Verbena II. Ruth Anne Byrne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruth Anne Byrne
Издательство: Bookwire
Серия: Verbena
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783944788982
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      »Wer sonst soll das verbrochen haben? Begabtes Gesindel, dieses!«, schäumte Korvinus. Die Gäste stimmten ein.

      Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich, packte mich am Kragen. »Erzählt sie auch wirklich die Wahrheit?«

      Ich nickte, so gut ich konnte.

      Karlotta erhob sich. »Korvinus, es geht um Ulrik!«

      Er ließ mich los, stieß mich weg. »Zeige sie mir, wo!«

      »Jetzt?«

      »Natürlich jetzt. Warte sie unten im Hof!«

      Ingar sah ich das schlechte Gewissen förmlich an, dass er mich vor die Tür setzen musste. Nun stand ich wieder im strömenden Regen. Mein Magen knurrte. Dort oben war ein offener Kamin gewesen, dessen wohliges Feuer mich zumindest für kurze Zeit gewärmt hatte, und ein Festmahl, das nun niemand mehr anrühren würde. Was für eine Verschwendung!

      Ich drückte mich unter einen Dachvorsprung, den nassen Umhang fest um mich gewickelt. Im Hof sammelten sich immer mehr der Seggenseer Wachen. Sie entzündeten Laternen und schleppten eine Bahre heran. Auch der hiesige Pater hatte sich der Truppe angeschlossen, ein Totentuch im Arm. Selbst die Hüter fanden sich ein. Der mit der Glatze und der Narbe musterte mich eingehend.

      Endlich schritt Korvinus durch die Tür. Nun trug auch er volles Ornat. Auf seinem Wappenrock prangten das Auge und das brennende Schwert auf schwarzem Grund. Ich wollte ihn nicht anstarren, doch mein Blick blieb auf dem Wappen haften, dessen Weiß im Dunkel der Nacht zu leuchten schien. Sogar sein Langschwert hatte er umgebunden, auch wenn die Toten in der Nebelschlucht sicher nicht kämpfen würden. Die Hand am Heft überblickte er seine Leute.

      »Wo ist die Heilerin?«, brüllte er.

      Ich löste mich aus dem Schatten und trat in den Regen hinaus. »Hier, Euer Hochgeboren.«

      »Man gebe ihr eine Laterne!«

      Sobald man mir eine gereicht hatte, wies er mir mit seinem markanten Kinn den Weg hinaus aus der Burg. »Sie gehe voran!«

      Auch das noch … Ich eilte durch das Burgtor. Aufdringlich nahe hallten die Schritte von Korvinus schweren Lederstiefeln hinter mir über die Zugbrücke. Ich verkrampfte, legte einen Zahn zu, doch er hielt Schritt mit mir. Ein gutes Dutzend Männer setzte sich hinter uns in Bewegung. Keiner sprach, nur der Regen prasselte unaufhörlich durch die Zweige der Buchen.

      Korvinus trieb mich voran, den steilen Serpentinenweg hinunter zum Eingang der Schlucht. Ich hielt die Laterne vor mich, rutschte trotzdem immer wieder ab, seine schnellen Schritte unaufhörlich hinter mir.

      Er hatte sicher nicht vergessen, dass sein Vater ihm letztes Jahr versagt hatte, Alraune und mich gefangen zu nehmen. Sein eisiger Blick an jenem Tag hatte mir verheißen, dass diese Rechnung keineswegs beglichen war. Bei Mavanja, möge der alte Baron noch lange leben und seine schützende Hand über uns halten!

      Am Eingang der Schlucht blieb ich stehen. Korvinus schubste mich unsanft voran. »Gehe sie weiter. Wo ist Ulrik?«

      Der Regen rieselte auf uns herab. Die feuchten Felsen zu beiden Seiten schimmerten schwarz im Licht der Laternen. Das dritte Mal, dass ich heute hier hereintrat.

      Mehr noch als vor der Schlucht und ihren Toten graute mir vor den Männern, die hinter mir herkamen. Unablässig suchte ich den Regen ab, wünschte mir, Ulriks Erscheinung noch einmal zu sehen. Doch die Tropfen zeichneten nur dünne Fäden vor mir in die Luft.

      An der Biegung des Baches blieb ich stehen und hielt die Laterne hoch. Korvinus kniff die Augen zusammen, sog ruckartig Luft ein.

      »Halt!«, schnarrte er seine Männer an und gab ein Handzeichen. Dann schritt er vor, dorthin, wo sein Bruder lag. Nur einen Moment betrachtete er den leblosen Körper. Dann kam er zurück. Sein Gesicht leer wie das einer Maske.

