Turrinis Nase. Franz F Altmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz F Altmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701178292
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      Dabei hat die Gucki der Olga sowieso nur die Hälfte erzählt. Weil es ja niemanden was angeht, warum sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr in Wien wohnt, sondern am Arsch der Welt. In Wirklichkeit ist sie nämlich nicht nur von Wien nach St. Anton übersiedelt, sondern aus allen Wolken gefallen – wie es so schön heißt. Und ziemlich unsanft auf dem Boden der Realität gelandet. Die Gucki hat nämlich jahrelang das schönste Studentenleben geführt und kein bisserl ans Arbeiten und Geldverdienen gedacht. Weil ja immer genug Geld da war. Weil ja der Papa ein Mords­trumm Baufirma gehabt hat. Und dann verunglückt ist. Die Gucki kann sich gar nicht mehr recht an ihn erinnern. Weil sie damals noch ganz klein war. Auf jeden Fall hat er ihnen ein Vermögen hinterlassen, ihr und der Mama. Weil die Baufirma ist verkauft worden – und das Geld sicher angelegt. Immobilien. Das hat alles der Opa gecheckt. Nur ist halt der Opa eines Tages auch gestorben. Damals hat die Gucki schon studiert. In Wien. Die Mama aber in Linz. Allein. Wird ihr halt zeitlang geworden sein. Wird sie halt öfter ins Casino gegangen sein. Wie nämlich die Mama völlig überraschend gestorben ist, hat sich herausgestellt, dass die liebe Mama das ganze Vermögen bis auf den letzten Schilling verklescht hat. Beim Roulette verspielt. Auch das, was eigentlich der Gucki gehört hat. Nur das Wochenendhaus vom Opa ist übrig geblieben.

      So was kann man der Olga natürlich nicht erzählen. Außer man will, dass es am nächsten Tag ganz St. Anton weiß. Weil einen ja die Olga nicht nur aus persönlicher Neugier ausfratschelt. Weil sie halt einmal für ihr Leben gern Geschichten erzählt. Und gut können tut sie es auch – das muss man ihr lassen! Weil sie es spannend macht. Weil sie nicht einfach nur erzählt: Das war so, und das war so – und das war es dann. Sie lässt keine noch so winzige Kleinigkeit aus – wie das Wetter oder die Verwandtschaftsverhältnisse oder was einer getrunken hat – und kommt dabei vom Hundertsten ins Tausendste. Aber zum Schluss kommt man dann drauf, dass diese scheinbaren Nebensächlichkeiten letzten Endes doch eine Rolle spielen. Wie wenn man zuerst nur lauter verwurstelte Wollknäuel sehen tät – und dann auf einmal den fertigen Pullover.

      „Angefangen hat alles damit, dass gestern mitten im schönsten Kaffeetrinken auf einmal das Telefon läutet.“ So hat die Olga angefangen. Wenn aber die Olga einmal anfangt mit dem Erzählen, dann hört sie so schnell nimmer auf. Da hockt man dann da und hört zu und hört zu – und merkt überhaupt nicht, dass man ein Bier nach dem anderen trinkt. Drum hat jetzt auch die Gucki ihr zweites Bier schon fast ausgetrunken – und die Olga ist noch immer zu keinem Ende gekommen. Aber nicht nur, weil sie der Gucki auch erzählt hat, was es für eine Mehlspeise zum Kaffee gegeben hat und auch gleich noch das Rezept von der Malakofftorte, sondern weil die Geschichte vom Harry wirklich nicht so einfach ist. Nicht wie bei einem Pullover – zwei glatt, zwei verkehrt –, sondern mehr wie bei einem ganz einem komplizierten Teppich, wo man lang hinschauen muss, bis man überhaupt ein Muster erkennt. Weil das Wiederauftauchen vom Harry – besser gesagt: von seiner Leiche – war ja wirklich noch rätselhafter als wie sein Verschwinden.

      Wie nämlich das Telefon geläutet hat – beim Otter sitzen sie wie schon gesagt, beim Kaffee –, war es der Wimmer Karl. Mordsmäßig aufgeregt war er. Und hat gleich den Sepp haben wollen. Und der war dann auch gleich recht aufgeregt und hat seine Malakofftorte stehen lassen und herumtelefoniert wie ein Wilder. Weil der Otter Sepp ist ja nicht nur mit Leib und Seele Wirt, sondern womöglich mit noch mehr Leib und auf jeden Fall mit noch mehr Seele ist er Jäger. Und als Jagdleiter muss er natürlich sofort alle Kameraden zusammentrommeln, wenn der Wimmer Karl gleich ein paar Sauen gesehen hat. Weil so viele Sauen gibt es bei uns auch wieder nicht. Und schwer zum Erwischen sind sie auch! Das soll man gar nicht meinen, wie schnell die wieder weg sind! Aber so eine Wildsau bringt an einem Tag leicht dreißig, vierzig Kilometer zusammen. Gut, dass Sonntag war und Nachmittag: Da waren die meisten Jäger daheim. Trotzdem hat es eine geschlagene Stunde gedauert, bis alle beisammen waren. Die meisten haben sich nämlich noch umziehen müssen. Weil da sind die Jäger schon komisch: Ohne grünes Gewand wird nicht auf die Jagd gegangen. Manche gehen ja ohne grünes Gewand nicht einmal ins Wirtshaus. Und wie dann alle beim Otter waren, hat man noch ausführlich über die Jagdstrategie reden müssen. Und dabei schnell ein, zwei Bier trinken. Und wie es dann endlich losgegangen ist, ist auch schon die Dämmerung hereingebrochen. Weil es halt im Winter schon recht bald finster wird. Bis sie dann aber in Steining waren und den Wald umstellt haben, wo die Wildsauen drin waren, hat man wirklich nicht mehr viel gesehen. Da war es dann auch kein Wunder, dass man den Harry mit einem Kopfschuss gefunden hat.

