In der Schule, in der Therapie und Zuhause können wir andere (und uns selbst) darin bestärken, den Input des Körpers wertzuschätzen. Wenn wir erkennen, dass unser Körper eine wichtige Quelle der Intuition* ist, verstehen wir, dass unsere Gliedmaßen und unser Rumpf tiefe Quellen des Wissens für unser Leben bereithalten. In der Umgebung des Herzens und der inneren Organe gibt es beispielsweise weitverzweigte neuronale Netzwerke, die zur komplexen Informationsverarbeitung* dienen. Diese Netzwerke gleichen Spinnenweben, sie umgeben die Organe des Körpers. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir sagen können: „Mein Herz fühlt …“ und „Mein Bauchgefühl sagt …“ Das ist unser „Herz-Gehirn“ und unser „Bauch-Gehirn“.
Wenn wir einen Prozess der Einkehrzeit* nutzen und innerlich reflektieren, schaffen wir neuronale Aktivierungen, die möglicherweise den Kern der interozeptiven Zustände ausmachen, die für emotionale und soziale Intelligenz so wichtig sind. In den verschiedenen Reflexionsprozessen der Übungen des achtsamen Gewahrseins* kann ein Körper-Scan dafür sorgen, dass der Fluss von Daten durch die Lamina I und den Vagusnerv in die Insula* gefördert wird. Dieser Input wird dann mit der Funktion des vorderen cingulären Cortex* verbunden, um Interozeption zu unterstützen. Die daraus resultierende mittlere präfrontale Aktivierung wirkt möglicherweise als eine wichtige Form der vertikalen Integration*, durch die der Energie- und Informationsfluss aus dem Körper den Cortex erreichen kann, um dort mit bewusstem Gewahrsein koordiniert, ausgeglichen und untersucht zu werden.
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Hirnstamm
Worum geht es?
Der Hirnstamm* wird manchmal auch als „Reptilienhirn“ bezeichnet und befindet sich am Schädelboden. Der Hirnstamm – oder das Stammhirn – enthält eine Sammlung von Neuronen*, die dabei helfen, grundlegende Körperfunktionen wie den Herzschlag und die Atmung zu überwachen und zu modifizieren. Der Hirnstamm beeinflusst auch unsere Zustände* der Erregung* – wenn wir also wach oder müde sind oder schlafen. Das retikuläre Aktivierungssystem im Hirnstamm spielt eine wichtige Rolle bei dieser Formung unserer Erregungszustände. Hinter ihm liegt das Cerebellum – das Kleinhirn –, ein Teil unseres „alten Gehirns“, der nicht nur die körperliche Bewegung und das Gleichgewicht koordiniert, sondern auch unsere höheren Funktionen. In diesem Bereich sind auch Zellen lokalisiert, die für die Vermittlung der Reaktionen auf Gefahr zuständig sind. Dies sind die Kampf, Flucht oder Erstarrung-Reaktionen, die ausgelöst werden, wenn wir eine drohende Gefahr wahrnehmen. Der Hirnstamm arbeitet mit dem limbischen* Bereich direkt über ihm zusammen, um unsere Motivationsantriebe und emotionalen* Zustände zu beeinflussen.
Implikationen: Was bedeutet der Hirnstamm für unser Leben?
Das Wissen über den Hirnstamm kann unsere Einsichten* in die „Antriebe“ unseres Verhaltens sehr erweitern. Menschen können von den basalen Zuständen, die vom Hirnstamm ausgehen, überwältigt werden: mit anderen kämpfen, vor Herausforderungen fliehen oder in einem Zustand der Hoffnungslosigkeit erstarren. Manchmal ist das Gefühl von Hilflosigkeit angesichts einer Bedrohungen so groß, dass wir nicht in die reaktiven Zustände von Kampf, Flucht oder Erstarrung gelangen, sondern stattdessen automatisch einer alten Strategie der Immobilisation als Verteidigungsreaktion folgen, die uns dazu bringt, uns zu verschließen, bewusstlos zu werden oder uns gar tot zu stellen. Das kann man als ein „dorsales Abfallen“ bezeichnen, wobei der rückseitige oder dorsale Zweig des Vagusnervs, ein Teil dieses älteren reaktiven Systems*, das Stephen Porges in der Polyvagal-Theorie beschreibt, aktiviert wird. Dadurch sinkt der Blutdruck, der Herzschlag verlangsamt sich und wir können das Bewusstsein verlieren. Dies ist möglicherweise ein evolutionärer Vorteil zum Überleben gewesen, weil Raubtiere in der Regel keine toten Tiere fressen (und wenn wir ohnmächtig werden, scheinen wir wie tot, deshalb werden wir nicht gefressen). Auch wenn wir nach einem Angriff bluten, ist es hilfreich, ohnmächtig zu werden und auf den Boden fallen, weil dadurch nach einer schweren Verletzung der Blutfluss zum Kopf weiterhin gewährleistet wird. Diese alte wirkungsvolle Reaktion der Bewegungslosigkeit und Erstarrung kann ausgelöst werden, wenn wir uns hilflos fühlen; das Gefühl, dass es keinen Ausweg und keine Fluchtmöglichkeit gibt, lässt uns buchstäblich hilflos werden und erstarren.
