Gisela Rieger
Fahrplan ins Glück
Geschichten für die Lebensreise
Verlag am Eschbach
Das Geheimnis des Lebens
ist nur schwer zu lichten,
Du aber horche auf die Worte der Geschichten.
In Märchen und Sagen aus vergangenen Tagen
lässt sich Geheimstes besser sagen!
Nach Rumi
Geschichten für die Lebensreise
Seit jeher zerbrechen sich Menschen darüber die Köpfe, wie der Weg zum Glück zu finden ist.
Natürlich gibt es einen Fahrplan zum Glück – nur der sieht bei jedem Menschen anders aus.
Um den richtigen Fahrplan für sich zu entdecken, kann man sich ein paar Fragen stellen: Wohin soll meine persönliche Lebensreise gehen? Wann möchte ich am Ziel sein? Wem möchte ich begegnen? Wer soll mich begleiten? …
Aber ganz egal, an welchem Ausgangpunkt man sich befindet – die Freude und gute Laune sollte immer im Gepäck sein.
Diese Geschichten sollen auf der Lebensreise zum Glück begleiten. Sie können Fragen klären, Dinge zurechtrücken, zeigen, worauf es wirklich ankommt. Vielleicht können sie sogar helfen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, Grenzen zu überwinden, bei Bedarf auch mal dazu ermutigen, die Richtung zu ändern. Oder sie inspirieren dazu, an schönen Orten einfach zu verweilen.
Wer erkennt, dass das Glück auch im Miteinander liegen kann, dass geteiltes Glück doppeltes Glück bedeutet, kommt leichter erfolgreich ans Ziel.
Geschichten haben für mich auch eine ganz persönliche Bedeutung. Mein ganzes Leben haben sie mich begleitet und schon immer inspiriert. Ich weiß noch ganz genau, wie mir meine Mama Märchen vorgelesen und Geschichten erzählt hat. Ich konnte nie genug davon hören. Die „Erzähltradition“ habe ich bei meinen mittlerweile erwachsenen Töchter gerne angewandt; manches Mal, um längere Autofahrten zu überbrücken, oder um einfach auf aktuelle Alltagsthemen einzugehen. Ich habe damals schon festgestellt, dass meine Geschichten ihre Wirkung nicht verfehlten.
Denn Geschichten regen zum Nachdenken an. So entstehen ganz nebenbei wertvolle, eigene Erkenntnisse. Sie können die Perspektive verändern und einen Schlüssel für die Lebensreise in die Hand geben. Ebenso werden beim Lesen von Geschichten die eigenen Themen oftmals neu überdacht und gelöst.
Ich möchte Sie einladen, sich von meinen Geschichten berühren, bezaubern, motivieren und inspirieren zu lassen. Wer weiß, vielleicht finden Sie auf Ihrer Lebensreise, so zu Ihrem ganz persönlichen Weg zum Glück?
Ihre Gisela Rieger
Der blinde Bettler
Unweit eines Juwelierladens hatte sich vor einigen Wochen ein blinder Bettler seinen Platz gesucht.
Tagein und tagaus saß er dort auf dem Boden. Vor ihm stand ein Schild, auf dem Folgendes geschrieben war: „Ich bin blind, arm und hungrig! Bitte helfen Sie mir!“
Dem sehr geschäftstüchtigen Schmuckhändler war der Bettler ein großer Dorn im Auge, schließlich mussten die Kunden, um in seinen Laden zu gelangen, am Bettler vorbeigehen. Aber der Geschäftsmann hatte auch ein weiches Herz, und so brachte er es nicht über sich, den Bettler zu verjagen.
In einer Mittagspause tauschte der Juwelier das Schild des Bettlers gegen ein anderes aus, und ab diesem Zeitpunkt wurden unzählige Münzen in den Korb des armen Mannes gelegt.
Am Abend, nachdem der Geschäftsmann seinen Laden verriegelt hatte, ging er am blinden Bettler vorbei und fragte ihn, ob er mit seinem neuen Schild zufrieden sei.
„Guter Mann“, sprach der Bettler, „noch nie in meinem Leben habe ich annähernd so viel Geld an einem Nachmittag erhalten. Aber sag mir doch, was hast du nur auf das Schild geschrieben?“
Da lächelte der Juwelier und las ihm den Text des Schildes vor: „Es gibt so viele wundervolle Tage im Jahr, aber keinen einzigen davon kann ich mehr sehen!“
Betrachte einmal die Dinge von einer anderen Seite,
als du sie bisher sahst, denn das heißt,
ein neues Leben beginnen.
