Beten ist der Weg, diese Illusion zu entlarven, und in sich selber ein direktes Tor in das, was ein weiterer meiner geschätzten Sufi-Mentoren, Kabir Helminski, „das große elektromagnetische Feld der Liebe“ nennt. Wir finden in den Lehren der Ostkirche über das Herzensgebet und in der grundlegenden Sufi-Praktik des Dhikr, der ekstatischen Hingabe, die aus der voll verkörperten Rezitation der Namen Gottes entsteht, einen gemeinsamen Pfad des Betens, der Selbstbezogenheit und Ego-Drama überwindet und uns schließlich in die blaue Flamme reiner Selbstvergessenheit katapultiert, wo wir wie durch ein Wunder nicht zerstört, sondern vielmehr in die wahre Persönlichkeit hineingeboren werden. Llewellyn Vaughan-Lee webt mit der zurückhaltenden Einfachheit eines wahren spirituellen Lehrers diese komplementären Traditionen nahtlos zu einer einzigen Tapisserie von beispielloser Kraft und Schönheit zusammen. Achten Sie besonders darauf, was er über den Atem sagt. Wenn Sie diese Dinge genauso erstaunlich finden wie ich, werden Sie wieder einmal erahnen, welche Gaben der Sufismus einem Christentum anbieten könnte, das darum ringt, das alte Verständnis von der zentralen Rolle der Verkörperung im Beten wieder zu beleben. Eine neue Würdigung der Verkörperung, speziell durch den Atem, die bisher fehlende Verbindung, könnte uns von diesen zähen Diskussionen erlösen, ob Beten (verstanden als mit Worten geäußerte Bitte) „hilft“, und uns stattdessen in den dynamischen Grund jenes „großen elektromagnetischen Feldes“ eintauchen lassen, wo unser Fehlen bemerkt und schmerzlich bedauert wird.
Ich habe diese einführenden Bemerkungen mit Mertons tief bewegender Vision begonnen: „Wir würden diese Milliarden Lichtpunkte im Antlitz und Glanz einer Sonne zusammenkommen sehen, die alle Dunkelheit und Grausamkeit des Lebens vollständig verschwinden ließe.“ Es erstaunt nicht, dass Llewellyn Vaughan-Lee ein fast identisches Bild in einem seiner frühen Bücher Der Liebesbund (1993) benutzt, wurden sie wohl beide vom selben Sufi-Strom gespeist. Der folgende Absatz auf den Seiten 37f., in meiner zerlesenen Ausgabe unterstrichen und angekreuzt, gab den ersten Funken für meine Verbindung mit dem Sufismus und belebte in mir eine fast vergessene innere Überzeugung, dass Beten absolut wirklich und absolut notwendig ist, und zwar nicht nur für die persönliche Heilung und die „Selbstverwirklichung“, sondern für das Leben an sich auf diesem Planeten.
„Wenn wir still an uns selbst arbeiten, wird die Energie unserer Hingabe zu einem Lichtpunkt in der Welt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird eine Landkarte entfaltet, die aus den Lichtpunkten der Liebenden Gottes gestaltet ist. Sie dient dazu, die innere Energiestruktur des Planeten zu verändern. In früheren Jahrhunderten wurde diese Energiestruktur durch heilige Orte, Steinkreise, Tempel und Kathedralen gehalten. Auf der nächsten Stufe unserer kollektiven Evolution sind es die Herzen der Individuen, welche die kosmische Note des Planeten halten. Diese Note lässt sich als Lied der Freude, die im Herzen der Suchenden geboren wird, wahrnehmen. Sie ist eine Qualität der Freude, die der Welt zugeführt wird. Sie klingt mit im Herzschlag der Welt und muss in unseren Städten und Dörfern gehört werden.“
Mit diesem neuesten Buch schenkt uns Llewellyn Vaughan-Lee einen weiteren grundlegenden Beitrag zur „kollektiven Evolution unserer Herzen“, und wie sehr freue ich mich, ihn empfangen zu dürfen.
Cynthia Bourgeault, Reverend
Eagle Island, Maine USA
September 2011
EINFÜHRUNG
Im Zentrum der meisten Religionen steht das Beten, ein Weg, sich mit Gott zu verbinden. Das kann in Form von festgelegten Gebeten, den Ritualen innerer Kommunion stattfinden. Doch es kann auch in Form des persönlichen Gebets geschehen, bei dem wir unsere eigene Weise suchen, mit Gott zu sein, mit dem Göttlichen, das die Quelle von allem ist.3 Und für den Mystiker ist die innigste Form des persönlichen Gebets das Herzensgebet, bei dem wir ins Innere unseres Herzens geholt werden, wo wir mit unserem Geliebten allein sein können. Hier schreit unser Herz nach Gott, und hier ruhen wir auch in der Stille – wartend, lauschend, uns in der Liebe auflösend. Das Herzensgebet lässt sich sowohl in der christlichen mystischen Tradition wie auch in der mystischen Tradition der Sufis finden.