Solange sie nichts über diesen Bereich des Gehirns* wissen, gehen einige Menschen sehr hart mit sich selbst ins Gericht. Nach dem Erstarren, dem Weglaufen oder dem Kämpfen als schnelle Impulse in Reaktion auf etwas, das als Bedrohung wahrgenommen wurde, fragen sie sich verblüfft, was sich in unserem Verhalten oder inneren Reaktionen gerade abgespielt hat. „Warum habe ich das getan – was stimmt nicht mit mir?“ Wenn wir etwas über diese inneren verkörperten* Mechanismen des Energie- und Informationsflusses* wissen, können wir freundlicher mit uns selbst umgehen und tiefere Einsichten in die Ursprünge unserer Antworten und Reaktionen finden. Dadurch werden wir mitfühlender* mit uns selbst, statt grob und kritisch zu sein. Das ist eine der erstaunlichsten und kraftvollsten Implikationen der Interpersonellen Neurobiologie*: Das Wissen über das Gehirn verstärkt unser Selbstmitgefühl.
Wenn wir das Handmodell des Gehirns* nutzen, um den Hirnstamm buchstäblich in der Handfläche zu sehen, können wir verstehen, dass diese tiefe und alte Region allem, was unser Gehirn tut, „zugrunde liegt“. Wenn wir wissen, dass wir mit einem Reptilienhirn leben, das tief im neueren menschlichen Gehirn verborgen ist, verstehen wir viele unserer ansonsten unerklärlichen inneren Erfahrungen und äußeren Verhaltensweisen. Das Kämpfen, um sich zu wehren, wenn wir aus einem Autopilot-Modus* heraus reagieren, können wir nun so erklären, dass der Hirnstamm sich von der Kontrolle durch den Cortex befreit. Wenn wir den Impuls zur Flucht empfinden, sobald wir mit einer Herausforderung konfrontiert sind, verstehen wir das als den Ausdruck unseres alten Überlebensinstinkts. So eine Reaktion bedeutet nicht, dass wir uns notwendigerweise aus einer Situation zurückziehen sollten – obwohl es unter Umständen natürlich ratsam sein kann. Wir können aus einer offenen und neugierigen Haltung untersuchen, was geschieht und was wir tun sollten. Das ist das Gegenteil von Handeln im Autopilot-Modus, das Gegenteil davon, „achtlos“ und ein Sklave der Reaktivität unseres Gehirns zu sein. Und für diejenigen, die das Gefühl vollkommener Hilflosigkeit sogar schon dann erfahren, wenn sie in einem Film Blut sehen, kann das Wissen um die Reaktion der Bewegungslosigkeit, die im Hirnstamm ihren Ursprung hat, Verwirrung in Klarheit verwandeln. Der Cortex* ermöglicht es uns, dass wir über diese subkortikalen* Prozesse* reflektieren können. Das gibt uns die Gelegenheit, mit Gewahrsein* Entscheidungen zu treffen und Veränderungen anzustoßen. Wir müssen nicht das tun, wozu uns das Gehirn in einem bestimmten Moment drängt, sondern wir können einen Mechanismus der kortikalen Kontrolle nutzen, um subkortikale Prozesse in ihren Aktivitäten zunehmen und abnehmen zu lassen. Wir lassen sie einfach im Gewahrsein kommen und gehen, aber folgen nicht ihren Anweisungen. Das ist die Kraft des Geistes*, mit der wir verändern können, wie das Gehirn unser Leben bestimmt.
In der Interpersonellen Neurobiologie umfassen wir sowohl die verkörperte als auch die soziale Essenz des Geistes. Weil bei unserem Ansatz die Integration* im Zentrum von Gesundheit* steht, müssen wir diese differenzierten* Bereiche kennen, um sie miteinander zu verknüpfen*. Gewahrsein eröffnet uns Entscheidungsoptionen. Indem wir die inneren Muster der neuronalen Aktivierung akzeptieren, können wir sie klarer sehen und in der Folge den Energie- und Informationsfluss mittels unserer Absicht* und fokussierter Aufmerksamkeit* bewegen, um diese Muster zu verändern. So lässt sich das Gewahrsein nutzen, um den Autopilot-Modus* zu verlassen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem erwachten