Er schüttelte beinahe vorwurfsvoll den Kopf.
„Hat dich der Gedanke an meinen Reichtum so verrückt gemacht, Jim Trafford? Hast du gedacht, du könntest so einfach hierherreiten, und ich würde dir dann mit Freuden das Erbe deines Vaters aushändigen? Ja, mein Junge, ich bin reich – reicher, als du vielleicht denkst! Aber ich bin kein Narr! Du wirst keinen Cent erhalten!“
„Sondern ein Stück heißes Blei!“, setzte Henshaw brutal hinzu.
„Ihr Geld und das Silber, das Sie aus den Bergen holen, interessiert mich nicht!“, erklärte Tonto mit unbewegter Miene.
Monroe zog die Augenbrauen hoch. „Wirklich? Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der solchen Dingen gegenüber kalt bleibt! Aus welchem Grund bist du dann gekommen? Nur um mit mir abzurechnen? Um mich der Gerechtigkeit zu überführen, wie?“
Er lachte schallend.
„Auch das!“, sagte Tonto ungerührt.
„Ich wusste ja, du bist ein Dummkopf!“, sagte Monroe lachend. „Und dein Hauptgrund?“
Tontos graugrüne Augen verengten sich.
Leise sagte er: „Ich will wissen, was aus meinem Vater geworden ist!“ Schlagartig verfinsterte sich Monroes Gesicht. Sein Blick wurde hart und erbarmungslos.
„Das liegt zwanzig Jahre zurück! Ich wette, du kannst dich nicht mal mehr an deinen Vater erinnern. Was kümmert dich also sein Schicksal?“
„So kann nur ein Mann wie Sie reden!“, erwiderte Tonto mit eisiger Verachtung. „Haben Sie Angst, mir zu antworten?“
„Angst! dass ich nicht lache!“
„Dann sagen Sie mir, was aus Allan Trafford wurde! Ist er tot oder – lebt er noch?“
In diesen Sekunden hatte Tonto alias Jim Trafford vergessen, dass zwei schussbereite Revolver auf ihn zielten. In diesen Sekunden sah er nur diesen großen skrupellosen Mann auf der anderen Tischseite. Heiße Erregung brannte plötzlich in ihm.
Elmer Monroe zögerte.
Ein heiserer Unterton mischte sich in Tontos Stimme: „Antworten Sie! Ich will wissen, ob mein Vater noch lebt?“
Die Schärfe seiner Worte ließ den Minenbesitzer unwillkürlich zusammenzucken. Doch im nächsten Moment hatte er sich schon wieder gefangen.
„Du hast vergessen, wo du bist, Trafford!“, sagte er kalt. „Du hast hier keine Fragen zu stellen! Weißt du, weshalb du hier bist? Ich will es dir sagen: um zu sterben! Henshaw, ich überlasse ihn dir! Du kannst …“
Auf der nächtlichen Main Street von Silverrock schrillte ein langgezogener Pfiff. Hufschläge setzten ein und wirbelten in rasendem Tempo die Straße entlang. Raue Schreie schallten. Und dann peitschten Schüsse.
Jemand schrie entsetzt: „Die Baxter Bande! Die Baxter Bande ist in der Stadt!“
Jetzt fielen die Schüsse in blitzartiger Reihenfolge.
Alles ging jetzt ganz schnell.
*
Monroe war herumgefahren, die Aufmerksamkeit seiner beiden Revolverbanditen war der Straße zugewandt.
Es war die Chance, auf die Tonto nicht mehr zu hoffen gewagt hatte!
Mit raubtierhafter Geschmeidigkeit wirbelte er herum und warf sich gegen Henshaw. Der Verbrecher fluchte und zog den Stecher durch. Da hatte Tonto Henshaws Arm bereits hochgeschlagen, und die Kugel fuhr splitternd in die Holzdecke.
Tontos Rechte kam blitzschnell hoch, erwischte Nat Henshaw genau unter dem Kinn, und während der Desperado lautlos zusammensackte, riss ihm Tonto den Revolver aus der Faust.
Der zweite Revolvermann schlug mit verzerrtem Gesicht seinen Colt auf Tonto an. Monroes Rechte zuckte in den Ausschnitt seiner grauen Jacke.