Dieses kleine Buch basiert auf meinen eigenen Erfahrungen mit dem Herzensgebet im Verlauf meiner fast vierzigjährigen Reise auf dem Sufi-Pfad der Liebe. Mein Wissen über dieses innere Gebet innerhalb der christlichen mystischen Tradition stammt hauptsächlich aus den Schriften der hl. Teresa von Avila. In Die innere Burg und in ihrer Autobiographie Das Buch meines Lebens beschreibt die hl. Teresa ihre tiefen Erfahrungen durch das mystische Gebet. Trotz der Schwierigkeiten, sich unter den wachsamen Augen der Inquisition mystischen Praktiken zu widmen, wurde sie über die mentale Wiederholung der festgelegten Gebete hinaus in die Stille des Herzensgebets genommen, in dem sie ihre eigene mystische Kommunion mit dem Göttlichen erfuhr. In Die innere Burg beschreibt sie sieben verschiedene „Wohnungen der Seele“ und wie das Fortschreiten durch Gebet und innere Übung uns zu dem innersten Ort der mystischen Hochzeit der Seele mit Gott führt. In Das Buch meines Lebens gibt sie einen Überblick über verschiedene Stufen des Betens, die der immer tiefer werdenden Beziehung zum Göttlichen entsprechen.
Die Leidenschaft und Intensität des inneren Lebens der hl. Teresa im Gebet sind für mich immer eine Quelle tiefer Freude gewesen, fand ich doch in der christlichen mystischen Tradition eine Beschreibung des mystischen Betens, die so sehr mit meiner Erfahrung innerhalb der Sufi-Tradition übereinstimmte. Sie schildert, wie sie im Gebet auf Weisen ergriffen und aufgelöst wurde, mit dem göttlichen Mysterium im Herzen verschmolz, die von der einzigen Quelle zeugen, zu der alle Mystiker hingezogen werden. Und wenn sich auch die klösterliche Tradition, der die hl. Teresa angehörte, äußerlich so sehr vom Sufi-Pfad unterscheidet, der mitten in der Welt, in Familie und Beruf und all unseren anderen Aktivitäten gelebt wird, ist ihre Mystik doch sehr praktisch, was ihre ekstatischen Zustände ausglich. Für sie „lebt Gott inmitten der Kochtöpfe und Pfannen“4, und ihre Bodenständigkeit schwingt in ihrem Ausspruch mit: „Wenn gebetet wird, dann betet, wenn Haferbrei gegessen wird, dann esst Haferbrei.“5 Obwohl die hl. Teresa ständig auf ihren Mangel an Bildung verweist, beschreibt sie klug und detailliert und zugleich passioniert die einzelnen Stufen des Betens. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus führt sie uns durch die sich vertiefende stille Kommunion mit dem Göttlichen, das uns schließlich mit seiner Gegenwart überwältigt, schildert, wie die empfängliche Seele von Ekstase ergriffen wird und in der Vereinigung verschmilzt. Als ich ihre Erfahrungen las, war ich so berührt zu entdecken, wie sie mit den Sufi-Stufen der immer stärker werdenden Absorption im Herzen übereinstimmen, die uns zum Einssein mit unserem Geliebten führen.
Auf beiden Pfaden finden wir das schlichte Gebet des Herzens, bei dem der Praktizierende den Verstand mit seinen Gedanken hinter sich lässt. Anstatt uns in irgendeinen aktiven Prozess des Gebets oder der Meditation zu begeben, gehen wir einfach nur ins Herz, in dieses spirituelle Zentrum unseres Seins. Mit den Worten des hl. Theophan, des Klausners:
„Die Sammlung
Auf die Wachsamkeit im Herzen –
Das ist der Ausgangspunkt des Betens.“ 6
Wie das physische Herz das Zentrum unseres stofflichen Körpers ist, so ist das spirituelle Herz das Zentrum unseres spirituellen Körpers und Organ unseres göttlichen Bewusstseins. In diesem Herzen können wir eine unmittelbare Beziehung mit Gott haben. Hier vollzieht sich die göttliche Kommunion, hier geschieht es, dass wir unseren Geliebten treffen. Der französische Benediktiner, Henri Lassaux, beschreibt in seinem Buch über das Beten wunderschön diese Qualität des Herzens: „Das Herz ist der Ort unseres Ursprungs, an dem die Seele