Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles M. Shawin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485945
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und den reißenden Flüssen, jenes Glück, das ihm bisher verwehrt war und von dem nur diese Trapper wussten?

      Cuthbert riss ihn jäh aus seinen Gedanken. Er hatte es plötzlich eilig, den Pier fertigzustellen und legte selbst fleißig mit Hand an. Doch als die Bretter angenagelt waren und es sich sicher darauf herumlaufen ließ, war er – wie sollte es anders sein – plötzlich wieder verschwunden. Er zog die Gesellschaft der Whiskey trinkenden Männer vor. Insbesondere aber suchte er die Nähe von Clarissa Upton.

      Dave und Ben Bennry machten sich wohl oder übel allein daran, ein Geländer an den Laufsteg zu bauen. Anschließend gingen sie noch in die Scheune, warfen das Heu von der Empore und fegten sie sauber. Am frühen Nachmittag waren auch sie fertig mit ihrer Arbeit.

      Seit der Ankunft der Trapper waren mehrere Stunden vergangen. Mrs Upton hatte in der Zwischenzeit nicht mit Whiskey gespart, und als Dave den Männern erklärte, der Pier stehe nun, fanden sich nur Captain Orlando Bell und sechs weitere, die bereit und auch nüchtern genug waren, um die Pelze in die Scheune zu transportieren.

      Als Bell das erste Boot an den Pier manövrierte und hart an die Pfosten stieß, diese aber keinen Zoll nachgaben, und als dann die Männer mit hundert Pfund schweren Bündeln die Treppe emporstiegen und auch diese fest in ihrer Verankerung lag, erst dann war Dave mit seinem Werk vollauf zufrieden.

      Eigentlich hätte er sich jetzt Ruhe verdient. Der erste Teil des Auftrags, den Pier innerhalb von drei Tagen fertig zu stellen, war erfüllt. Weil er aber noch nicht müde war, half er den Trappern.

      Einer der Männer war Henry Reed. Er war so lang wie Bell, aber nicht so muskulös, fast schon dürr. Alle nannten ihn nur „Long”. Von ihm erfuhr Dave etwas über die Trapper und ihre Organisation.

      „Eigentlich sind wir keine Trapper”, sagte Long, während sie die Bündel mit der Seilwinde auf die Empore hievten. „Wir schaffen nur die Felle, die uns die Fallensteller liefern, in den Osten.” Er erzählte von der schweren Arbeit, die Fallen im Herbst in den kalten Gewässern anzubringen, von den Indianern und den grässlichen Wintern in den Bergen, die schon manchen das Leben gekostet hatten. Nicht minder gefährlich aber sei die Reise auf dem Missouri, meinte er ernst. Treibholz und Sandbänke seien tückische Fallen. Und an den zahlreichen Stromschnellen sei es unumgänglich, die Boote zu entladen und die Fracht meilenweit durch unwegsame Wildnis zu schleppen, um danach das Boot selbst mit vereinter Kraft über das Hindernis hinweg zu ziehen. Trotz der Mühsal, die eine solche Fahrt mit sich brachte, erzählte Henry Long Reed mit Stolz davon. „Im März, wenn die Flüsse eisfrei sind, fahren wir wieder los”, sagte er. „Wir wollen dann oben am Yellowstone einen Zwischenposten errichten.”

      Dave hatte mit Interesse und Faszination zugehört. Long schien das zu bemerken, denn er sagte: „Warum kommen Sie nicht mit? Ein guter Zimmermann ist uns immer willkommen.”

      Das Angebot kam überraschend. Im ersten Moment hätte Dave beinahe begeistert zugesagt. Doch dann fiel ihm Mr Blackmore ein. Ohne Dave wäre der väterliche Freund verloren. Er konnte wegen seines Rheumas seinen Unterhalt nicht bestreiten, geschweige denn sich eine ordentliche Mahlzeit zubereiten. Und auf Cuthbert war kein Verlass. Nein, er durfte Mr Blackmore nicht im Stich lassen.

      Dave schüttelte traurig den Kopf. „Es geht leider nicht.” Aber der Gedanke, mit diesen Männern in den fernen Westen zu ziehen, ließ ihn lange nicht los.

      Reed sah ihn verständnislos an. „Vielleicht überlegen Sie es sich noch”, sagte er.

      Innerhalb einer Stunde war es dunkel geworden. Die Fenster des Hauses waren von sanftem Licht erhellt. Jemand begann, auf der Fidel zu spielen. Eine helle, wohlklingende Stimme setzte ein und schwebte durch die klare Nacht zu ihnen in die Scheune herüber. Clarissa Upton sang ‚Beautiful Dark Light‘. Die Harmonie ihres kräftigen Soprans erstaunte Dave. Noch mehr aber war er erstaunt, als ihm jetzt unaufgefordert Henry Reed von Mrs Upton erzählte.