Tonto ließ sich auf die Knie fallen und schoss die Petroleumlampe entzwei. Das Petroleum verlöschte, ehe es sich entzünden konnte. Schlagartig senkte sich undurchdringliche Finsternis über den Raum.
Im Saloon waren die Klavierklänge verstummt. Männer schrien durcheinander. Tische und Stühle wurden in der Eile umgeworfen. Die Pendeltüren knarrten.
Auf der Main Street tackten noch immer die Hufe. Schüsse dröhnten zwischen den Häuserfronten. Das Zersplittern von Fensterscheiben war zu hören. Mit schrillen Schreien trieben die Reiter die Gäule an.
„Vorsicht!“, schrie jemand im Saloon.
„Sie schießen auf alles, was sich bewegt. Großer Himmel! Sie haben die Stadt überfallen, diese Banditen! Sie haben …“
Die Worte gingen im Bersten der Revolverschüsse unter.
Inzwischen hatte Tonto in der Dunkelheit einen Stuhl ergriffen. Er schleuderte ihn in Richtung der Tür. In das laute Poltern hinein krachten zwei Colts, die Mündungsflammen stachen zur Tür.
„Lynn!“, brüllte Monroe. „Versperr ihm den Weg, Lynn!“
Geduckt glitt Tonto quer durch das Zimmer zum Fenster hinüber. Ganz nahe neben ihm feuerte ein Mann, und die Kugeln sirrten wieder zur Tür hinüber. Tonto stieß hastig den angelehnten Fensterflügel auf und ließ sich wendig über das niedrige Fensterbrett gleiten.
Er landete federnd auf dem hölzernen Gehsteig.
Drinnen schrie der Revolvermann: „Das Fenster, Boss! Er ist aus dem Fenster entwischt!“
„Zum Teufel! Dann steh hier nicht herum! Los, ihm nach!“
Tonto raffte sich hoch, rannte die Hauswand entlang und bog hastig in eine tintenschwarze Häuserpassage.
Auf der Straße peitschten noch immer Schüsse. Staub wallte in dichten Schwaden im gelben Lampenlicht, das aus den erleuchteten Fenstern über die Fahrbahn fiel. Ein Reiterrudel sprengte in halsbrecherischem Galopp dem Ortsausgang zu. Überall stürzten jetzt Männer aus den Häusern und schossen wie verrückt hinter den Banditen her. Die Reiter verschwanden in der Nacht.
„Mister Monroe“, schrillte eine Männerstimme, „das war die Baxter Bande! Wir müssen die Verfolgung aufnehmen, Mister Monroe! Wir …“
„Unsinn!“ Monroes grollende Stimme kam von der Veranda des Frontier Palace.
„Vielleicht wollten uns die Halunken nur in eine Falle locken! Wir haben Wichtigeres zu tun! Tonto ist entkommen! Jagt ihn, Leute, jagt ihn und bringt ihn mir, tot oder lebendig! Vorwärts!“
Stimmengesumm lief die Häuserfronten entlang. Türen und Fenster klappten. Tritte pochten auf Veranden und Gehsteigen.
Monroe schrie: „Lynn, sag den anderen Boys Bescheid! Sie sollen die ganze Stadt auf den Kopf stellen, um diesen verdammten Kerl zu erwischen! Los, los, Lynn, jede Sekunde ist kostbar!“
Tonto wartete nicht länger. Es war bezeichnend, dass sich Monroe jetzt nicht um die Baxter Bande kümmerte, die ihm bereits so viele Schwierigkeiten gemacht hatte. Jetzt ging für ihn Jim Trafford vor, und seine Revolverleute würden alles daransetzen, seine Befehle auszuführen. Von dieser Minute an war Silverrock Todesgebiet für den Kämpfer aus Arizona!
Tonto machte sich keine Illusionen. Er musste fort aus der Stadt. Auf dem schnellsten Weg! Wie schnell er auch sein mochte, gegen diese Übermacht konnte er sich unmöglich behaupten.
Er rannte den Häuserdurchlass entlang und bog dann in einen Hinterhof. Kurz blieb er stehen, um sich zu orientieren. Dann schlug er die Richtung zum Mietstall ein. Erst wenn er auf dem Rücken von Red Blizzard saß, würde er eine Chance besitzen, der gnadenlosen Hetzjagd zu entgehen.
Die ganze Stadt hatte sich in einen Hexenkessel