Wie ich richtig geahnt hatte, liebte Großvater Straehler meinen Vater nicht, und dieser, zurückhaltend von Natur, brauchte sich keine Mühe zu geben, gegenüber dem Schwiegervater den gleichen Mangel zu beschönigen. Und doch hatte mein Vater ein warmes Herz, was sich nicht nur uns Kindern gegenüber hie und da offenbarte, sondern vielfach an seinen Halbgeschwistern und neuerlich noch an Freunden erwies.
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Seinen Freund Beninde, den er mit einem gewissen Enthusiasmus liebte, hatte er sich als Kurhausdirektor herangeholt, als er dieses Hotel durch Vermittlung des Schwiegervaters vom Fürsten gepachtet hatte. Von diesem Onkel Beninde, wie wir Kinder ihn nannten, mag hier kurz die Rede sein.
Es war tiefer Winter, als ich kleiner Junge unvermittelt Beninde in einem Zimmer des Kurhauses gegenüberstand. Das Hotel war geschlossen und bis auf die Zimmer Benindes unbewohnt. Wer diese aufräumte und seine Verpflegung in der Hand hatte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich einen schönen und vornehmen Mann wie ihn und Wohnräume wie die seinen nicht gekannt hatte. Vor allem aber setzte mich seine Beschäftigung in Verwunderung, da sie mir mit einem solchen Kavalier unvereinbar schien. Er stichelte nämlich an einer Stickerei, die mit schönen Farben und Bildern, soweit sie vollendet war, seine Knie bedeckend zur Erde fiel.
Die warmen Räume aber und zunächst der, in dem er saß, wurden von mir sofort in ihrer wohligen Eigenart und als Neuheit gefühlt. Der eigensinnig-feine Geschmack eines künstlerisch begabten und verwöhnten Junggesellen hatte sie eingerichtet. Den Boden bedeckten Teppiche, ausgesuchte orientalische Stücke, wie ich später erfuhr. Das Meublement vor den mit weinroten Brokaten verkleideten Wänden, Spiegel, Vitrinen, Tisch und Fauteuils, hatte ein Sammler und Kenner zusammengestimmt. Ich spürte genau, dass bei dem allem eine mir neue Fähigkeit im Spiele war und der Ausdruck besonderer Ansprüche.
Da er Carls und meine Gesellschaft in seiner von ihm bevorzugten, fast völligen Zurückgezogenheit gelegentlich nicht als störend zu empfinden schien und sich manchmal mit uns befasste, verdanken wir ihm allerlei Spielwerk, das, weil er es selbst ersann und auch herstellte, mit dem sonst üblichen nicht vergleichbar war. So schnitzte er uns einen Fitschepfeil, den wir mittels einer Art Peitsche in unendliche Höhe schießen konnten. Er fertigte kunstgerechte Wurfspieße, die einem Polynesier Ehre gemacht hätten. Und immer wieder von Zeit zu Zeit beschenkte uns unter dem Wohlklang seiner weichen, gutturalen Stimme des schönen Einsiedlers kunstreiche Hand.
Onkel Beninde schwand, wie er auftauchte. Der immerhin wohl kleine Sommerhotelbetrieb bedeutete für einen Mann seines Schlages keinen genügenden Wirkungskreis. Er wurde später bei dem großen Borsig Privatsekretär und ist es bis an sein Ende gewesen.
Die Vorstellung Benindes ist für mich mit den nackten, wintersturmbewegten Bäumen auf den Promenaden verknüpft, auf die man durch seine Fenster blickte. Seine Zimmer waren gleichsam der stille Sieg über Öde und Schnee. So ist mir dies Nest intimen Daseins, intimer Kunst eine Erinnerung.
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Eines Tages wurde ein zweiter Onkel Gustav, der Halbbruder meines Vaters, unser Hausgenosse. Die Namen Gustav und Adolf, die wohl auf Gustav Adolf, König von Schweden, zurückgehen, waren damals unter den Protestanten besonders beliebt. Der neue Onkel – er zählte wohl schon über dreißig Jahr – wurde von seinem Bruder, meinem Vater, wie ein Angestellter behandelt, also mehr sachlich als brüderlich. Unser, der Kinder, Herzen flogen ihm zu.
Es hatte sich die Ansicht verbreitet, dass er ein schwacher Charakter sei. Seine Einstellung in den Hotelbetrieb war wiederum ein Versuch, ihn zu einem brauchbaren Menschen zu machen. Er war dicklich und trug sich gern in karierten Wollstoffen. Sein Auge, glaub’ ich, war etwas fad. Rötliche Brauen und rötliches Haar machten ihn Onkel Gustav Schubert ähnlich, trotzdem eine Blutsverwandtschaft nicht bestand.
Unser Gustav war ein Stotterer. Seine Schwäche, die wir Kinder ihm mit Liebe vergalten, war unüberwindliche Gutmütigkeit. So konnte er seinerseits als Vizewirt und Personalchef sich nur schwer in Respekt setzen. Uns Kindern etwas abzuschlagen, was wir sehnlich begehrten, vermochte er nicht. Fünf Silbergroschen, zehn Silbergroschen, die er von ihm erhalten hatte, zeigte mir Carl aller Augenblicke.
Unser Vater war ihm weit mehr als irgendjemandem im Hotel Achtungsperson. Man kann wohl sagen, er fürchtete ihn und ging, wo er konnte, ihm aus dem Weg.
Er führte die Bücher, hatte die Lohnauszahlung und den Keller unter sich, ging gelegentlich mit dem Vater auf Jagd oder fuhr mit ihm, wohl auch allein, nach der Kreisstadt Waldenburg, um einzukaufen oder Lieferungsabkommen für den Gasthof zu treffen.
Dass er gern in den kleinen Bierstuben allzu seßhaft war, trug ihm Rüffel und manchmal die heftigsten Vorwürfe meines Vaters ein, der gelegentlich drohte, ihn vor die Tür zu setzen, wie es hieß, und sich nicht mehr um ihn zu kümmern.
Mein Vater liebte seinen Halbbruder und hatte sich löblicherweise in den Kopf gesetzt, ihn aus der Gefahrenzone des Verlodderns herauszureißen.
Eines Tages drückte mir Onkel Gustav, der mich Framper nannte, ein Fünfgroschenstück in die Hand, eine Summe, wie ich sie nie besessen hatte. Ich war völlig berauscht, als ich sie plötzlich in der Hand fühlte. Ich ließ sie mir fünf Minuten später im kleinen Kramladen der Witwe Müller, mit deren Sohn ich oft stundenlang Tüten klebte, in Kupferdreier umwechseln. Was zwanzig Stück dieser Geldsorte ausmachten! Nun erst war ich befriedigt mit meinem, wie ich glaubte, unerschöpflichen Reichtum in der Faust.
Eine Stunde später hatte ich Zeit und Veranlassung, über die Vergänglichkeit eines so ungeheuerlichen Schatzes nachzudenken. Ich hatte vor meinen Myrmidonen und Spielkameraden damit herumgeprahlt und mir schließlich Dreier für Dreier abbetteln lassen.
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