Der Vater war indes gelassen heruntergestiegen, setzte sich zu uns, schien heitrer als bisher und fing an zu essen. Wir freuten uns darüber und wussten nicht, auf welche bedenkliche Weise er sich den Stein vom Herzen gewälzt hatte. Kurz darauf wurde die Mutter herausgerufen, und wir hatten große Lust, dem Vater auszuplaudern, was uns der Graf für Süßigkeiten verehrt habe. Die Mutter kam nicht zurück. Endlich trat der Dolmetscher herein. Auf seinen Wink schickte man uns zu Bette: es war schon spät, und wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durchschlafenen Nacht erfuhren wir die gewaltsame Bewegung, die gestern Abend das Haus erschüttert hatte. Der Königsleutnant hatte sogleich befohlen, den Vater auf die Wache zu führen. Die Subalternen wussten wohl, dass ihm niemals zu widersprechen war; doch hatten sie sich manchmal Dank verdient, wenn sie mit der Ausführung zauderten. Diese Gesinnung wusste der Gevatter Dolmetsch, den die Geistesgegenwart niemals verließ, aufs lebhafteste bei ihnen rege zu machen. Der Tumult war ohnehin so groß, dass eine Zögerung sich von selbst versteckte und entschuldigte. Er hatte meine Mutter herausgerufen und ihr den Adjutanten gleichsam in die Hände gegeben, dass sie durch Bitten und Vorstellungen nur einigen Aufschub erlangen möchte. Er selbst eilte schnell hinauf zum Grafen, der sich bei der großen Beherrschung seiner selbst sogleich ins innre Zimmer zurückgezogen hatte und das dringendste Geschäft lieber einen Augenblick stocken ließ, als dass er den einmal in ihm erregten bösen Mut an einem Unschuldigen gekühlt und eine seiner Würde nachteilige Entscheidung gegeben hätte.
Die Anrede des Dolmetschers an den Grafen, die Führung des ganzen Gesprächs hat uns der dicke Gevatter, der sich auf den glücklichen Erfolg nicht wenig zu gute tat, oft genug wiederholt, sodass ich sie aus dem Gedächtnis wohl noch aufzeichnen kann.
Der Dolmetsch hatte gewagt, das Kabinett zu eröffnen und hineinzutreten, eine Handlung, die höchst verpönt war. »Was wollt Ihr?« rief ihm der Graf zornig entgegen. »Hinaus mit Euch! Hier hat niemand das Recht hereinzutreten als Saint Jean.«
»So haltet mich einen Augenblick für Saint Jean«, versetzte der Dolmetsch.
»Dazu gehört eine gute Einbildungskraft. Seiner zwei machen noch nicht einen, wie Ihr seid. Entfernt Euch!«
»Herr Graf, Ihr habt eine große Gabe vom Himmel empfangen, und an die appelliere ich.«
»Ihr denkt mir zu schmeicheln! Glaubt nicht, dass es Euch gelingen werde.«
»Ihr habt die große Gabe, Herr Graf, auch in Augenblicken der Leidenschaft, in Augenblicken des Zorns die Gesinnungen anderer anzuhören.«
»Wohl, wohl! Von Gesinnungen ist eben die Rede, die ich zu lange angehört habe. Ich weiß nur zu gut, dass man uns hier nicht liebt, dass uns diese Bürger scheel ansehn.«
»Nicht alle!«
»Sehr viele! Was! diese Städter, Reichsstädter wollen sie sein? Ihren Kaiser haben sie wählen und krönen sehen, und wenn dieser, ungerecht angegriffen, seine Länder zu verlieren und einem Usurpator zu unterliegen Gefahr läuft, wenn er glücklicherweise getreue Alliierte findet, die ihr Geld, ihr Blut zu seinem Vorteil verwenden, so wollen sie die geringe Last nicht tragen, die zu ihrem Teil sie trifft, dass der Reichsfeind gedemütigt werde.«
»Freilich kennt Ihr diese Gesinnungen schon lange und habt sie als ein weiser Mann geduldet; auch ist es nur die geringere Zahl. Wenige, verblendet durch die glänzenden Eigenschaften des Feindes, den Ihr ja selbst als einen außerordentlichen Mann schätzt, wenige nur, Ihr wisst es!«
»Jawohl! zu lange habe ich es gewusst und geduldet, sonst hätte dieser sich nicht unterstanden, mir in den bedeutendsten Augenblicken solche Beleidigungen ins Gesicht zu sagen. Es mögen sein, so viel ihrer wollen, sie sollen in diesem ihren kühnen Repräsentanten gestraft werden und sich merken, was sie zu erwarten haben.«
»Nur Aufschub, Herr Graf!«
»In gewissen Dingen kann man nicht zu geschwind verfahren.«
»Nur einen kurzen Aufschub!«
»Nachbar! Ihr denkt mich zu einem falschen Schritt zu verleiten: es soll Euch nicht gelingen.«
»Weder verleiten will ich Euch zu einem falschen Schritt, noch von einem falschen zurückhalten. Euer Entschluss ist gerecht: er geziemt dem Franzosen, dem Königsleutnant; aber bedenkt, dass Ihr auch Graf Thorane seid.«
»Der hat hier nicht mitzusprechen.«
»Man sollte den braven Mann doch auch hören.«
»Nun, was würde er denn sagen?«
»Herr Königsleutnant! würde er sagen, Ihr habt so lange mit so viel dunklen, unwilligen, ungeschickten Menschen Geduld gehabt, wenn sie es Euch nur nicht gar zu arg machten. Dieser hat’s freilich sehr arg gemacht; aber gewinnt es über Euch, Herr Königsleutnant! und jedermann wird Euch deswegen loben und preisen.«
»Ihr wisst, dass ich Eure Possen manchmal leiden kann; aber missbraucht nicht mein Wohlwollen. Diese Menschen, sind sie denn ganz verblendet? Hätten wir die Schlacht verloren, in diesem Augenblick, was würde ihr Schicksal sein? Wir schlagen uns bis vor die Tore, wir sperren die Stadt, wir halten, wir verteidigen uns, um unsere Retirade über die Brücke zu decken. Glaubt Ihr, dass der Feind die Hände in den Schoß gelegt hätte? Er wirft Granaten und was er bei der Hand hat, und sie zünden, wo sie können. Dieser Hausbesitzer da, was will er? In diesen Zimmern hier platzte jetzt wohl eine Feuerkugel, und eine andere folgte hinterdrein; in diesen Zimmern, deren vermaledeite Pekingtapeten ich geschont, mich geniert habe, meine Landkarten nicht aufzunageln! Den ganzen Tag