      Ihr Vater sei ein deutscher Baron gewesen, sagte er, der in Amerika aber nie hatte Fuß fassen können. Eine Zeit lang versuchte er sich als Exporteur von Tabak, besaß sogar ein eigenes Schiff, aber die Konkurrenz war zu gewieft und der Baron ein zu schlechter Geschäftsmann. Das Vermögen war rasch verbraucht. Um seine Familie durchzubringen, arbeitete er als Farmer, dann als Dockarbeiter. Im Alter von nur vierundfünfzig Jahren starb er völlig verarmt. Clarissa, die im Luxus aufgewachsen war, konnte es nie verwinden, mittellos zu sein. Schon früh verließ sie das Elternhaus. Sie schlug sich als Küchenhilfe und später als Sängerin durch. Unter anderem trat sie zwei Jahre im ‚Nightlight‘ in New York auf. Zu Reichtum brachte sie es aber nie. Granville Upton lernte sie in Baton Rouge kennen. Sie war ziemlich heruntergekommen und arbeitete als Barmädchen in einer miesen Spelunke.

      „Woher wissen Sie das alles?“ fragte Dave.

      „Bevor Granville sie kennen lernte, war ich mit ihr zusammen”, antwortete Reed ohne Bedauern.

      Gedankenverloren sah er hinüber zu den erleuchteten Fenstern, hinter denen die Fidel Clarissas Gesang begleitete. Dann murmelte er: „Um zu überleben, war sie gezwungen, jedes sittliche und moralische Empfinden abzulegen. Ohne Skrupel nimmt sie sich das, wovon sie sich erhofft, ein besseres Leben führen zu können. Selbst wenn es ein anderer Mann ist. Der, der sie verurteilt, hat nie die Härte des Lebens gespürt. Im Grunde tut sie mir Leid. Sie sucht nicht Reichtum, sondern Geborgenheit. Und die wird sie auch bei Granville nicht finden.”

      Er schüttelte den Kopf, so, als müsse er sich gewaltsam aus seinen Gedanken reißen.

      „Die Felle sind verstaut”, sagte er plötzlich und packte Dave am Arm. „Wir haben uns einen Schluck Whiskey verdient.” Dave war einverstanden, und beide schlenderten hinüber ins Haus.

      Als dann Dave inmitten der ausgelassenen Männer der Wildnis saß, musste er an Mr Blackmore denken, der einmal gesagt hatte, Trapper seien allesamt Raufbolde und man lasse sich besser nicht mit ihnen ein. Er stellte fest, dass es tatsächlich wilde Burschen waren, die sich einen Dreck um Manieren scherten, doch es waren auf keinen Fall Raufbolde. Zumindest jetzt nicht. Manche waren dermaßen besoffen, dass sie sich kaum noch auf den Stühlen halten konnten, sie wurden deswegen aber weder ausfällig, noch suchten sie ihre Behauptungen mit der Faust durchzusetzen. Der eine war für den anderen wie ein Bruder. Dave verglich sie mit einer großen Familie. Sie waren wie eine verschworene, feste Einheit. Er selbst hatte nie das Gefühl genießen können, in einer richtigen Familie zu leben.

      Clarissa war in Daves Augen seit dem Gespräch mit Reed eine andere geworden. Nicht mehr die Arroganz, die sie selbstherrlich zur Schau trug, markierte ihr Wesen; Dave sah nun durch diese Hülle hindurch und erkannte einen Menschen, der wie er Anerkennung und Freiheit suchte.

      Während der zwei Stunden, die er im Haus verbrachte, sprach Clarissa kein einziges Wort mit ihm. Vielleicht, weil sie zu beschäftigt war. Stets war sie unterwegs, um die Becher zu füllen, hin und wieder setzte sie sich auch zu einem der Männer, um etwas über die Jagdausbeute oder die schwierige Flussfahrt zu erfahren. Und zwischendurch sang sie. Sie stellte sich hierzu auf einen freien Platz im Raum und bewegte sich dabei voller Anmut und Eleganz zur Fidel. Ihr Tanz war perfekt, und die Bewegungen ihrer Arme, Beine und Hüften, sowie das kokettierende Augenzwinkern, wenn sie den Kopf frech zur Seite legte, musste auf die angetrunkenen Männer zwangsläufig aufmunternd wirken. Doch ließ sie nie den geringsten Zweifel aufkommen, zu wem sie gehörte. Sie war die Frau des Admirals, und als diese mussten sie die Männer akzeptieren.

      Dave bemerkte wohl, dass sie ihn manchmal heimlich beobachtete. Clarissa sah dann schnell weg, doch einmal blickte er direkt in ihre Augen. Erschrocken erkannte er, dass es glanzlose, leere Augen waren. Augen ohne Hoffnung, ohne Wärme, ohne Zukunft. Dieser Blick stach ihm schmerzhaft in die Brust.

      Als er später im Bett lag, konnte er lange nicht einschlafen. Fortwährend sah ihn Clarissa an – diese Frau, die voller Zauber und Geheimnisse war.

      Am nächsten Tag fuhr Dave nicht hinaus zu Uptons Haus. Der Pier war fertig, das war die Hauptsache. Mit der Scheune konnte er sich Zeit lassen. Er besuchte das Grab seiner Mutter, schnitt die Rosen, die Mrs Blackmore gesetzt hatte, hackte später für sich und Mr Blackmore Feuerholz, versorgte Bessie, räumte die Werkstatt