      »Bringt ihn nach Hause«, sagte er.

      Die Männer drängten sich an mir vorbei, betrachteten schweigend das Schlachtfeld. Dann schoben sie das Tuch unter die Gebeine und hoben sie vorsichtig auf die Bahre.

      »Gehab dich wohl, Ulrik. Ruhe in Frieden«, flüsterte ich.

      Durchnässt bis auf die Untergewänder und wie betäubt stapfte ich im Schein der Laterne den dunklen Uferweg entlang. Meine Schuhe versanken im aufgeweichten Boden. Mir war kalt, so unendlich kalt.

      An der Kreuzung beim Moosbacherhof blieb ich stehen und starrte die Gasse Richtung Dorfplatz hinunter. Fria.

      Auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mich an unseren warmen Kachelofen zu lehnen, ich musste mit ihr reden, ihr sagen, wie leid es mir tat. Sie war die Einzige im Dorf, die immer zu mir gestanden hatte, selbst wenn die anderen Alraune und mich für Hexen hielten. Fria hatte es nicht verdient, dass ich ihr misstraute.

      Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Das nasse Kopfsteinpflaster am Dorfplatz schimmerte im Schein der Laterne. Die mächtigen Bäume standen kahl und gespenstisch vor mir. Aber durch die Fenster des Gasthofs zu den Drei Linden strahlte warmes Licht.

      Endlich aufwärmen … und mit Fria alles wieder gut machen!

      Sie hatte recht, sich ausgeschlossen zu fühlen. Vielleicht sollte ich sie wirklich ins Vertrauen ziehen.

      Am Weg zur Tür warf ich einen Blick durch das Fenster. Ruckartig blieb ich stehen und starrte durch die leicht angelaufene Scheibe.

      Da saßen sie alle … Finn, Ludek, Gunar, seinen Arm um Adelind gelegt, Henrik, …

      Fria stand neben dem Tisch, ein Tablett in der Hand.

      Ich sah, wie sich ihre Lippen bewegten, sie aufgeregt erzählte. Wie sehr sie es genoss, die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie war in ihrem Element.

      Alle hörten gespannt zu. Adelind war blass, hatte die Hand über ihren Mund gelegt, lauschte mit aufgerissenen Augen.

      Finn fragte etwas und Fria setzte wieder an. Sie machte eine ausladende Bewegung mit ihrem Arm, zeigte nach draußen. Aber nicht in Richtung der Nebelschlucht oder der Burg – in meinen Magen formte sich ein Knoten –, sie zeigte zur Heilerei.

      Ich duckte mich weg, noch bevor jemand zum Fenster hinaussah.

       Erzählte sie gerade alles? Valerian, der Steckbrief … Alraune und ich auf dem brennenden Scheiterhaufen!

      Ich lief, so schnell ich konnte. Die Gasse entlang, hinaus aus dem Dorf, über die Brücke, zur Heilerei.

      Hier auf der Lichtung war es still und das Haus nicht erleuchtet.

      Keuchend knallte ich die Tür hinter mir zu. Ich stürzte auf Alraunes Bett zu, doch es war leer.

      Mutter des Lebens, das auch noch.

      Ich konnte Alraune nicht hierlassen, nicht einfach ohne sie gehen. Das wäre ihr Todesurteil.

      Verbena, reiss dich zusammen!, sagte ich zu mir selbst.

      Wie schnell würden die Nachrichten, die Fria hinaustrompetet hatte, ihren Weg zu den Hütern finden? Spätestens morgen früh berichtete Finn Korvinus davon, darauf konnte ich mich verlassen.

      Bis zum Morgengrauen ließ es sich riskieren, auf Alraune zu warten. Spätestens dann mussten wir los! Wo steckte sie bloß?

      Ich hob die Laterne und sah mich um. Ihr Heilerkorb stand nicht neben der Tür. Sie war wohl gerufen worden.

      Aber ich musste die Zeit nutzen und packen! Ich stürmte in meine Kammer hinauf. Oben stellte ich die Laterne auf den Tisch und tauchte unter das Bett. Valerians Dolch. Er lag schwer in meinen Händen. Ich strich über das Emblem am Knauf – die Gruppe von Bäumen, genau wie auf dem Steckbrief. Das Wappen der von Vernons.

      Auf keinen Fall durften die Hüter ihn hier finden. Wie gerne hätte ich ihn Valerian zurückgegeben, ihm gesagt, dass ich ihn wiedergefunden hatte. Dass ich wusste, wer ihn überfallen hatte, warum er blind war. Aber wenn ich den Dolch bei mir trug, konnte ich mich gleich freiwillig bei den Hütern als Begabte