Der Mann, der seine Berufe ständig wechselte, in den meisten ziemlich versagte, hieß mit bürgerlichem Namen Hans Gustav Bötticher. Irgendwann gab er sich selbst einen neuen Namen: Joachim Ringelnatz. Der Name passt zu einem Ex-Matrosen, denn er bezieht sich wohl auf die von ihm heißgeliebten Seepferdchen, die von Seeleuten auch „Ringelnass“ genannt werden. Joachim ist hebräisch und bedeutet „Gott richtet auf“. Sein Pseudonym „schütze ihn wie eine Tarnkappe“, meinte Ringelnatz einmal. Vielleicht aber war es genau anders herum: Dieser selbstgewählte Name ist ein Bekenntnis zu seiner wahren Berufung als Künstler. Unter ihm wurde er berühmt und blieb bis heute sichtbar. Als Humorist und geistreicher Erfinder des Seemanns Kuttel Daddeldu, des männlichen Briefmarks oder des kleinen Zwiebelchens im rührendsten Kindergebetchen deutscher Sprache. Die Poesie war seine Berufung und recht spät sein Beruf. Aber alle seine anderen beruflichen Versuche hatten ihn eines gelehrt: „Überall ist Wunderland. Überall ist Leben.“
MK
9 | DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil es glückliche Fügungen gibt |
In unruhigen, angespannten Zeiten war es schon immer ein guter Rat, sich ein bisschen Entspannung zu verschaffen – etwa mit einem Spiel. Die sind heute häufig digital. Ich spiele gern Candy Crush, weltweit Nummer zwei bei den Smartphone-Games.
Candy Crush ist eine Mischung aus Glück und Geschicklichkeit, mit Tausenden von abwechslungsreichen Levels. Einige sind gemein schwer. Es will einfach nicht gelingen, sie zu lösen. Zum Glück gibt es Foren, in denen sich Spieler Tipps geben. Oder fragen: Ist dieses verflixte Level überhaupt lösbar? Viele sind wütend, sehen eine Verschwörung: Das ist Absicht! Der Hersteller will uns damit zwingen, dass wir zusätzliche Joker kaufen! Statt Entspannung erleben sie Stress. Spieler drohen: Mir reicht‘s! Ich steige aus! Ich war auch ein paar Mal so weit.
Aber dann las ich, wie ein Mitspieler schrieb: Ich warte auf mein lucky board. Denn das Spielfeld verändert sich nach jedem Versuch, und irgendwann ist eins dabei, das aufgeht – und einem Glück bringt.
Diese kleine Idee war für mich eine Lektion fürs Leben. Wir leben in Umbruchzeiten, da ändern sich die Verhältnisse ständig. Ja, sagen viele, und zwar immer zum Schlechteren! Nein, sage ich, irgendwann wird ein lucky board dabei sein. Ich glaube nicht, dass das Leben ein abgekartetes Spiel ist. Dass auf fatale Weise alles vorherbestimmt ist. Nein, ich denke, die Lebendigkeit des Lebens zeigt sich auch darin, dass es immer wieder Spielräume für glückliche Fügungen schafft. Das sorgt für Gelassenheit im Kleinen, aber auch im Großen.
WTK
10 | DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir im Herzen Platz für Freunde haben |
Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben? Als weitherzigen Menschen oder eher kleinlich und engherzig? Ein enges Herz haben, ist etwas sehr Trauriges, weil dann in unserem Inneren ein Gefühl der Armut vorherrscht. Wo aber so wenig zu sein scheint, können wir niemanden in das Innerste unseres Herzens eindringen lassen. Es reicht ja kaum für uns selbst. Und so verschließen wir uns vor anderen. Sogar vor unseren guten Freunden.