Marc Aurel
Herz aus Gold
Vor vielen Jahren gab es einen reichen Schmuckhändler, der sich sehnlichst einen Sohn als Nachfolger für seine Geschäfte wünschte. Seine Frau jedoch gebar ihm drei wunderschöne Töchter. Die Erstgeborene nannten die Eltern „Goldmädchen“, die Zweitgeborene wurde zum Silbermädchen. Bei der Geburt der dritten Tochter war die Enttäuschung des Vaters am größten, hatte er doch den langersehnten Stammhalter erwartet. Daher gestand der Vater nicht einmal mehr das Edelmetall Bronze als Namen zu. So wurde das Kind abwertend nur „Kupfermädchen“ genannt.
Als die drei Töchter ins heiratsfähige Alter kamen, traten viele reiche, stattliche und auch angesehene Männer an den Vater heran, und hielten um die Hand einer seiner Töchter an.
Doch nachdem ihm der eigene Stammhalter verwehrt geblieben war, setzte der Geschäftsmann nun all seinen Ehrgeiz daran, seine Töchter nur an die begehrtesten Männer des Landes zu verheiraten. So war dem Vater keiner der jungen Männer gut genug, und er erklärte seinen Töchtern, dass sie etwas Besseres verdient hätten.
Das Goldkind und das Silbermädchen wurden über die großen Reden ihres Vaters mit der Zeit sehr eitel, hochnäsig und übermütig. Ein erfolgreicher Kaufmann ohne große Dienerschar genügte nunmehr weder dem Vater noch den ältesten Töchtern, denn sie träumten auch nur noch von einem Prinzen – oder zumindest von einem reichen Fürsten, der sie zum Altar führen sollte.
Eines Tages stand das Goldmädchen am Brunnen, um Wasser zu schöpfen, da näherte sich ein alter abgemagerter Bettler in Lumpen gekleidet und sprach: „Schöne Jungfer, gebt mir zu essen und zu trinken, und ich werde euch als Dank zu einem Schatz und zu eurem Traumprinzen führen.“
Das eitle Mädchen rümpfte seine Nase und sprach, dass es durchaus bereit sei, den Bettler zu belohnen – allerdings erst, nachdem sie den Schatz und den Prinzen gesehen habe. Der Bettler führte sie also zu einer Höhle, in deren Mitte sich eine große Truhe befand, die prall gefüllt war mit Gold, daneben stand ein schöner Prinz in goldenen Gewändern. Da sprach der Bettler: „Nun habe ich dich zu deinem Schatz und zu deinem Prinzen geführt, so gib du mir auch meinen Lohn!“
„Scher dich zum Teufel“, schrie das Goldmädchen, denn es konnte seine Augen nicht mehr von dem Schatz und dem Prinzen lassen. Dann aber, bei jedem Schritt, mit dem der Bettler sich entfernte, lösten sich der Schatz und der Prinz immer mehr in Luft auf, bis beides verschwunden war.
Am nächsten Tag stand das Silbermädchen am Brunnen, um Wasser zu schöpfen, da näherte sich abermals ein abgemagerter Bettler in Lumpen gekleidet und sprach: „Schöne Jungfer, gebt mir zu essen und zu trinken, und ich werde euch als Dank zu einem Schatz und zu eurem Traumprinzen führen.“
Doch auch das Silbermädchen hielt es wie seine ältere Schwester: Erst solle der Bettler seinen Teil der Abmachung erfüllen, dann, so versprach die Schöne, würde sie ihn hinterher fürstlich belohnen.
Der Bettler führte sie also zu einer Höhle, in deren Mitte sich eine große Truhe befand, die prall gefüllt war mit Silber, daneben stand ein schöner Prinz in silbernen Gewändern. Da sprach der Bettler: „Nun habe ich dich zu deinem Schatz und zu deinem Prinzen geführt, so gib du mir auch meinen Lohn!“
„Scher dich zum Teufel“, schrie das Silbermädchen, denn es konnte seine Augen nicht mehr von dem Schatz und dem Prinzen lassen. Mit jedem Schritt, mit dem der Bettler sich entfernte, lösten sich der Schatz und der Prinz immer mehr in Luft auf, bis beides verschwunden war.
Am dritten Tag stand das Kupfermädchen am Brunnen, um Wasser zu schöpfen, da näherte sich abermals der abgemagerte Bettler in Lumpen gekleidet und sprach: „Schöne Jungfer