Mit dem Reiten ging es mir noch schlimmer. Zufälligerweise schickte man mich im Herbst auf die Bahn, sodass ich in der kühlen und feuchten Jahreszeit meinen Anfang machte. Die pedantische Behandlung dieser schönen Kunst war mir höchlich zuwider. Zum ersten und letzten war immer vom Schließen die Rede, und es konnte einem doch niemand sagen, worin denn eigentlich der Schluss bestehe, worauf doch alles ankommen solle: denn man fuhr ohne Steigbügel auf dem Pferde hin und her. Übrigens schien der Unterricht nur auf Prellerei und Beschämung der Scholaren angelegt. Vergaß man die Kinnkette ein- oder auszuhängen, ließ man die Gerte fallen oder wohl gar den Hut, jedes Versäumnis, jedes Unglück musste mit Geld gebüßt werden, und man ward noch obenein ausgelacht. Dies gab mir den allerschlimmsten Humor, besonders da ich den Übungsort selbst ganz unerträglich fand. Der garstige, große, entweder feuchte oder staubige Raum, die Kälte, der Modergeruch, alles zusammen war mir im höchsten Grade zuwider; und da der Stallmeister den anderen, weil sie ihn vielleicht durch Frühstücke und sonstige Gaben, vielleicht auch durch ihre Geschicklichkeit bestachen, immer die besten Pferde, mir aber die schlechtesten zu reiten gab, mich auch wohl warten ließ und mich, wie es schien, hintansetzte, so brachte ich die allerverdrießlichsten Stunden über einem Geschäft hin, das eigentlich das lustigste von der Welt sein sollte. Ja der Eindruck von jener Zeit, von jenen Zuständen ist mir so lebhaft geblieben, dass, ob ich gleich nachher leidenschaftlich und verwegen zu reiten gewohnt war, auch tage- und wochenlang kaum vom Pferde kam, dass ich bedeckte Reitbahnen sorgfältig vermied und höchstens nur wenig Augenblicke darin verweilte. Es kommt übrigens der Fall oft genug vor, dass, wenn die Anfänge einer abgeschlossenen Kunst uns überliefert werden sollen, dieses auf eine peinliche und abschreckende Art geschieht. Die Überzeugung, wie lästig und schädlich dieses sei, hat in spätern Zeiten die Erziehungsmaxime aufgestellt, dass alles der Jugend auf eine leichte, lustige und bequeme Art beigebracht werden müsse; woraus denn aber auch wieder andere Übel und Nachteile entsprungen sind.
Mit der Annäherung des Frühlings ward es bei uns auch wieder ruhiger, und wenn ich mir früher das Anschauen der Stadt, ihrer geistlichen und weltlichen, öffentlichen und Privat-Gebäude zu verschaffen suchte und besonders an dem damals noch vorherrschenden Altertümlichen das größte Vergnügen fand, so war ich nachher bemüht, durch die Lersnersche Chronik und durch andere unter meines Vaters Frankofurtensien befindliche Bücher und Hefte die Personen vergangner Zeiten mir zu vergegenwärtigen; welches mir denn auch durch große Aufmerksamkeit auf das Besondere der Zeiten und Sitten und bedeutender Individualitäten ganz gut zu gelingen schien.
Unter den altertümlichen Resten war mir, von Kindheit an, der auf dem Brückenturm aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der Schädel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe schon gern die Geschichte dieser Aufrührer, des Fettmilch und seiner Genossen, erzählen, wie sie mit dem Stadtregiment unzufrieden gewesen, sich gegen dasselbe empört, Meuterei angesponnen, die Judenstadt geplündert und grässliche Händel erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiserlichen Abgeordneten zum Tode verurteilt worden. Späterhin lag mir daran, die nähern Umstände zu erfahren und, was es denn für Leute gewesen, zu vernehmen. Als ich nun aus einem alten, gleichzeitigen, mit Holzschnitten versehenen Buche erfuhr, dass zwar diese Menschen zum Tode verurteilt, aber zugleich auch viele Ratsherrn abgesetzt worden, weil mancherlei Unordnung und sehr viel Unverantwortliches im Schwange gewesen; da ich nun die nähern Umstände vernahm, wie alles hergegangen: so bedauerte ich die unglücklichen Menschen, welche man wohl als Opfer, die einer künftigen bessern Verfassung gebracht worden, ansehen dürfe; denn von jener Zeit schrieb sich die Einrichtung her, nach welcher sowohl das altadlige Haus Limpurg, das aus einem Klub entsprungene Haus Frauenstein, ferner Juristen, Kaufleute und Handwerker an einem Regimente teilnehmen sollten, das, durch eine auf venezianische Weise verwickelte Ballotage ergänzt, von bürgerlichen Kollegien eingeschränkt, das Rechte zu tun berufen war, ohne zu dem Unrechten sonderliche Freiheit zu behalten.
Zu den ahndungsvollen Dingen, die den Knaben und auch wohl den Jüngling bedrängten, gehörte besonders der Zustand der Judenstadt, eigentlich die Judengasse genannt, weil sie kaum aus etwas mehr als einer einzigen Straße besteht, welche in frühen Zeiten zwischen Stadtmauer und Graben wie in einen Zwinger mochte eingeklemmt worden sein. Die Enge, der Schmutz, das Gewimmel, der Akzent einer unerfreulichen Sprache, alles zusammen machte den unangenehmsten Eindruck, wenn man auch nur am Tore vorbeigehend hineinsah. Es dauerte lange, bis ich allein mich hineinwagte, und ich kehrte nicht leicht wieder dahin zurück, wenn ich einmal den Zudringlichkeiten so vieler, etwas zu schachern unermüdet fordernder oder anbietender Menschen entgangen war. Dabei schwebten die alten Märchen von Grausamkeit der Juden gegen die Christenkinder, die wir in Gottfrieds »Chronik« grässlich abgebildet gesehen, düster vor dem jungen Gemüt. Und ob man gleich in der neuern Zeit besser von ihnen dachte, so zeugte doch das große Spott- und Schandgemälde, welches unter dem Brückenturm an einer Bogenwand, zu ihrem Unglimpf, noch ziemlich zu sehen war, außerordentlich gegen sie: denn es war nicht etwa durch einen Privatmutwillen, sondern aus öffentlicher Anstalt verfertigt worden.
Indessen blieben sie doch das auserwählte Volk Gottes und gingen, wie es nun mochte gekommen sein, zum Andenken der ältesten Zeiten umher. Außerdem waren sie ja auch Menschen, tätig, gefällig, und selbst dem Eigensinn, womit sie an ihren Gebräuchen hingen, konnte man seine Achtung nicht versagen. Überdies waren die Mädchen hübsch und mochten es wohl leiden, wenn ein Christenknabe, ihnen am Sabbat auf dem Fischerfelde begegnend, sich freundlich und aufmerksam bewies. Äußerst neugierig war ich daher, ihre Zeremonien kennen zu lernen. Ich ließ nicht ab, bis ich ihre Schule öfters besucht, einer Beschneidung, einer Hochzeit beigewohnt und von dem Lauberhüttenfest mir ein Bild gemacht hatte. Überall war ich wohl aufgenommen, gut bewirtet und zur Wiederkehr