Die Gläubigen und insbesondere der Priester Pierre de Leone wettern gegen diese Ansicht, mit dem Argument: »Wohin soll das führen? Warum können Geist und Seele dann nicht auch in der 2., 3. oder tausendsten Kopie fortleben?« Als aber de Leone mit 91 Jahren im Sterben liegt, offenbart ihm die dann waltende Päpstin Maria I. ihre perfide Absicht: Sein Geist solle auf den vatikanischen Computer heruntergeladen werden, während seine Seele, die ja nach seiner Überzeugung nicht auf dem Chip fortleben wird, in das Feuer der ewigen Verdammnis eingehen soll. Sie erwarte dann seinen weisen Rat von der Anderen Seite. Das Ende der noch perfider werdenden SF-Geschichte sollten Sie selbst lesen und tut nichts mehr zu meiner Frage, die da lautet: Könnte der Geist eines Menschen tatsächlich auf einem Silizium-Chip heruntergeladen werden?
WAS IST GEIST?
Nach guter wissenschaftlicher Praxis gilt es zunächst, Begriffe zu klären. Was ist »Geist«? Im allgemeinen Sprachgebrauch, dem wir uns hier anschließen, ist dies die Wahrnehmung, also Bewusstsein (Wahrnehmung der Umwelt über die Sinne) einschließlich Selbstbewusstsein (Wahrnehmung des eigenen Ich), Lernen, Erinnerung, Vorstellung, Fantasieren und überhaupt sämtliche Formen des Denkens. Wir wissen heute durch die Neurobiologie, dass dieses geistige Vermögen ausschließlich durch die Aktivitäten unserer etwa 100 Milliarden Gehirnneuronen gewonnen wird. Durch viele Fälle von Gehirnverletzungen wissen wir sogar, welche Gehirnregionen vorwiegend welche geistigen Tätigkeiten durchführen (Erinnerung etwa wird durch den Hippocampus gesteuert, Emotionen durch die Amygdala). Wir können sie sogar durch Psychopharmaka beeinflussen. Das bedeutet, unser Geist funktioniert als neuronales Netz sowohl neuroelektrisch als auch neurochemisch in einer Art Bit Code, dem sogenannten Aktionspotential.
KÜNSTLICHE NEURONALE NETZWERKE
Neuronale Netze lassen sich auch aus künstlichen Neuronen herstellen, sogenannte künstliche neuronale Netzwerke, KNNs. Bisher konnten wegen der heute möglichen Technik jedoch nur kleinere Netzwerke simuliert werden. Irgendwann wird es daher KNNs mit 100 Milliarden Neuronen geben. Dies ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern vielmehr: Wie bekomme ich die Informationen, die in der konkreten Vernetzung menschlicher Gehirnneuronen gespeichert sind, abgelesen? Dazu müsste man, wie im Buch von Nahin angenommen, das Gehirn auf neuronaler Ebene dreidimensional scannen können. Das ist heute nicht möglich. Noch nicht. Doch nichts spricht dagegen, dass das einmal möglich sein wird, zum Beispiel durch hochauflösendes MRT in Kombination mit PET. Doch um technische Details geht es mir hier nicht, sondern darum, dass es prinzipiell möglich wäre. Daher wäre es auch prinzipiell möglich, den Geist eines Menschen einschließlich seines Bewusstseins und Selbstbewusstseins auf einen wie auch immer gearteten, aber identisch verschalteten Informationsspeicher abzubilden. Damit wären Nahins »Nachfolge-Objekte auf der Anderen Seite« keine irreale Fiktion, sondern durchaus möglich. Würden darüber hinaus künstliche Sinnesorgane für so einen geistigen Download den Input liefern und der geistige Output in Aktuatoren, wie etwa künstliche Arme und Beine, umsetzbar sein – und auch dem steht selbst nach heutigem Stand der Technik nichts im Wege –, dann könnte man wohl mit Fug und Recht von einer Reinkarnation der ursprünglichen Person in anderer Form reden.
SIND KLONE UNS EBENBÜRTIG?
Um klarzumachen, was dies bedeutet, stellen Sie sich vor, Ihr Geist würde derart kopiert. Diese Kopie würde genauso empfinden und denken wie Sie. Sie hätte dieselbe Erinnerung an die Vergangenheit und dieselben Emotionen wie Sie. Sie wäre aber nicht Sie! Ihre Kopie wäre ein eigenständiges Individuum. Genauso wie zwei eineiige Zwillinge eigenständige Individuen sind, trotz identischer Gene. Sie wüssten also lediglich, dass Ihre Kopie gleiches Denken und Gefühle hat, aber als anderes Individuum eigenes und mit der Zeit anderes Bewusstsein und vor allem anderes Selbstbewusstsein. Genetische Identität sagt überhaupt nichts über Individualität und Selbstbewusstsein. Außerdem macht es uns die Natur mit eineiigen Zwillingen vor.
Eine ganz andere, nämlich ethische Frage ist, ob der Mensch über seine technische Fähigkeit hinaus andere Menschen klonen darf. Ich persönlich halte menschliche Klone wegen der gewährleisteten Individualität und des Selbstbewusstseins prinzipiell nicht für verwerflich. Aus kulturhistorischen Gründen befürworte ich es trotzdem nicht.
Was aber spricht ethisch dagegen, wenn sich ein Mensch selbst klont? Beim biologischen Klonen könnte man noch Bedenken haben. Aber was spräche wirklich gegen Klonen durch Download? Und wer könnte das kontrollieren? Ein Mausklick, und schon ist es passiert! Ist erst einmal das menschliche neuronale Netzwerk gescannt – die mit Abstand aufwendigste Arbeit –, sind ruckzuck innerhalb von Minuten beliebig viele Downloads möglich. Welche gesellschaftlichen Rechte hätten die digitalen Klone? Müsste man ihnen nicht dieselben Bürgerrechte zugestehen wie den biologischen Originalen? Alles andere wäre doch nur Kohlenstoff-Chauvinismus. Oder?
KLONE MIT ODER OHNE SEELE?
Ob solche »Nachfolge-Objekte auf der Anderen Seite« eine Seele hätten, ist eine noch ganz andere Frage. Auch hier müsste man erst einmal den Begriff »Seele« klären. Ich vermute, dabei gäbe es Probleme, nicht nur weil der Begriff »Seele« sehr vage ist, wie Sie aus meinen beiden vorhergehenden Artikeln wissen, sondern vor allem weil vorab zu klären wäre, ob es die Seele überhaupt gibt. Diejenigen Leser, die wohl wie die meisten von uns der Meinung sind, es gäbe zwar eine Seele, die aber beim Download nicht mitkopiert würde, empfehle ich in Anlehnung an Päpstin Maria I., folgende Situation zu erwägen: Jemand begeht zunächst einen grausamen Mord. Danach begeht er Selbstmord und lädt sich im selben Augenblick ohne Seele auf einen Chip herunter, um von der Anderen Seite zu erfahren, wie seine Seele im Feuer ewiger Verdammnis gequält wird.
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