      III

      „Wer nix lernt und auch nix kann, der geht zur Post und auch zur Bahn!“ Das sagt aber jetzt nicht die Gucki, sondern der Prandegger Mandi. Und auch nicht im Gasthaus Otter in Trilling, sondern im Gasthaus Weiß in St. Anton. Praktisch ein Schauplatzwechsel. Von einem Wirtshaus ins andere.

      Drum trinkt die Gucki jetzt lieber doch einmal einen Kaffee. Hat eh schon zwei Bier intus. Hat aber wirklich geholfen: wie weggeflogen, das Schädelweh! Und den Mandi hat sie auch auf Anhieb gefunden. Ganz im Gegensatz zu den anderen Journalisten! Sie hat nämlich die Autos gesehen. Vor dem Mandi seinem Haus. Lauter Linzer Kennzeichen. Da können sie warten, bis sie schwarz werden! Das ist aber nur so eine Redensart. Das hängt nicht damit zusammen, dass der Mandi Rauchfangkehrermeister ist. Dass er am Vormittag gern im Wirtshaus sitzt, schon. Weil als Rauchfangkehrermeister kann er sich das leisten. Und heute erst recht! Weil ihm dieses Reportergesindel die Tür einrennt. Hat er sich einfach ins Auto gesetzt – und auf und davon! Die Reporter natürlich hinten nach. Die hat er aber abgehängt! Weil ja die Linzer alle miteinander nicht Autofahren können. Und weil er sie auf die ärgsten Schleichwegerl gelockt hat. Und dann gemütlich nach St. Anton zurück und das Auto hinter dem Weiß abgestellt. Dass man die Autonummer nicht sieht: FR – MANDI 1.

      Bei der Gelegenheit muss aber wirklich einmal was über diese Autonummern gesagt werden. Wunschkennzeichen heißen sie. Weil man sich wünschen darf, was draufsteht. Es dürfen halt nicht mehr als wie fünf Buchstaben sein – und dann noch eine Zahl. Meistens steht eh nur der Name vom Auto­besitzer oben. Eben FR – MANDI 1. Die, die Franz oder Fritz heißen, haben es bei uns noch schöner: Da heißt es dann FR – ANZ 1 oder FR – ITZ 1. Weil ja Bezirk Freistadt mit FR abgekürzt wird. Oder es steht ein Kosename oben. Wie zum Beispiel FR – HASI 1. Oder es hängt mit der Firma zusammen. Wie beim Tischler von St. Anton. Bei dem heißt es: FR – HOLZ 1. Oder es hat was mit dem Hobby zu tun. FR – JAGA 1 – das ist natürlich der Otter Sepp. Und dann gibt es auch noch ein paar, die sich mit den Buchstaben eine Gaudi machen. Sagen wir einmal: FR – UST 1. Weil UST ist ja die Abkürzung von Umsatzsteuer. Und bei der hat ein jeder einen Frust – außer er zahlt keine. Weil es schwarz geht. Oder im Pfusch. Aber von dem fang ich jetzt gar nicht an! Das tät zu weit führen. Weil: Was bei uns Steuer hinterzogen wird – da könnte man ja ganze Romane schreiben! Und außerdem wird man sich sowieso schon längst fragen, wa­rum ich das mit den Wunschkennzeichen gar so aufbausche. Wa­rum ich nicht endlich erkläre, was der Prandegger Mandi mit der ganzen Geschichte zu tun hat. Nicht vielleicht wegen dem Geld, das die Leute für so ein Wunschkennzeichen hinausschmeißen! Immerhin 2.000 Schilling. Aber das Geld ist mir völlig wurscht! Geld schmeißen die Leute auch für einen anderen Blödsinn hi­naus. Mir geht es um was ganz was anderes: dass nämlich ein jeder die Nummer 1 sein will! Das gibt mir schon ein bisserl zu denken: Wo kommen wir da noch hin, wenn ein jeder nur mehr die Nummer 1 sein will?

      Normalerweise ist der Prandegger Mandi auch gern die Nummer 1. Sonst wäre er nicht Bezirksrauchfangkehrermeister, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr St. Anton und Obmann der Jagdhornbläser. Aber eben nur normalerweise. Im Moment ganz und gar nicht. Da wäre er viel lieber eine ganz eine unscheinbare Nummer. Weil er nämlich im Gasthaus Weiß sitzt, dass er seine Ruhe hat – und nicht, dass er sich vom Schipany anstänkern lasst! Drum hat er ja auch gesagt: „Wer nix lernt und auch nix kann, der geht zur Post und auch zur Bahn!“ Damit ist nämlich der Schipany Bertl gemeint. Weil er Briefträger ist. Weil er wirklich nicht recht viel gelernt hat. Genauer gesagt: Ein paar Mal ist er sitzen geblieben in der Volksschule – und dann Hilfsarbeiter – und dann zur Post. Drum fühlt sich der Bertl auch angesprochen. Drum kriegt er auch einen roten Schädel. Drum sagt er auch: „Mit einem Mörder mag ich sowieso nicht an einem Tisch sitzen!“ Und trinkt aus und geht.

      Auf das hat aber die Gucki nur gewartet: dass sie endlich allein