Die alten Ägypter nannten einen guten Freund „Akib“. Übersetzt heißt das: „Derjenige, der eindringt in das Innerste meines Herzens.“ Wer sein innerstes Herz einem Freund, dem Akib, öffnet, bekommt ein „breites Herz“. Was für die alten Ägypter nichts anderes bedeutete als „Freude und großes Glück“. Bis heute spielt der Akib und das Geschenk der Freundschaft eine große Rolle im Orient. Der Wert der Freundschaft wird so hoch eingeschätzt, dass man auch Gott selbst Akib, guter Freund, nennt. Er dringt ein in das Innerste meines Herzens und macht es groß für die Freude und das Glück.
Eine innige, treue Freundschaft dehnt und weitet also das Herz. Je breiter, weiter und offener unser Herz wird, desto mehr Liebe, Freude und Glück kann es fassen, fühlen und weitergeben. Die Freundschaft hat ihm geholfen, zu seiner eigentlichen Bestimmung zu finden.
MK
11 | DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil Neugier uns weiterbringt |
Sein Vater hatte eine elektrotechnische Fabrik in München. 1886 erhielt sie den Auftrag, erstmals das Oktoberfest elektrisch zu beleuchten. Die Zeitung schwärmte, wie „der milde und doch so intensive Glanz der elektrischen Bogenlampen ein märchenhaftes Licht über dem von Tausenden belebten Festplatz ausgießt“.
Auch der Sohn des Fabrikanten war fasziniert von dem Phänomen: Wie wäre es, wenn man dem Licht nachlaufen könnte? Würde es je gelingen, sich so schnell zu bewegen, dass man auf einem Lichtstrahl reiten könnte? Fast 20 Jahre dachte der Junge darüber nach, dann hatte er die Antwort. Im Sommer 1905 schickte er zwei Aufsätze dazu an die damals angesehenste Fachzeitschrift, die „Annalen der Physik“.
Diese beiden Arbeiten des Patentamtsangestellten Albert Einstein veränderten die Welt. Begonnen hat die berühmte Relativitätstheorie mit einer interessierten, aber eigentlich einfachen Frage. Und einer intensiven Vorstellungskraft. „Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig“, schrieb Einstein später einem Freund. Phantasie fand er immer wichtiger als Wissen. Er nannte seinen Forscherdrang auch „eine ständige Flucht vor dem Staunen“: sich nicht zufrieden geben mit dem stillen Bewundern des Unerklärbaren, sondern neugierig nach Erklärungen suchen. Die schönste Gabe der Natur sei die Freude am Schauen und Begreifen.
Bei aller Forscherlust aber war er zugleich begeistert vom Geheimnisvollen, vor dem sich der Mensch „in Ehrfurcht verlieren“ kann. Das wäre doch einen Versuch wert: Kann ich mich wieder wie der neunjährige Albert begeistern über das märchenhafte Licht der elektrischen Lampen in meiner Straße?
WTK
12 | DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil die Stille so still ist |
Stille ist ein seltsames Phänomen. Obwohl wir sie gerne beschwören und uns nach ihr sehnen, vermeiden wir sie gewöhnlich so sehr, dass man meinen könnte, wir hätten vor nichts mehr Angst als vor der Stille. „Es ist still um ihn geworden“ ist bei Prominenten eine freundliche Umschreibung von „der ist völlig out“. Ein Satz wie „Die ist immer so still“ steht oft für „von der kommt doch nie was“. Es scheint, wir kennen von der Stille nur die Schattenseite und wüssten zu wenig von der heilsamen Kraft der Stille, wie sie der dänische Philosoph Sören Kierkegaard im Blick hatte: „Wenn ich Arzt wäre und mich jemand fragte: Was meinst du wohl, was getan werden sollte? – Ich würde antworten: Das Erste, die unbedingte Bedingung dafür, dass überhaupt etwas getan werden kann, also das Erste, was geschehen muss, ist: Schaff Schweigen, hilf anderen zum Schweigen!“
Das heilsame Schweigen ist freiwillig, nicht erzwungen. Es ist eine klare Stille, die aus dem Innehalten kommt. Eine gelassene Stille, die uns zum Wesentlichen führt und dort nährt.
Von dieser heilsamen Stille, die aus dem Schweigen kommt, erzählt eine alte