silos und Kornkammern verschafften.
Meiner Forschung liegen jedenfalls keine Experimente mit Laborratten und Reagenzgläsern zugrunde, sondern die komplexe Realität des Alltags. Ein jeder Mensch kann die von mir aufgestellten Hypothesen an sich selbst überprüfen. Um hier streng naturwissenschaftlich zu bleiben, muss man allerdings einen wichtigen Schritt machen: Man muss die zugrunde liegenden Faktoren so lange auf Kausalitätsbeziehungen untersuchen, bis sich eine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt – und die muss für alle Probanden gelten!